The Coffee Drinking Yogi war eine schöne Idee, die mich insbesondere durch die Pandemie rettete. Es gab hier nichts zu kaufen, ich musste einfach manchmal Worte loslassen. Der letzte Text auf dem Blog ist einer der Schönsten, die hier veröffentlicht wurden und im April erschienen. Danach fehlte mir schlichtweg die Zeit.
Im Januar 2022 haben meine Freundin Karolin Lüders und ich die Agentur Little Stories Everywhere gegründet. Wir haben uns zusammengetan, weil wir keine Lust mehr auf Einzelkämpfe hatten, aber auch weil wir wussten, was wir gemeinsam rocken können (und das haben wir auch. Als Gründerinnen standen und stehen wir vor Herausforderungen. Aber alles in allem war das Jahr magisch). Wir haben uns zusammengetan, weil wir wussten, dass wir einander verstehen und gerade deswegen auch stützen können. Zusammen haben wir sechs Kinder. Vier davon im Kindergartenalter. Wir wissen beide, was es heißt, wenn zuhause der Feuerlöscher von der Wand geholt werden, wenn Fieber gesenkt und Kotze gewischt werden muss. In der Agentur haben wir dann Frauen um uns herum geschart (und das ist sicher nur ein blöder Zufall, es dürften auch Männer sein), die uns gut tun. Wenn es einer die Nerven mal weghaut (kommt ab und zu vor) sind wir füreinander da. Jeden Tag bin ich dankbar für dieses Team. Jeden Tag feiere ich den Gedanken von Sisterhood. Ich wünschte, dass dieser Gedanke durch große und kleine Unternehmen geisterte wie ein schützender Wall. Ich wünschte, dass mehr Kollegen und Kolleginnen füreinander da seien, statt gegeneinander. Dass die Stärken der anderen gefeiert würden und die Schwächen geschützt. Ich wünschte, es gäbe mehr Komplimenteausteiler*innen als Mauler*innen. Mehr Hände, weniger Ellenbogen.
Yogi bleibe ich mein Leben lang. Ich unterrichte aber nur noch eine Klasse in der Woche. Meine Texte werden immer mal wieder irgendwo zu finden sein; im Januar zum Beispiel schon auf www.tentakel-magazin.ch. Ich unterrichte manchmal Retreats und gebe Workshops.
Über meine Buchprojekte informiere ich bald auf tine.bielecki.de. Auf Instagram erzähle ich vom Agentur- und Autorenalltag einer Atmungsaktivistin.
A Coffee Drinking Yogi bleibe ich bestimmt auch. Ich sehe noch keine Veranlassung dafür, auf Kaffee zu verzichten. Aber die Webseite macht blau. Es war schön. Wir lesen uns.
Das Licht in unserem Badezimmer lässt zu wünschen übrig. Ich staune jedes Mal, wenn ich in einem Hotelzimmer in den Spiegel schaue. Was da in meinem Gesicht für Gräben (und anderes) zum Vorschein kommen! Nun haben wir ein Haus gekauft, wir sanieren zwei Badezimmer und die Lichtfrage steht im Raum. Was nun? Bleibe ich bei meinem beschaulich-dämmrigen Lämpchen oder kommt zu dem ohnehin schon mit viel Tageslicht beschenkten Raum ein LED-beleuchteter Spiegel und helle Deckenspots? Will ich mir das wirklich antun?
Wie tröstlich, dass ich gerade jetzt, während ich im Sauseschritt auf die Mitte 40 zueile, im SZ-Magazin die „Oma-Kolumne“ von Mechthild Gossmann entdeckt habe. Leider wurden die schon lange wieder eingestellt, aber ich sauge gerade jede einzelne Folge nur so auf. In der Kolumne mit dem Titel „Was ich an Tinder mag“, schrieb sie: „Wenn ich in meinem doch recht langen Beziehungsleben eine Sache gelernt habe, dann: Es geht wirklich nicht ums Aussehen. Viele Menschen sind in jungen Jahren schön. Aber alle bekommen Falten und dritte Zähne. Anders ist es mit dem Humor. Wenn jemand als Teenager gute Witze erzählen kann, dann kann er das als Rentner auch noch.“ Danke. Da glätteten sich gleich wieder die Sorgenfalten auf meiner Stirn, denn eben hatten mich auf Instagram noch die schönen Antlitze von Lena Gercke (34), Lena Meyer-Landrut (30) und Caro Daur (27) angelächelt. Wobei man natürlich jetzt zugeben muss, dass die auch alle einen passablen Humor vorweisen können.
Kürzlich klönte ich via Facebook mit einem Bekannten aus der Heimat über früher, und die Kneipen, in denen wir uns als Schüler*innen herumtrieben. „Und wenn du dann mal wieder hier bist, gehen wir feiern“, schrieb er zum Schluß und meine Schlagfertigkeit war dahin. Feiern?! Hatte ich darauf überhaupt noch Lust? Ich wage es kaum zu sagen, aber ich habe gemerkt, dass ich meinen Rhythmus „früh ins Bett, früh wieder raus“ sehr gerne mag. Ich schlafe schlecht, wenn ich mich nach 22 Uhr hinlege, ich weiß nicht einmal, wann ich zum letzten Mal einen Film nach 20.15 Uhr angeschaut habe. Erschreckend? Erschreckend spießig? Mag sein. Es ist noch nicht lange her, da war ich auf einem Geburtstag einer Freundin. Total nette Menschen, tolle Gespräche, ich fing um 22 Uhr an zu gähnen, da betraten meine Altersgenossinnen gerade erst die Tanzfläche.
Früher hieß ich in meinem Freundeskreis „Funkygirl“. Ich trug Schlaghosen und Plateauschuhe, dabei bin ich nicht in den 60ern sondern Ende der 70er geboren und mit 16 liess ich mir von einer Afrikanerin Rastazöpfe in mein nordeuropäisches Haar flechten. Mit 20 hatte ich Extensions. Heute gehe ich, wenn ich es richtig gut mit mir meine, einmal im Jahr zum Friseur und lasse den nur mit Bioprodukten an meinen Kopf. Meine Haare werden grau, meine Gesichtsfalten tiefer. Egal. Hauptsache bio.
Trotzdem habe ich immer noch den Eindruck, Funkygirl zu sein, dieser Titel erlischt nicht. Vor kurzem posteten meine früheren Klassenkameraden*innen einen Nachruf auf den Hausmeister unserer alten Schule. Was für ein Schreck! Hausmeister*innen, Lehrer*innen, Mitschüler*innen, – die werden alle nicht älter, wenn man sie zum letzten Mal bei der Abifeier gesehen hat. Wenn man früh die Heimat verlässt, bleiben alle Menschen, die man damals kannte, gewissermaßen optisch da stehen, wo man sie zuletzt wahrgenommen hat. Sie altern nicht in meiner Erinnerung. Vielleicht ist das Selbstschutz. Ich will gar keine Bilder sehen! Schon gar nicht von denen, für die ich als Teenager geschwärmt habe. Wir werden alle nicht älter! Nein! Nur die eigenen Kinder natürlich, die wachsen wie verrückt. Gerade kamen sie aus dem Bauch, da werden sie auch schon eingeschult und ich denke immer noch, ich sei die 19-Jährige, die frisch vom Abitur das Dorf Richtung Berlin verlässt. Oder wenigstens die 30-Jährige, die alleine mitten auf einer Skipiste im Berner Oberland wohnt. Dass das über zehn Jahre her ist, kann ich gar nicht glauben. Ich denke jeden Tag, was für eine coole Mama ich bin und zum Glück sind meine Kinder noch nicht alt genug, mir zu erklären, wie peinlich ich ihnen manchmal sein kann.
Glücklicherweise habe ich mich aber doch verändert. Und wie. Na klar. Ich gehe schließlich vor 21 Uhr ins Bett! Ich verstehe jetzt die Frauen, die damals, als ich noch 20 war, 40 waren und darüber schrieben, wie schön das Leben mit einer gewissen Reife sei. Ja wirklich. Ich kann meiner Lebenserfahrung eine Menge abgewinnen. Und der Art und Weise, wie ich mich verändert und meine Werte neu definiert habe. Ich glaube, heute zu wissen, worauf es im Leben ankommt. Wenn meine Falten mich stören, mach ich einfach das Licht aus. Und auf Instgram eile ich auf das Profil von Ildiko von Kürthy, wann immer ich mich versehentlich mal wieder bei Caro Daur verirrt habe. Von Kürthy hat so einen herrlichen Humor zum Thema Älterwerden und anderen gefallen zu wollen … Aber das ist jetzt auch nicht fair, den Humor als erstes zu nennen und dann erst über ihre Schönheit zu sprechen … Denn ich finde Ildiko von Kürthy schön und lustig. Zweifellos.
