Kategorie: Meditation

Fünf Wochen Staunen

Doris Iding ist in der Yogaszene keine Unbekannte. Sie ist seit 20 Jahren Redaktionsmitglied von Yoga Aktuell und hat viele Bücher zu den Themen Meditation, Achtsamkeit und Yoga geschrieben – 18 davon wurden in andere Sprachen übersetzt. Ich habe mit der MBSR- und Meditationslehrerin über ein ganz besonderes Erlebnis in ihrem Leben gesprochen: ein fünfwöchiges Schweigeretreat in Thailand, ausgerechnet kurz bevor die weltweite Corona-Pandemie ausbrach …

Vor Weihnachten 2019 und bis Ende Januar 2020 warst du in Thailand auf einem fünf Wochen andauernden Schweigeretreat. Wie war der Tagesablauf?

Morgens begann die erste Meditation um vier Uhr. Um sieben war die nächste gemeinsame Meditation, bei der wir auch gemeinsam gechantet haben. Dann gab es Frühstück und danach war eigentlich erst einmal freie Zeit. Zwischen 11.30 Uhr und 13 Uhr gab es Mittagessen, danach gab es immer einen Vortrag. Der Nachmittag war dann wieder frei und um 18 Uhr gab es eine letzte gemeinsame Meditation. 

War euer Retreat-Leiter, ein ehemaliger buddhistischer Mönch, sehr streng mit euch?

Nein, überhaupt nicht. Wir waren alle sehr frei. Das schätze ich auch so an Master Han Shan. Das war auch das Tolle an dieser Zeit: Wir konnten so viel meditieren, wie wir wollen. Nichts war Pflicht. Für mich, jemanden, der sehr unruhig ist und sich beispielsweise sehr schwer damit tut, den ganzen Tag lang zu sitzen, war das wunderbar. 

Und was hast du dann in der freien Zeit eigentlich gemacht? Wie kann man sich das vorstellen, fünf Wochen ohne „Geschwätz“?

Oh, ich habe das einfach sehr genossen. Ich habe viele Sitzmeditationen und auch sehr viele Geh-Meditationen gemacht. Es gab einen kleinen Wald, in dem mehrere Tempel standen. Dort habe ich mich sehr viel und sehr gerne aufgehalten. Ich habe die Natur genossen. Einfach gestaunt. Und ich habe auch viel geschrieben. In so einer Zeit fliesst es natürlich nur so aus einem heraus. Und ich habe viel gemalt. Das ist aber auch eine Art Meditation.

Fünf Wochen keine Gespräche. Nicht mal mit dir selbst, war das nicht sehr hart?

Ich habe das sehr genossen, weil ich normalerweise sehr viele Menschen treffe. Ich fand es auch sehr entspannend, mich nicht austauschen zu müssen über die bekannten Yogalehrer, die ich für Yoga aktuell interviewt habe. Wir alle definieren uns auch in der Yogaszene doch sehr über solch äußere Dinge. Deshalb habe ich es sehr genossen, einmal nur für mich zu sein. Allerdings habe ich um Weihnachten, Silvester und Neujahr ein paar SMS geschrieben – das war auch total okay. Ich hatte auch sehr klare Träume in dieser Zeit. Und wenn ich von jemandem träumte, den ich kannte, habe ich auch mal eine WhatsApp geschrieben. Das war völlig okay für mich. Ich habe mich dabei auch sehr gut beobachten können und konnte erkennen, wie viel Energie so ein Handy absorbiert. Die Nachrichten, die ich dann gelesen haben, haben mich natürlich auch sofort wieder weggebracht von der inneren Stille: raus aus der Stille, rein ins Gedankenkarussell. Es war sehr spannend, diesen Prozess zu beobachten. Es war auch sehr spannend, wie gut es mir dann mit etwas Übung gelungen ist, mich wieder zu mir selbst zurückzuholen. Davon abgesehen: Ich finde wir müssen nicht immer so streng mit uns sein. Die Strenge während eines Retreats oder während der spirituellen Praxis ist für mich etwas sehr Männliches. Sie stammt aus den alten, patriachalen spirituellen Traditionen. Die sind meiner Ansicht nach heute nicht mehr gültig. Ich glaube wir dürfen eher lernen, etwas mehr Selbstmitgefühl mit uns zu haben. Aber natürlich braucht es ein gewisses Maß an Selbstdisziplin, um während eines solchen Retreats tiefe Erfahrungen machen zu können. Selbstverantwortung war hier auch eine wichtige Botschaft für uns. Wir sollten selbst entscheiden, wie viel wir praktizieren. Und das fand ich sehr schön.  