Anfang der Woche habe ich mich selbst k.o. geschlagen. Eine Gehirnerschütterung setzte mich für ein paar Tage schach-matt. Ich muss gestehen, es war kein spektakulärer Sturz beim Snowboarden, ich wurde auch nicht von einem Auto beim Skateboarden erfasst und ganz wichtig: ich bin nicht beim Yoga üben auf den Kopf gefallen. Ich habe mich mit der Kofferraumtür meines eigenen Autos ausgeknockt. Mein Arzt sagte treffend und tröstend: Ach, manchmal bedarf es im Leben ja einen eigenen k.o.-Schlag. Ja, das passte irgendwie zu dem wilden Jahresanfang 2022. Ein Jahr, dass uns jetzt schon so schwer auf den Schultern liegt, dass es uns zu erdrücken droht. Wie viele Russen und Ukrainer haben alleine in der letzten Woche schon ihr Leben verloren? Wie viele weinende Kinder lassen sie zurück? Wie viele Wunden müssen heilen? Wie viele Generationen wird es dauern, bis sich zwei Völker von dem erholt haben, was gerade geschieht? Werden wir das überhaupt alle überleben?
Was ich in der letzten Woche bei aller Ohnmacht, der psychischen und der physischen, mal wieder gelernt habe: Pass auf deinen Körper auf. Nähre ihn, pflege ihn, tue ihm Gutes. Weil wir können anderen nicht helfen, keine klaren Gedanken fassen, wenn wir selbst am Ende sind. Ich war so dumm, nach meinem Knockout einfach weiterzumachen. Hatte mich sozusagen einmal aufgerappelt, meinen Kopf gekühlt, das Blut abgewischt und ohne Pause bin ich durch den Rest des Tages geeilt. Das hat zu nichts anderem geführt als einem Totalausfall genau 24 Stunden später, der mich bis in die Notaufnahme des Krankenhauses brachte. Ist keine große Sache. Ich bin ja jetzt schon wieder in der Lage hier in die Tasten zu hauen. Aber ich habe mir eingestehen müssen, dass das Tempo der vergangenen Monate zu hoch war. Dass ich keine Zeit mehr gehabt habe, meinem Körper zu geben, was ihm gut tut und mir meinen Glow verschafft. Sind wir tatsächlich in der Lage Gutes zu tun, wenn es uns selbst nicht gut geht? Und habe ich jetzt eine Gehirnerschütterung oder ist das Gehirn einfach nur erschüttert?
Deswegen fahre ich einen Gang zurück, träume vom großen Spenden-Yoga-Event in einer traumhaften Location, schreibe langsam und nur in aller Ruhe an einem Exposé für ein Buchprojekt weiter, kuschele meine Kinder öfter als ihnen lieb ist, koche mehr Tee und esse wieder ausschließlich was mir gut tut. Und: Am Abend denke ich an die Golden Milk ohne Milch. Ich spendete Geld gegen den Wahnsinn im Kopf. Aber kann Geld Wunden heilen?
Bei einem Spaziergang an der frischen Luft kam ich an der Buchhandlung vorbei, die hier seit über 30 Jahren wacker jedem großen Onlineversandhändler trotzt. „Erst träumen, dann denken“ stand da auf einem Plakat. Diese Vorstellung rettet mich gerade bei aller Hilflosigkeit. Und ist ein Vorsatz, der mir gefällt. Besonders meinem Kopf.
In Europa gibt es wieder Krieg. Ein Satz mit sechs Wörtern.
Ein Satz, dessen Sinn nicht zu fassen ist. Ich habe immer gedacht, dass ich mich zu Politik hier auf dieser Plattform nicht äußern möchte. Ich dachte immer, ich verstehe zu wenig davon. Ich dachte, es geht hier um den nicht immer ganz ernst gemeinten Versuch, Yogaphilosophie in den Alltag einer Westeuropäerin im 21. Jahrhundert zu bringen. Genau. Darum geht es. Und mittlerweile weiß ich, das erste, was man tun kann, wenn so etwas Ungerechtes, Unfassbares und Grauenvolles passiert, ist etwas zu tun. Und in der Ohnmacht und dem Glaube, nichts tun zu können, ist das erste, was man tun kann, etwas zu sagen. Auch wenn ich nicht wirklich weiß, was ich sagen soll. Es ist besser etwas zu sagen als nichts zu sagen. Das ist genauso, wenn ein Freund einen nahestehenden Menschen verloren hat. So zu tun als wäre nichts gewesen, ist das Schlimmste für Betroffene. Obwohl wir Angst haben, etwas Falsches zu sagen, ist etwas Falsches immer noch besser als gar nichts. Als einfach weiterzumachen und den Schmerz der anderen zu ignorieren. Natürlich mache ich auch einfach weiter hier.
Ich kaufe keine Vorräte ein. Aber ich sorge mich um die Menschen, die mitten im Krieg sind. Ich frage mich, wie das passieren konnte. Wie jemand so sein kann wie Herr Putin. Wie jemandem das Gefühl der Macht so viel geben kann. Ich frage mich auch, was so ein Mensch als Kind erlebt haben muss. Wie viel Hass und Gier sein Leben genährt haben müssen. Krieg kann doch niemals eine Lösung sein. Warum ist das immer noch nicht allen klar in Europa?
Es ist Krieg. Und da haben wir uns zwei Jahre lang über das Tragen von Mund-Nasen-Schutz in der Öffentlichkeit aufgeregt. Ich muss schon sagen … Wenn ich in den nächsten Wochen, in denen überhaupt noch eine Maskenpflicht besteht, irgendjemanden, der nicht maskenbefreit ist, darüber klagen höre, einen Mundschutz tragen zu müssen, muss ich schwer an mir halten, meine yogische Grundfreundlichkeit nicht gänzlich zu vergessen. Oder wenn mir jemand begegnet, der darüber klagt, die Freiheit in unserem Land sei eingeschränkt, weil wir uns testen lassen müssen oder geimpft sein sollen, bevor wir ins Kino gehen. WHAT THE FUCK??!! Ich habe in diesem Jahr häufiger gelacht, wenn ich auf einer Plattform wie Facebook solche Sprüche gelesen haben: „Wo ist unsere Demokratie hin?“ Man mache sich nur die Absurdität eines solchen Postings bewusst. Auf Facebook!?! Gäbe es hier keine Demokratie, würden Menschen, die so etwas posten, gleich von der Polizei eingesammelt. Ich erinnere da immer gerne an die belarussische Sprinterin Kristina Timanowskaja, die sich während der Olympischen Spiele auf Instagram kritisch über einen Entscheid der Trainer zur Besetzung der 4×400-Meter-Staffel geäußert hatte. Nun lebt sie im polnischen Exil und wird in der Öffentlichkeit von Bodyguards begleitet. Um ihre Angehörigen in Belarus macht sie sich immer noch Sorgen. Und das ist „nur“ ein Beispiel, das wir kennen, weil die Betroffene zufällig auf der Bühne Olympischer Spiele stand.
Ich glaube, es ist an der Zeit, noch mal ein bisschen enger zusammenzurücken. Sich nicht über jeden Scheiß zu ärgern und insbesondere sich selbst bewusst zu machen, wie gut es uns hier geht. Die Uneinigkeit über den Umgang mit einer Pandemie vergessen und stattdessen uns wieder öfter umarmen, einander zuhören. „Darf ich heute Abend überhaupt für Freunde kochen, mit ihnen klönen und fröhlich sein?“, frage ich. „Also ein bisschen so tun, als ginge das Leben einfach weiter?“ „Du tust doch nicht so…“, flüstert das Leben, „ich tue das für dich.“‘, postete Claudia Schaumann aka wasfuermich am Freitag auf ihrem Instagramprofil.