Fünf Wochen sind aber nun nicht sieben Tage. Gab es nie den Moment, an dem du dir gesagt hast: Jetzt reicht es?

Doch, den gab es natürlich. Und du hast Recht, fünf Wochen sind sehr lang. Das sagte übrigens auch unser Retreatleiter. Jemand, der so etwas noch nicht gemacht hat, sollte vielleicht nicht unbedingt mit fünf Wochen starten. Eher mit drei. Und genau das war auch der Zeitpunkt, da habe ich gedacht: „Jetzt habe ich genug.“ Ich mache so etwas aber auch nicht zum ersten Mal, ich würde sagen, einmal im Jahr gehe ich in die Stille. Das mache ich schon viele Jahre. Aber so lange am Stück habe ich das natürlich auch noch nie gemacht. Ich hatte dann nach drei Wochen wirklich den Impuls: Jetzt reicht es mir, jetzt habe ich so viel erfahren, so viel gelernt. Und dann habe ich mir einfach gesagt: Jetzt mache ich es mir hier schön. Jetzt genieße ich das einfach. Wir waren ja wahnsinnig gut versorgt, das Essen war superlecker. Da war eine gute Energie, das wollte ich nutzen. Und: ich wollte natürlich auch durchhalten. Früher hätte ich nach drei Wochen meine Koffer gepackt und wäre an den nächsten Strand gefahren und hätte mir dort noch zwei schöne Wochen gemacht. Deshalb war es eine schöne Erfahrung für mich, dazubleiben und nicht wegzulaufen für mich in einem Moment, in dem es mir reicht. 

Was hast du als besonderes Learning mitgebracht?

Das Staunen. Das habe ich auf diesem Retreat wirklich wieder gelernt. Zu staunen. Beispielsweise über den Sternenhimmel. Der war wirklich unglaublich. Und dann dieser Moment am frühen Morgen, wenn es in Asien von einem auf den anderen Moment hell wird. Ein unfassbarer Moment. In so einer Situation hast du ja wirklich wieder Zeit, dich auf solche Dinge zu fokussieren, sie bewusst wahrzunehmen. Ich erinnere mich aber auch noch an einen Schmetterling, den ich tagelang beobachtet hatte und der mich sehr faszinierte. Eines Tages habe ich einfach meine Hand geöffnet und er hat sich auf diese Hand gesetzt. Das war eine absolut bildliche Erfahrung: Die Dinge kommen schon zu mir, ich muss ihnen nicht hinterherrennen …

War es schwierig, nicht mit den anderen Gästen zu sprechen?

Ja und nein. Es gab einen Retreatleiter, der sehr genau darauf geschaut hat, dass wir uns nicht unterhalten. So etwas macht mich jedoch eher wütend. Ich bin keine drei Jahre alt, sondern kann selbst entscheiden, was ich tue. Und davon abgesehen, wenn man sich unbedingt mit jemanden austauschen wollte, gab es doch immer eine Gelegenheit, sich zu treffen ohne das andere es gesehen haben. Aber alles in allem hat es schon sehr gut getan, bei sich zu bleiben. Wir sind normalerweise ja doch sehr abhängig davon, ob andere uns anlächeln, mit uns sprechen etc. Und mal ganz für sich zu sein, ohne anderen gefallen zu wollen, Anerkennung zu bekommen etc. hat schon auch etwas sehr Befreiendes. 

Der Retreat war kurz vor dem Lockdown, du bist am 23. Januar zurückgekommen. Aus der Stille in eine eigentlich neue, veränderte Welt. Wie war das?

Ich bin aus der Stille zunächst nach Bangkok auf den Flughafen gekommen und das überforderte mich total. Ich hatte da den Impuls: jetzt ist mal Schluss mit dieser ewigen Reiserei. Diese fünf Wochen haben mich so in mein Herz gebracht, und da dachte ich wirklich: Ich will nicht mehr so viel Reisen. Als ich in München ankam, hat sich dieser Gedanke noch mehr verfestigt. Und dann kam ja auch schon bald Corona. Eigentlich war Corona ein Geschenk für mich. Denn in der gewohnten Umgebung musste ich erst einmal ein gutes Mittelmaß an Treffen mit Freunden und Familie und Stille finden. Ich war unvorbereitet darauf, wieder in das normale Leben zurückzukommen. Ein weiteres Mal würde ich mir aber auch einfach mehr Zeit lassen mit dem Ankommen. Ich hatte beispielsweise kurze Zeit später Geburtstag und dachte, ich wolle das unbedingt mit einigen Leuten feiern. Ich habe bei der Vorbereitung gemerkt, dass mich alleine das einkaufen überfordert hat. Ich habe das Fest wieder abgesagt. Gespräche haben mich die ersten Wochen sehr angestrengt. So gesehen war der Retreat eine tolle Vorbereitung auf die Pandemie-Zeit. 