Wann sollen wir das Leben endlich genießen, wenn nicht jetzt? Ich habe dieses Wochenende meine Kinder kaum aus den Augen gelassen. Diesen Text schreibe ich, während sie ruhig schlafen. Wir haben ganz viel gespielt, gekuschelt, gelacht. Ich habe ihre Nähe gesucht und sie bewundert. Kinder würden niemals Kriege anfangen. Ich bin per Zufall über diesen Artikel von Businesscoach Sigrun Gudjonsdottir im Netz gestolpert. Er beschreibt, was wir eigentlich gerade tun können. Und jetzt hoffe ich schwer, dass wir denen helfen, die flüchten, sie nicht abweisen. Das alles können wir tun. Jetzt.
Im vergangenen Jahr hatte ich eine Yoga-Krise. Es ging dabei nicht um Yoga an sich, Yoga ist toll. Ja, ich bin über die Zeit, in der ich glaubte, Yoga sei ein Arschloch hinweg. Das liegt ganz bestimmt am Alter. Mich jucken meine Fehler nicht mehr so sehr. Was mich stört, versuche ich zu ändern. Aber manchmal ist es auch einfach okay. Weil auch das ist Yoga: Es mal gut sein lassen. In einer Welt, in der es permanent um Optimierung geht, kann es ganz schön sein, auch Dinge einfach zu akzeptieren.
Yoga für alle?
Aber zurück zur Krise. Ich hatte festgestellt, dass gerade diejenigen, die Yoga am allermeisten brauchen, nur schwer einen Zugang dazu bekommen. Beispielsweise Jugendliche. Wie viele wirklich gute Angebote gibt es für Jugendliche? Wird Yoga für Jugendliche nicht viel zu häufig mit Kinderyoga verwechselt? Und wer soll das eigentlich bezahlen? Jugendliche bringen ganz sicher nicht das Geld dafür auf, die Yogalehrer*innen angemessen zu honorieren. Und da liegt das ganze Problem: Yoga für Flüchtlinge. Yoga für Häftlinge. Yoga für Ausgebrannte. Yoga für Alte. Diese Liste ist bis ins Unendliche weiterzuführen. Und ganz ehrlich: Ja, klar, auch ich habe schon was von Karma Yoga, Yoga des selbstlosen Dienstes, gehört. Das sind große Worte, die lernt man ganz zu Beginn jeder Yogalehrer-Ausbildung. Yoga bedeutet, auch etwas zu geben, ohne gleich immer nehmen zu müssen. I get it. Das ist auch wirklich gut und wichtig. Aber am Ende des Tages muss auch ich mir etwas zu Essen kaufen und meine Miete zahlen. Denn leider gibt es hier niemanden, der mir Kost und Logie für meine vierköpfige Familie anbieten würde – so war das nämlich damals, als Yogalehrer angeblich für ihre Arbeit nicht entlohnt wurden.
Tränen der Dankbarkeit
Und dann also kam ich zu dem Punkt, an dem ich mich fragte, ob das überhaupt Sinn mache. Und na klar, es macht Sinn. Schließlich brauchen auch diejenigen Yoga, die richtig viel dafür zahlen. Aber es nervte trotzdem noch. Ich weiß nicht, wie wir richtig guten Yoga genau denjenigen geben können, die es brauchen. Ich wünsche mir, dass das irgendwann irgendwie möglich sein wird. Ich sehe jeden Tag Jugendliche, die dringend Yoga brauchen (lese hierzu auch meinen Artikel zum Thema). Kurzfristig wollte ich den ganzen Yogakram hinschmeissen. Und dann unterrichtete ich mal wieder eine Stunde im Fitnesstudio. Ein Kurs, da kommen alle. Alte, Junge, Bewegliche, Unbewegliche. Und da war diese Postbotin, die mich vor der Stunde zaghaft fragte, ob sie am nächsten Tag Muskelkater haben würde. „Na ja, das kommt ganz drauf an“, sagte ich und dann erzählte sie mir, dass sie Briefe austragen müsse und Muskelkater für sie total ungünstig sei, weil sie es dann kaum schaffe, die Strecke zurückzulegen. Wir fingen an mit Yoga, mit Atmen und sanften Bewegungen, leichten Sonnengrüßen und ganz viel Entspannung. Und zwischendrin zeigte ich ihr, wie sie ihre Plantarfaszie behandeln, ihre Handgelenke stärken und schützen könne und da saß sie nach der Stunde und ihre Augen füllten sich mit Tränen vor Dankbarkeit. Da war sie wieder. Die große Yogaliebe. Die Krise überwunden?
Yoga, schreiben und manchmal alles zusammen
In meinem Herzen schlagen zwei Passionen. Die eine ist es, zu schreiben. Worte auf Papier zu bringen. Sätze zu formen. Die andere ist es, als Sportwissenschaftlerin und Yogalehrerin Menschen zu zeigen, wie sie sich besser fühlen können. Es war nicht immer einfach beides miteinander zu verbinden. Momentan unterrichte ich eine einzige Stunde in der Woche. Und manchmal ruft ein Unternehmen an. Wie kürzlich zum Beispiel. Ob ich drei Beiträge zum Thema Yoga schreiben und einen Talk dazu geben könne? Ja, klar. Beides. Yoga für alle.
Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung für das Netzwerk GründerMütter. Ich habe gerade übrigens selbst gegründet. Ohne das Netzwerk in Anspruch zu nehmen. (Was nicht ist, kann ja noch werden …) Aber ich schreibe darüber, denn ich weiß, dass viele Menschen gerne gründen würden und sich nicht wagen. Weil sie vieles nicht wissen (woher auch?) und schon gar nicht wissen, wo sie sich informieren können. Und dann schreibe ich diese Geschichte auch noch, weil sie dazu inspiriert, jetzt genau das zu tun, was wichtig ist. Hör in dein Herz. Und folge dem Ruf.
„Mütter sind für Unternehmen immer ein Risiko.“ Als ich kürzlich diesen Satz hörte, musste ich wohl schlucken. Auf jeden Fall folgte rasch ein Nachgeschobenes: „Ich sage das jetzt nicht aus der Sicht der Unternehmerin, sondern weil ich selbst Mutter bin.“ Das war lieb gemeint, nützte aber nicht viel. Denn das, was da ausgesprochen wurde, ist die Denkweise der deutschen Wirtschaft. Ja, es stimmt: Wenn meine Kinder krank sind, muss ich meistens zuhause bleiben (aber das liegt nicht daran, dass ich die Mutter bin, sondern daran, dass ich als Frau weniger verdiene als mein Mann und damit die Rollenverteilung gleich festgelegt ist). Zufällig weiß ich, dass in Dänemark eine ganze andere Meinung besteht. Unternehmer finden, dass junge Mütter unheimlich effektiv arbeiten, weil sie nachmittags Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Sie stehen nicht ewig am Kaffeevollautomaten und spielen in der Pause kein Tischfußball. Sie machen einfach, damit sie pünktlich zur Kita oder der Schule kommen können. Vielleicht haben Mütter einfach andere Qualitäten. Das ist jetzt plakativ, ich habe keine Beweise, es gibt immer solche und solche Beispiele, aber ich stelle es jetzt mal so in den Raum. Manchmal würde es auch Sinn machen, zwei Menschen zu fragen, ob sie sich eine Stelle teilen möchten, dafür dann aber auch flexibler sein dürfen. Es gibt viele Ideen, viele Ansätze, aber so richtig will das niemand umsetzen.
Das Potenzial sehen
Und deswegen müssen Mütter immer wieder selbst hinterfragen, was ihnen ihre Karriere wert ist. Viele kommen zu dem Punkt, an dem sie feststellen, dass es in dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt waren, bevor sie Mütter wurden, keine Perspektive mehr gibt. Weil es keinerlei Flexibilität gibt. Keinen Spielraum, um beides, Mutterschaft und Karriere, unter einen Hut zu bringen. Was bleibt also, wenn man nicht unter seinem Potenzial bleiben möchte? Selbst gründen! So geht es vielen und das ist nicht gerade der leichteste Weg. Deswegen gibt es immer mehr Initiativen wie das Unternehmerinnen-Netzwerk „GründerMütter“. Dort geht es darum, Gleichgesinnte zu treffen und sich miteinander auszutauschen, aber auch darum Ideen, Tipps und Tricks miteinander zu teilen. Gegründet wurde das GründerMütter-Netzwerk von der Düsseldorferin Dr. Stefanie Gundel, deren Mission es war, selbstständige Frauen zusammenzubringen, zu stärken und zu inspirieren. Dabei ist es egal, ob sie Kinder haben, schwanger sind, gerade erst in der Familienplanung stecken oder noch überhaupt nicht wissen, wie Kinder und Job unter einen Hut zu bringen sind.
Austausch tut gut
Stephanie Natz arbeitet heute für GründerMütter. Ich kenne sie von früher, aus meiner Zeit als Sportjournalistin. Damals hieß Stephanie nicht Natz sondern Hort und zählte zu Deutschlands besten Weitspringerinnen. Schon als Leistungssportlerin war sie fleißig und zielstrebig und vermutlich sind das Eigenschaften, die sie nach der sportlichen Karriere zunächst zu dem Unternehmen Peugeot und dann zur Porsche Group brachten. „Ein toller Arbeitgeber“, sagt Stephanie selbst. Trotzdem fühlte sich das nach der Geburt ihres zweiten Kindes für sie nicht mehr richtig an. Das lag unter anderem daran, dass ihr Mann einen Job in Brüssel hatte und sie aus Stuttgart nach Düsseldorf gezogen waren. Stefanie entschied nach langem Überlegen, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen und gründete Drumhead Consulting, ein Marketing-Unternehmen für die Autombilindustrie. Und so hatte sie die ersten Berührungspunkte mit dem GründerMütter-Netzwerk. Denn ohne die Inspiration der anderen Mütter, ohne deren Ratschläge, hätte sie sich vermutlich gar nicht gewagt, zu gründen. „Es war unheimlich inspirierend und auch hilfreich, sich mit den anderen Frauen auszutauschen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, auf die man nicht von alleine kommt, die einem das Leben aber unheimlich erleichtern“, sagt die Mutter von mittlerweile drei Kindern. „Der Austausch mit völlig verschiedenen Frauen, die die unterschiedlichsten Kenntnisse und Expertisen haben, bringt einen wirklich weiter. Und es ist auch unglaublich, wie da Dynamik entsteht.“
Sisterhood als Erfolgskonzept
Diese Erfahrung habe ich selbst im vergangenen Jahr gemacht. Als ich mich, gemeinsam mit einer Freundin, dazu entschlossen hatte, zu gründen. Dinge, die ich von alleine nicht hätte auf die Beine stellen können, für die mir schlichtweg Zeit, Energie und Nerven fehlten, fühlten sich auf einmal so leicht und richtig an. Weil wir uns einander unterstützten, uns in schweren Momenten Mut zusprechen konnten und unsere Expertisen bündelten. Deswegen habe ich mich auch so mit dem Begriff Sisterhood angefreundet. Obwohl ich nur Brüder habe und dem schon immer etwas abgewinnen konnte. Sisterhood heißt für mich, sich mit Frauen zu verbinden, die mir Kraft geben. Diese Kraft will ich natürlich auch zurückgeben. Und genau das schafft eine besondere Dynamik, durch die nur etwas Gutes entstehen kann.
Häufig sind wir total hilflos, wenn wir uns selbständig machen wollen, weil wir überhaupt keine Kenntnisse in diesem Bereich haben. Das fängt bei Themen wie Steuern und Finanzamt an. Viele Frauen würden gerne gründen, haben tolle Ideen, und wagen sich dann nicht in die Selbständigkeit aus Angst vor genau diesen Themen. Doch zu sehen, dass Muttersein und Selbstständigkeit vereinbar sind, macht Mut. Kinder und Babies sind bei Treffen der GründerMütter willkommen. Das alles hat Stephanie Natz bewogen, sich für das Netzwerk zu engagieren. Heute ist sie Community Managerin von GründerMütter und hat mit GründerMütter Mallorca auch gleich ihre eigene Gruppe eröffnet.
Wo will ich leben, wie will ich arbeiten?
Denn vor knapp zwei Jahren entstand in ihr langsam der Wunsch, von überall aus arbeiten zu können. „Es war irgendwie eine verrückte Idee. Wir wollten die Zeit, bis die Kinder schulpflichtig sein würden, nutzen, um wann immer es möglich ist, Zeit am Meer zu verbringen.“ Spanien stand weit oben auf der Liste, weil Stephanie spanisch spricht – die Insel Mallorca kannten die Natz’ kaum. Trotzdem entschieden sie sich, ein Haus dort zu kaufen. Heute und insbesondere in der Pandemie, sind sie unheimlich glücklich darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben. „Die GründerMütter Gruppe Mallorca ist nicht nur offen für deutsche Mütter. Ich möchte insbesondere auch in den Austausch mit der lokalen Bevölkerung gehen“, sagt Stephanie. „Wir sind da schließlich zu Gast. Ich finde es wichtig, die Traditionen kennenzulernen aber auch zu unterstützen und in Sachen Selbständigkeit Vorbild zu sein, wenn der Bedarf besteht.“
Von überall aus arbeiten und gleichzeitig ihrer Familie gerecht werden zu können, diese Vereinbarkeit ist ein Traum, den Stephanie Natz sich nun erfüllen konnte. Netzwerke wie GründerMütter setzen genau da an. Alles ist möglich, wir brauchen nur die Unterstützung, Inspiration und Expertise von anderen, um unsere Träume umzusetzen. Denn alleine ist es schwer. „Der Spirit, den die GründerMütter mitbringen und der Gedanke, nicht Ellenbogen einzusetzen, nicht Ideen zu klauen, sondern auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und festzustellen, dass sich bei allen einfach die Bedürfnisse geändert haben – dadurch entsteht eine besondere Gemeinschaft und damit ist schnell etwas Neues geboren“, sagt Stephanie.
Ob sie künftig ganz nach Mallorca übersiedelt, möchte sich die Familie übrigens noch offen halten. „Wir haben uns in jedem Fall schon mal informiert, wo es internationale Schulen gibt“, schmunzelt sie. „Aber eigentlich ist es im Moment auch angenehm, einfach selbst entscheiden zu können, wo wir gerade sein möchten.“ Das ist auf jeden Fall kein Risiko für ihr Unternehmen – sondern eher inspirierend.
Vielleicht ist das, wenn man Heilig Abend mit der Dreijährigen in der Notaufnahme sitzt, schon der Wink vom Universum: „Ja, du hast viel gelernt 2021, aber das Jahr hat noch einiges zu bieten. Kannste von ausgehen …“
Die Bescherung zuhause verspätete sich nur um etwa eine Stunde. Meine Tochter war unglücklich auf die Heizung gestürzt – Loch im Kopf. In der Notaufnahme der Uniklinik wurden wir freundlich empfangen und kamen – entgegen meiner Befürchtungen – schnell an die Reihe. Weihnachten war noch nicht verdorben. Und ich war so dankbar. Weil mir in der sterilen Umgebung des Krankenhauses mit blauen Lichterketten am Fenster doch bewusst wurde, dass die meisten hier weitaus größere Probleme hatten, als Platzwunden am Hinterkopf. …Dass die meisten hier nicht so schnell wieder raus konnten und garantiert nicht um den Tannenbaum tanzen würden.
Der C-Test
Und dann kam der 27. Dezember, der Tag nach Weihnachten also. Die Zeit, auf die ich mich in diesem Jahr wirklich gefreut habe. Dabei kann ich mich nicht immer mit der Leere der Tage zwischen den Jahren anfreunden. Denn Advent hat für mich eine besondere Bedeutung und das was danach kommt, ist irgendwie nichts Halbes und nichts Ganzes: Das Jahr ist so gut wie vorbei, aber das Neue hat noch nicht angefangen. Diesmal jedoch sehnte ich mich nach Langsamkeit und zäh fliessenden Stunden. Ich wollte nachdenken, lesen und mich mit aller Aufmerksamkeit den Kindern und meiner Familie widmen. Ich wollte ein wildes Jahr Revue passieren lassen, das (scheinbar) alles zu bieten hatte und ich wollte meine Visionen für 2022 manifestieren. Vom Einzug ins neue Haus träumen. Und dann mit voller Wucht im Januar die neuen Jobs starten.
Sofort Symptome!
Aber dann – ich hatte noch keinen Kaffee getrunken und nicht gefrühstückt – rief mein Mann aus seinem Büro an und sagte, sein Corona-Test sei positiv. Und von diesem Zeitpunkt an schenkte mir 2021 noch mal so richtig ein. Ich spürte alles und nichts. Vor allem konnte ich nichts essen und nichts trinken. Man hat sofort Symptome. Die Frau vom Gesundheitsamt lachte Tage später, als ich, auf ihre Frage nach Symptomen sagte: „Nachdem mein Mann mir von seinem positiven Schnelltest erzählte, hatte ich Kopfschmerzen. Zählt das?“ Besonders spürte ich aber Schwere. Schuld. Scham. Das habe ich selten so erlebt. Ich sah bereits am 27. so blass aus, als hätte ich seit sieben Tagen Corona. Ich war wütend auf meinen Mann und schaffte es gerade noch so, die Kurve zu kriegen. Was sollen diese verdammten Schuldzuweisungen in einer Pandemie? Es ist wahrscheinlich nicht möglich, sich nicht irgendwann irgendwo anzustecken. Es kann jedem passieren. Wir waren immer vorsichtig. Wir haben Geburtstage – außer die der Kinder – nicht gefeiert, uns letztes Jahr Silvester nur mit einem weiteren Paar getroffen. Wir verzichteten auf die Hochzeit meiner Kousine. Fahren seit zwei Jahren nur im Sommer zu meinen Eltern. Meinen noch nicht ganz einjährigen Neffen habe ich erst einmal gesehen. Covid kann jeden treffen. Und es tut mir leid aber ich befürchte, es wird fast jeden treffen. Ich tat das einzig Richtige: Ich verwandelte das Wutgefühl in Sorge um ihn. Das PCR-Ergebnis kam noch am selben Tag. Positiv.
Ingwer gegen Corona
Nachts lag ich wach. Ich fragte mich, wie lange das in der Quarantäne so sein würde? Wie lange man schlaflose Nächte haben würde, aus Sorge um andere und die Kinder oder ob das irgendwann weg gehen würde, wie alles, an das man sich so Schritt für Schritt gewöhnt. Da ist ständig die Frage: Wen haben wir angesteckt? Am nächsten Morgen presste ich Ingwersaft, trank Salbeitee, schob den Kindern löffelchenweise Tee in den Mund und Vitamine. Ich übte zwischendurch Pranayama. Dabei wechselte sich der Gedanke: „Ich rette mich mit allen Haustricks, die es nur so gibt“ mit dem „Das haben wohl auch schon andere alles versucht“ im Fünfminuten-Takt ab.
Fiese Grippe, leichter Verlauf
Einen Tag später war auch mein PCR-Test positiv, meine Nase begann zu laufen und noch mal einen Tag später hatte ich dann das, was Virologen als einen leichten Verlauf bezeichnen: fiese Grippesymptome. Die Tage verliefen trotz dickem Kopf erstaunlich schnell. Noch nie stand nach Weihnachten so schnell Silvester vor der Tür. Ich hatte keine Sekunde Zeit gehabt, über mein Jahr nachzudenken. Stattdessen mehrmals mit der Kassenärztlichen Vereinigung, dem Gesundheitsamt, meiner Hausärztin, Arbeitskollegen, meiner Familie telefoniert. Ich schleppte mich durch Grippetage. Die Nächte wurden besser. Besser als die Tage. Ich konnte schlafen, und spürte, dass mein Körper die Erholung dringend nötig hatte.
Kater ohne Party
Silvester verpennte ich. Das war auch nicht anders zu erwarten. Der 1. Januar fühlte sich an, als hätte ich den übelsten Kater meines Lebens. Nur hatte es vorher keine Party gegeben. Was für ein Jahresanfang, dachte ich und sah plötzlich in allem nur grau. Und dann kam der 2. Januar und mit ihm offenbar irgendein Hormoncocktail – keine Ahnung, aber alles wurde heller. Zu dem Zeitpunkt waren die Kinder immer noch negativ und mir wurde klar, dass sich die Quarantäne verlängern würde, aber was machte das schon? Ich hatte von Anfang an keine Angst vor der Quarantäne gehabt. Wir hatten ja auch schon diverse Lockdowns mitgemacht und nun verlängerte sich eben der Weihnachtsurlaub. In Schleswig-Holstein explodierten die Infektionszahlen. Omikron auf dem Vormarsch. Ich war irgendwie auf einmal froh, dass wir das offenbar jetzt, zu einem Zeitpunkt, zu dem wir ohnehin zuhause waren, durchgemacht hatten. In der Zwischenzeit waren die Kinder positiv, sie blieben Gott sei Dank mehr oder weniger symptomfrei.
Mein JA!hresmotto
Während ich noch Grippesymptome hatte, las ich das Buch von Michael Lehofer: „Die Welt sagt den ganzen Tag Ja zu uns. Aber wie oft habe ich das Ja des Lebens übersehen? Wir bilden uns ein, das Leben ist dann in Ordnung, wenn es den Bedingungen entspricht, die wir für ein glückliches Leben unabdingbar finden. Wenn das Wetter schön ist, ist der Urlaub schön. Solcherart entging mir in meinem Leben eine Fülle lebensspendender Ja. Das Ja ist der Sauerstoff für unseren Seelenfrieden. Wir dürfen nicht vergessen, diesen Sauerstoff einzuatmen, nur weil er nicht in der Weise an uns herangetragen wird, wie wir es erwarten.“ Das richtige Buch zum richtigen Zeitpunkt, würde ich sagen. Das „tägliche Ja des Lebens“ wurde plötzlich zu meinem Jahresmotto. Das Ja sehen, auch wenn Nein manchmal zu überwiegen scheint, das finde ich, ist ein schönes Bild. Und geht es nicht letztlich darum, die Jas des Lebens zu schmecken, zu fühlen, zu riechen? Nur so entdecken wir ja jeden Tag aufs Neue wie wertvoll dieses Leben ist. Und so hatte ich dann mein Jahresmotto: „JA(hr)!!“
Testen, testen, testen
Und dann wurde es besser. Ich bin froh, dass ich geimpft bin. Ich schreibe das nicht, um andere zu überzeugen, sondern das ist meine persönliche Meinung. Mein Mann ist geboostert und hatte deutlich geringere Symptome als ich – allerdings ging die Ansteckung innerhalb unserer Familie auch von ihm aus; das bedeutet, auch mit Booster überträgt sich die Krankheit. Deswegen darf ein Booster auch nicht der Freifahrtschein für alles sein. Regelmässige Schnelltestes sind meiner Erfahrung nach unabdingbar. Die haben übrigens auch bei meinen (kleinen) Kindern sehr gut funktioniert und Ergebnisse geliefert. Testen tut nicht weh. Mein Mann und ich waren so neugierig darauf, wie unsere Schnelltests in allen Stadien der Krankheit reagieren würden, dass wir uns ständig selbst testeten. Es sollte niemand als Affront empfinden, wenn vor einem Treffen nach Tests gefragt wird. Im Gegenteil. Ich kann es nur empfehlen. Es ist niemals persönlich gemeint, sondern schützt einfach.
„Die Krankheit verläuft bei jedem anders. Auch deshalb sollten wir umsichtig beim Kontakt mit unseren Mitmenschen sein“, schreibt der Fotograf Mathias Haltenhof auf seinem Blog, der dort auch einen Erfahrungsbericht zum Verlauf seiner Krankheit veröffentlicht hat. Und genauso ist es. Ich glaube immer noch, dass wir, dafür dass wir in einer weltweiten Pandemie stecken, viele Freiheiten haben. Dass die Pandemie nervt, steht ausser Frage. Aber gemeinsam einsam ist besser als einsam einsam, oder? Das habe ich nämlich auch gelernt, in diesen Tagen: Wir haben wahnsinnig liebe Nachbarn, ein tolles Netzwerk an Menschen um uns herum, die uns geholfen haben, für uns einkauften und die Kinder zwischendurch mit besonderen Kleinigkeiten überraschten. Andere zu schützen muss immer das oberste Gebot sein. Deswegen fährt man ja auch nicht besoffen Auto. Ich weiß, das ist ein dummer Vergleich, aber letztlich dann eben auch wieder nicht.
Psychische Belastung
Im Sommer habe ich bereits diesen Artikel gelesen und empfohlen und deswegen hat mich die psychische Belastung, der ich mich von Anfang an ausgesetzt fühlte, vielleicht nicht so sehr überrascht. Im Übrigen hatte ich mit drei verschiedenen Mitarbeiterinnen des Gesundheitsamtes Kontakt und kann hierzu nur sagen: Das waren durchweg sehr freundliche, unterstützende Telefonate. Während die 116117 sich zum Teil eher angestellt hat, als geholfen. Aber egal. Dafür hatten wir zum Glück sehr kompetente Haus- und Kinderärzte und brauchten die Kassenärztliche Vereinigung somit nicht. Uns geht es gut. Ich bin immer noch etwas erkältet. Ich starte ziemlich positiv gestimmt ins neue Jahr. Im wahrsten Sinne des Wortes 😉 Ob ich in acht Wochen ohne Probleme joggen gehen kann, werde ich dann irgendwann hier mal ergänzen. Noch gehe ich davon aus.
An einem Dezembermorgen hatte ich mich ertappt. Alle außer mir waren aus dem Haus. Die Adventskerze flackerte. Ich hatte morgens für die Kinder Rolf Zuckowskis CD „Mein allerschönster Weihnachtstraum“ aufgelegt. Tatsächlich. In unserer Küche steht noch ein CD-Player. Eine Loewe Soundbox. Irgendwann im letzten Lockdown hatte ich den Eindruck gewonnen, dass die Familie harmonischer miteinander umging, wenn Zuckowski Weihnachtsstimmung verbreitete. Nun saß ich alleine in der Küche. Und liess die Musik laufen. Zuckowski sang: „Da war mit einem Mal der Himmel nicht mehr fern. Da sang ein Engelschor: Die Welt ist nicht verloren. Und über allem strahlte hell der Weihnachtsstern.“ Ich wählte die Wiederholungsschleife. Ein Kinderlied tröstete mich. Muss ich mich dafür schämen?
Wie 2020. Nur noch schlimmer
Wer von uns hätte wohl letztes Jahr im Dezember gedacht, dass wir auch 2021 im Advent dieselben Nachrichten lesen, dieselben Diskussionen führen, dieselben Sorgen teilen würden? Nur noch schlimmer. Weil jetzt war ja auch noch: Afghanistan, militärische Aktivitäten an der Grenze zur Ukraine, überall Konflikte und ein neues Wort, das eigentlich gar nicht so fürchterlich klang, wie es sein sollte: OMIKRON. Die Weihnachtspläne werden wir wieder verschieben müssen. Zur dänischen Familie fahren bei einer Inzidenz von über 900? Möchte ich die 800 Kilometer in einem übervollen Zug zurücklegen, um zu meinen eigenen Eltern zu kommen?
Das Kostbare kostbar lassen
Ich hatte gerade einen Blogbeitrag für ein Schweizer Reiseunternehmen geschrieben. „Corona hat uns gelehrt, zu verstehen, dass Reisen keine Selbstverständlichkeit sind“, schrieb ich da. Wir hatten sie uns einfach erschaffen: Eine Welt, in der alles möglich sein sollte und musste. Dafür überrollten wir alles, was sich uns in den Weg stellte. Das Wohl der Natur, der Tiere, der Menschen. Reisen sind kostbar. Die Erfahrungen, die wir dabei machen, noch kostbarer. Und ist nicht alles, was uns kostbar ist, auch so zu behandeln? Wir müssen wieder lernen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Aber trotzdem bedeutet das nicht, dass ich jetzt Trübsal blase, mich aufrege, Gräben grabe zwischen denen, die anderer Meinung sind und mir. Wenn Weihnachten vorbei ist, werde ich zwischen den Jahren, der einzigen Zeit, in der Langsamkeit erlaubt ist, darüber nachdenken wie 365 Tage verlaufen sind. Es werden auch dieses Jahr mehr schöne als schlechte Erinnerungen bleiben.
Chaos. Wunder. Das ist Weihnachten
Vergangenen Dezember hatte ich ein Interview im Süddeutsche Magazin mit dem Münchener Pfarrer Rainer Maria Schießler gelesen. Da sagte er: „Wissen Sie was, die Leute reden immer von einem harmonischen Weihnachtsfest. Warum eigentlich? Als Jesus geboren wurde, war nichts harmonisch: Volkszählung, Militärtruppen, Wucherpreise, Guerilla-Anschläge, das war ein riesiges Durcheinander, und dann wird in einem Stall dieses Kind geboren, ein Wunder im Chaos, das ist Weihnachten.“
Dieses Bild trägt mich nun schon zum zweiten Mal durch die Weihnachtszeit. Ich schiebe es mit einem Schmunzeln vor mir her: Ein Wunder im Chaos. Das ist Weihnachten. Deswegen dürfen wir uns auch ruhig über Weihnachten freuen. Über den Christbaumstollen und die leuchtenden Augen der Kinder. Über jede neue Kerze am Adventskranz, jedes Türchen am Adventskalender. Jede Umarmung, jedes „Frohes Fest“. Den Geruch von Frischgebackenem. Geschenke unterm Tannenbaum. Und natürlich: Rolf Zuckowski. Merry Christmas.
Dieser Text enthält unbezahlte Werbung für die gute Sache
Wie geht es eigentlich der Jugend? Gerade hat eine Frau als Kanzlerin abgedankt, die für Jugendliche ein ganzes Leben lang das Land regierte. Corona hält Jugendliche seit zwei Jahren zurück. Versprechungen werden gebrochen. Aufgehoben ist heute aufgeschoben. Und dann auch noch: Instagram. „Fotografie ist die größte Bewusstseinsmaipulationsmaschine der Welt, und es wird immer schlimmer“, sagte der Fotograf Thomas Ruff Mitte November im Interview mit dem Süddeutsche Magazin. „Jeden Tag werden Millionen von Bildern ins Netz geladen und damit auch Millionen von Lügen. Denken Sie an Millionen Mädchen, die jeden Tag verzweifelt versuchen, sich wie Kim Kardashian zu schminken.“ Ja. Ich denke daran. Schon länger. Jacqueline Draheim-Frank auch. Die passionierte Yogalehrerin studierte Biologie und Germanistik auf Lehramt sowie Psychologie. Sie besitzt die Zulassung als Heilpraktikerin für Psychotherapie und arbeitet in Berlin und Potsdam mit Jugendlichen. Sie kennt sowohl diejenigen, die behütet aufgewachsen sind, überschüttet werden mit Liebe und Erwartungen, aber auch diejenigen, die aus dem sozialen Brennpunkt in der Hauptstadt kommen. Sie kennt Jugendliche mit Burnout und welche, die nie Nestwärme kennengelernt haben. Und sie weiß: Yoga für Jugendliche hat nichts mit Kinderyoga zu tun. Ich wollte schon lange mit ihr reden. Denn sie hat ein Buch geschrieben, gemeinsam mit Jugendlichen. Es heißt „Online mit mir selbst“.
Wie ist sie darauf gekommen? Beim Yoga natürlich. Da gab es junge Leute, die sagten ihr plötzlich: „Das was wir durch Yoga kennengelernt haben, das sollten mehr Jugendliche kennenlernen.“ Und dann nahm das Projekt seinen Lauf.
Yoga für Jugendliche: Yoga meets Bodywork
Jacqueline sagt: „Im Yoga dürfen die Jugendlichen mal durchatmen.“ Aber bis sie an diesen Punkt kommen, dauert es meistens ein bisschen. Deswegen, sagt Jacqueline, selbst Mutter von Jugendlichen, dürfe Yoga für junge Menschen zunächst ruhig einem Fitness-Konzept ähneln. „Am Anfang muss eigentlich die Asana-Praxis im Vordergrund stehen. Ich mache dann so eine Art „Yoga meets bodywork“. Die Jugendlichen wollen sich bewegen, die Mädchen wollen Bauch-Beine-Po. Als Yogalehrer kann man dann entweder aufschreien oder man sagt: ‚Okay, komm, das ist gut; die müssen erst mal in ihren Körper kommen.‘ Ich habe es nicht gewertet, wenn die Jugendlichen gesagt haben: ‚Ich will den Sixpack.‘ Irgendwann später kann man das dann mal thematisieren und fragen: ‚Oder ist es die starke Mitte, die eigentlich wichtig ist?‘ Aber am Anfang wollen Jugendliche nicht zum Yoga kommen, um zu meditieren.“
Jugendliche wollen kein Kinderyoga
Die Realität ist: Für Jugendliche gibt es wenig Yogaangebote. Oder besser: wenig gute. Dabei brauchen gerade die Heranwachsenden einen Herzenskompass. „Wir müssen Jugendliche stärken. Ihnen Selbstwertgefühl geben. Alles, was in dieser Zeit nicht gut läuft, hat einen wahnsinnig starken Einfluss. Und hier kann Yoga so viel bewirken“, sagt Jacqueline. Sie unterrichtet seit vielen Jahren bei Spirit Yoga in Berlin. Kürzlich habe sie gelesen, dass ein Viertel aller Jugendlichen psychische Störungen habe. „Wie heftig ist das denn?“, sagt sie schockiert.
Das Soziale Dilemma
Wir kommen natürlich schnell auf Social Media zu sprechen. Weil ich schon lange beobachte, was das mit einem macht. „Jugendliche haben heute eine ganz andere Aufgabe als wir noch damals. Sie müssen nicht nur eine Identität in ihrer Klasse entwickeln, in ihrem Freundeskreis, sondern auch eine digitale Identität. ‚Hast du Insta?‘, das ist heute die erste Frage, die Jugendliche einander stellen, wenn sie sich kennenlernen. Und dann ist da sofort ein enormer Druck.“
Zum Beispiel der Druck, sich so zu schminken, wie die Kardashians. Das Schwierige an der ganzen Sache ist: Schon Erwachsene haben oft kein Selbstwertgefühl. Und Selbstwertgefühl ist so wichtig, wenn wir uns in die Sozialen Medien begeben. Wie sollen Erwachsene es also Jugendlichen und Kindern vermitteln? Das ist ein bisschen so, wie dem gestressten Gymnasiallehrer zu erzählen, er müsse jetzt auch Achtsamkeit mit in den Lehrplan nehmen. „Instagram ist wie eine Bewerbungsmappe“, sagt Jacqueline. Und Instagram bedeutet, den ganzen Tag über Vergleiche zu ziehen. Und so kommt man automatisch ins Leiden. Gibt es einen Weg dort hinaus? „Alle löschen, die einem nicht gut tun“, sagt Jacqueline, „dann kann Instagram natürlich auch gute Seiten haben. Aber wer hat schon so viel Selbstwert, dass du immer damit umgehen kannst und es verstehst, im Moment zu leben?“ In ihren Yogastunden lehrt sie ihre Schüler/innen Achtsamkeit. „Kümmere dich um den Mensch der vor dir steht und nicht um irgendeinen schönen Bauch auf Instagram“, sagt sie.
„Sei dir selbst ein Freund„
Als Eltern habe man die Aufgabe, den Kindern immer wieder zu zeigen, dass sie gut sind, wie sie sind. „Das ist unser Erziehungsauftrag“, sagt sie bestimmt. Den Jugendlichen zeigt sie, wie sie sich selbst ein eigener Freund, eine eigene Freundin sein können. „Das haben viele verlernt.“
In „Online mit mir selbst“ geht es um Felicy, ein Mädchen, das auf dem Weg ist, erwachsen zu werden. Und das ist manchmal ganz schön anstrengend – vor allem, wenn man mit seiner durchgeknallten Ökomama in Berlin-Mitte lebt und sich unglücklich verliebt. Die Geschichte von Felicy ist aber nicht nur eine Geschichte, sondern zeitgleich ein Ratgeber für die Pubertät. Promis, Mediziner, Psychotherapeuten, Influencer, Sportler, Yogalehrer, Unternehmer und die Jugendlichen selbst geben Tipps, Erkenntnisse und zumeist Antworten auf die Frage: Was hättest du deinem jüngeren Ich gesagt? Das Buch ist ein Werkzeugkoffer mit Tools für das Selbstwertgefühl.
Yogalehrer/in für Jugendliche
Jacqueline Draheim bietet übrigens bei Spirit Yoga auch eine Ausbildung als Yogalehrer für Jugendliche an. Denn Yoga für Jugendliche muss sich unbedingt von Kinderyoga unterscheiden. In dem Kurs vom 1. bis 3. April in Berlin lernst du unter anderem, welche Themen besonders relevant für die Unterrichtsgestaltung sind, warum nur wenige Jugendliche zum Yoga finden und wie wir das ändern können, auf welche Schwierigkeiten bei dieser Arbeit du vorbereitet sein solltest und vieles mehr.
Sylvia Furrer und Holger Hoffmann reisten mit Rentieren durch Sibirien, sie lebten bei Indianern im Amazonas, besichtigten die höchsten Sanddünen der Welt in der Inneren Mongolei, zogen mit einem Guide, der mit Gesten kommunizierte, durch Mauretanien. Gerade planen sie eine Camperreise von der Schweiz bis nach Südafrika. Von 1977 bis heute haben sie gemeinsam 78 Reisen außerhalb Europas unternommen, davon die Hälfte in Asien und knapp ein Drittel in Afrika. Lediglich acht Reisen waren „on the beaten track” und drei mit dem eigenen Fahrzeug.
Nachdem es auf einer der ersten Reisen fast zu einer Katastrophe gekommen war, entwickelten sie angelehnt an Star Trek ihre „Strategie 1“ – den Schadensbericht. „Als sich nach dem Studium ein Zeitfenster von fünf Monaten öffnete, wollten wir dieses für eine längere Rucksackreise nach Indien, Sri Lanka und Nepal nutzen. Zu Beginn machten wir alles falsch: Wir sparten bei den Unterkünften, tranken eisgekühlte Getränke statt heißem Tee und ließen uns ein paar Mal leichtfertig übers Ohr hauen. So litten wir unter den Bissen von Bettwanzen und Flöhen, hatten Bauchkrämpfe und Durchfall und waren dauernd auf der Hut vor weiteren Betrügereien. Die Reise drohte zu einem Desaster zu werden. Der Tiefpunkt kam in Varanasi: Sylvia fühlte sich miserabel und bat mich, sie ins Guesthouse zurück zu bringen. Ich wollte aber fotografieren und verstand nicht, wo ihr Problem lag. Sie war zu schwach, um meine Fragen zu beantworten und ich verstand nicht, warum sie sich nicht klarer ausdrückte. Wir hatten ein Kommunikationsproblem. Erst als sie sich nicht mehr von der Stelle rührte, realisierte ich die Ernsthaftigkeit der Situation. Da wurde uns beiden klar, dass wir so nicht weiter miteinander reisen können.“ Heute weiß Holger, dass Sylvia in Situationen, in denen es ihr schlecht geht, stiller wird.
Strategie 1: Schadensbericht
Gerettet hat sie Science Fiction. In Anlehnung an die Schadensberichte in „Star Trek“ begannen sie damit, sich auf Reisen allmorgendlich gegenseitig über die Befindlichkeit von Kopf bis Fuß abzufragen. Dabei ging es zuletzt immer um den Allgemeinzustand und die Moral, welche die beiden mit einer Note umschreiben. „Weniger als 4 ist Alarmzustand. Dann wäre z.B. ein Ruhetag angesagt“, erklärt Holger. Der Nutzen des Schadensberichts liegt in der frühzeitigen Erkennung sich anbahnender Probleme. Sind diese kommuniziert, kann der Partner bei der nächsten Rast oder am Abend nachfragen, seine Anteilnahme ist gesichert und Maßnahmen werden frühzeitig ergriffen. „Das ist ein Ritual, einer von uns fängt an und man hört primär mal zu. Wichtig ist: Den anderen vollständig aussprechen zu lassen. Bis alles raus ist. Man darf natürlich unterbrechen und nachfragen“, sagt Sylvia.
Strategie 2: Recovery Tent
„Ermutigt von den positiven Erlebnissen auf unseren Reisen, öffneten wir uns Kulturen, die ganz anders funktionieren als wir. Oft kamen wir jedoch an unsere Grenzen, sei es bezüglich extremer Klimaverhältnisse, körperlicher Anstrengung beim Trekking, schlechter Hygiene, uns anfänglich ekelnder Speisen. Dazu kamen für uns unvorstellbare Gesundheitsprobleme der Bevölkerung und das Versagen gewisser Staaten bezüglich Schulung von Kindern oder Bereitstellung der primitivsten Infrastruktur wie Brunnen, brauchbare Straßen oder Versorgung mit Energie. Unser Bestreben war immer, jedem Einzelnen mit Respekt zu begegnen. Aber es ist nicht immer leicht, wenn uns Wohlstandsverwöhnten so viel Elend und systemimmanente Probleme begegnen. Und wie schaffen wir es, unsere Betroffenheit und Stimmung nicht an ihnen oder am eigenen Partner oder der Partnerin auszulassen? So entwickelten wir mit den Jahren auf unseren Reisen, die uns zunehmend zu entlegenen und nicht immer leicht zugänglichen Kulturen führten, Schritt für Schritt eine weitere Strategie“, berichtet Holger.
Als sie in Kamtschatka mit drei Russen unterwegs waren, nahm ihr Guide eine Flasche Alkohol hervor und jeder musste vor dem Trinken aus dem kleinen Glas einen Trinkspruch zum Besten geben. Meist ging es um die Freundschaft zwischen den Völkern oder um Wünsche bezüglich Gelingens des gemeinsamen Trekkings. Dabei war nie einer betrunken, eher liebevoll konzentriert auf die mit dem Gesagten verbundenen Emotionen.“
Ein anderes Ritual lernten sie, als sie mit ihrem Guide im Südwesten von Angola unterwegs waren: „Sobald wir einen Übernachtungsplatz im Busch gefunden hatten, wurden zuerst die Campingstühle und der Tisch aufgestellt, dann aus der mitgeführten Kühltruhe Gläser mit Cola und Brandy gefüllt und beim Sundowner ein Tagesrückblick ausgetauscht. Erst danach stellten wir das Zelt auf und machten uns ans Kochen des Abendessens.“ Diese Rituale übernahmen sie teilweise für das eigene Wohlbefinden. „Auf unseren Trekkingreisen in Irian Jaya, bei den Kogi in Kolumbien oder den Naga in Myanmar, während denen wir den ganzen Tag eng mit Menschen ganz anderer Kulturen verbracht haben, lernten wir, wie wichtig es für unsere Psychohygiene ist, uns am Abend vor dem Nachtessen für eine halbe Stunde in das Zelt zurückzuziehen und von all den intensiven Eindrücken etwas Distanz zu gewinnen. Wir nennen das ‚Rückzug ins Recovery Tent‘“.
Das Paar realisierte schnell einmal, dass es unter Spannung steht, sobald es sich außerhalb der vertrauten Zivilisation aufhält. Das betrifft uns alle. Das Erlebte beschäftigt uns meist stärker, als wir das wahrhaben wollen.
Auch hier denke ich wieder an die Kinder, die häufig mit Situationen beschäftigt sind, die für uns Erwachsene kaum Belang haben. „Emotionale Spannung kann leicht falsch ausagiert werden. Eine Möglichkeit sie zu reduzieren, ist der ritualisierte Tagesrückblick im Recovery Tent. Es ist ein Rückzug zum Reflektieren. In islamischen Ländern machten wir die Erfahrung, dass dieses Ritual auch ohne Alkohol wirkt“, sagt Holger. Zuhause brauchen Sylvia und Holger zwar kein Recovery Tent, aber dafür gönnen sie sich gelegentlich eine „Happy Hour“. Das bedeutet dann, dass sie einfach mal gemeinsam etwas geniessen, besprechen, innehalten.
Strategie 3: Lola rennt!
Selbst in einer langjährigen Beziehung ist die Kommunikation zwischen den Partnern oft von Missverständnissen geprägt. Das führt unweigerlich zu gehässigen Reaktionen und Streit. „So sehr wir uns immer wieder mehr Gelassenheit wünschen und dauernd daran arbeiten, haben wir uns gelegentlich in einer Negativspirale mit unnötigen Verletzungen verrannt, aus der es fast kein Zurück mehr gab. Das Konzept mehrerer Optionen wird oft in Filmen umgesetzt. Dies geschieht durch die Darstellung alternativer Handlungsstränge („Was wäre, wenn…?“). Gute Beispiele dafür sind die Filme „Und täglich grüßt das Murmeltier“ und „Lola rennt“. Letzterer zeigt dreimal dieselbe Zeitspanne von 20 Minuten, jeweils mit kleinen Detailunterschieden, die die Handlung zu einem völlig anderen Ausgang führen“, berichtet Holger.
Eine ihrer ersten gemeinsamen Reisen: „Wir haben so ziemlich alles falsch gemacht, was man falsch machen kann.“
Auf einer fast sechs Monate dauernden Reise nach Zentralasien entwickelten sie folgende Regel: Sobald sich einer durch Äußerungen oder Handlungen verletzt fühlte, sprach er die Zauberworte: „Schnitt! Lola renn!“ Dem anderen wird damit klar, den „bisherigen Film“ hier anzuhalten und einen Moment innezuhalten. So erhalten beide die Gelegenheit, emotional etwas Distanz zu gewinnen und zu reflektieren, was bisher schief gelaufen ist. Erst dann ist es möglich, eine alternative Realität zu kreieren mit einer Wortwahl oder Handlung, die einen weniger verletzenden Effekt hat. Je früher die Intervention erfolgt, desto leichter fällt es dem anderen, darauf einzugehen. Oft führt dies dann sogar zu einem Lachen auf beiden Seiten. Grundsätzlich will ja keiner den anderen verletzen.
Die „Lola-rennt-Strategie“ habe ich tatsächlich schon bei meinen Kindern angewendet, bevor ich mit Holger und Sylvia gesprochen hatte. Beispiel: Ein Kind knipst abends vorm Schlafengehen das Licht aus, das andere bricht in Tränen aus, weil es auch das Licht ausknipsen wollte. Ich frage nach, wo das Problem liegt und wende dann „Lola rennt“ an. Das andere Kind darf das Licht ausknipsen. Manchmal lasse ich beide tatsächlich einige Male das Licht ausknipsen. Denn wem bricht es einen Zacken aus der Krone? Dem Stromnetz? Mir? Nein. Für die Kinder hat es aber eine große Bedeutung. Manchmal kommt es zu Konflikten zwischen mir und einem Kind. Und es gibt Gelegenheiten, da muss ich mir eingestehen, dass das Kind eine bessere Lösungsmöglichkeit vorgeschlagen hat als ich. Auch dann kommt „Lola rennt“ ins Spiel – meine Kinder dürfen dann ihren statt meinen Lösungsvorschlag umsetzen.
Selbst entscheiden, wer ich bin
„Es lohnt sich, um eine Paarbeziehung zu kämpfen, nicht nur auf Reisen“, sagt Holger. „Wir haben auch gelernt, dass wir die Bedürfnisse des anderen wahrnehmen und respektieren müssen“, sagt Sylvia. Sie erzählt ein Beispiel: „Manchmal kamen wir in ein Hotel, waren hundemüde und einer von uns warf sich sofort aufs Bett. Doch der andere sagte: Das hier stimmt für mich nicht. Lass uns woanders übernachten. Es gab Zeiten, da haben wir das nicht ernst genommen, waren genervt, weil wir nur an die eigene Befindlichkeit gedacht haben. Aber das Unwohlsein des anderen hat einen Grund. Das ungute Gefühl hat sich oft bestätigt. Und so haben wir gelernt das zu akzeptieren.“
Sie nennen es eine Co-Evolution, die sie auf den Reisen durchgemacht haben: „Wir haben gelernt, aufeinander zu hören und Vertrauen ineinander zu haben“, sagt Sylvia. „Uns hat die Auseinandersetzung mit dem radikalen Konstruktivismus geholfen: „Jeder Mensch kreiert sich seine eigene Wirklichkeit.“ Das ist nicht wertend. Ich muss nicht die die Wahrheit für mich in Anspruch nehmen. Jeder hat seine Sichtweise. Manchmal ertappen wir uns dabei, dass wir uns nicht nach diesen Erkenntnissen verhalten“, bekennt Holger. „Wenn etwas unerträglich wird, dann muss man das Gespräch suchen. Dem anderen sagen, ich leide darunter.“ Holger zitiert gerne den Kybernetiker Heinz von Förster: „In jedem Augenblick, kann ich entscheiden wer ich bin.“