Kannst du das noch etwas genauer erklären?

Ja, wir denken ja auch immer, wir müssten arbeiten oder irgendetwas tun oder erledigen. Am besten 24 Stunden rund um die Uhr kreativ sein. Dürften keine Minute dabei verlieren. Die Corona-Zeit hat uns gezeigt, dass das eben nicht so ist, dass es auch mal anders geht. Und das ist eine Erfahrung, die ich auch während dieser Reise gemacht hatte. Und fünf Wochen Schweigen haben natürlich sehr gut auf den gesellschaftlichen Stillstand vorbereitet.

Müssen wir, um uns selbst kennenzulernen, beginnen, zu schweigen?

Ich finde, dass Meditation eine wunderbare Art ist, sich kennenzulernen. Dieses „Nachinnenschauen“ offenbart uns, wer wir sind, wie wir denken, wie wir fühlen. Das kann natürlich für viele sehr erschreckend sein. Besonders dann, wenn man sehr auf äußere Reize fixiert ist und von der Anerkennung anderer durch Klicks und Likes angewiesen ist. Dann kann einen schon mal ein Gefühl von Leere überkommen, wenn man schweigt und sich mit sich selbst konfrontiert. Aber man braucht nicht gleich mit einem Fünf-Wochen-Retreat beginnen. Vor 20 Jahren hätte ich fünf Wochen Schweigeretreat nicht ausgehalten. Ich glaube, wer wirklich achtsam ist, lernt sich jeden Tag neu kennen. 

Mehr über Doris Iding: http://vomglueckderkleinendinge.blogspot.com

Ein Stück vom Glück …

Seit dieser Woche findest Du auf meiner Webseite kostenlose geführte Meditationen. Sie sind nicht besonders lang; der Fokus liegt auf Acht-Minuten-Meditationen. Wie wohltuend diese kurze aber wertvolle Zeit der Ruhe und Besinnung sein kann, habe ich bereits mehrfach beispielsweise hier und hier beschrieben.

Meditiere auf deine Weise

Meditation ist auf viele Arten möglich. Wenn es dir schwerfällt, Zeit für „Nichtstun“ einzurichten und du Stille eher beängstigend findest, dann beginne doch damit, einmal achtsam durch den Wald zu spazieren. Nimm dir vor, beim Joggen auf den Sound deiner Atmung zu achten, statt über dein nächstes Projekt zu sinnieren. Vielleicht einmal auf die „Tagesthemen“ verzichten, stattdessen zehn Minuten früher ins Bett zu gehen und bewusst darüber nachzudenken, wofür du an diesem Tag dankbar warst. All das beinhaltet Meditation. Ich bin ein großer Fan von Victor Davichs Buch „8 Minuten Meditation“. Denn acht Minuten tun nicht weh. Davich erklärt im Buch auch anschaulich, wie Meditation beim Gehen, beim Abendessen zubereiten, ja sogar im Supermarkt möglich ist. Dabei sagt er: „Denke daran, dass Meditation in Aktion nicht bedeutet, etwas in Slow-Motion auszuführen.“ Führe die Aktionen in dem Tempo aus, in dem sie ausgeführt werden müssen. Und auch da ist Meditation eine Übungssache. Aber eine, die sich lohnt, denn es führt dazu, Dinge, die getan werden müssen mit einer gewissen Zufriedenheit auszuführen.

Beende den Anspruch, im Meditieren gut zu sein

Michael James Wong, ein Yogalehrer aus London, hat diese Woche auf seinem Instagram-Profil geschrieben: „I find the greatest obstacle for meditation is that people have a need to be good at it quickly, the irony is, the harder you try, the less benefit you find. Break the need from wanting to achieve and just appreciate the time to close your eyes, be still and just breathe.“ Menschen beginnen zu meditieren, und haben dabei gleich den Anspruch darin „gut“ zu sein. Doch genau da liegt das Problem: Um so stärker wir etwas von der Meditationspraxis erwarten, um so weniger Profit können wir daraus ziehen. Das ist das Paradoxe an der Meditationspraxis: Meditieren bedeutet, zu Üben Ja zum gegenwärtigen Moment zu sagen. Das gelingt aber nicht, wenn wir uns „nicht gut genug zum Meditieren“ fühlen. Wenn wir also damit aufhören, an unsere Meditationspraxis Erwartungen zu knüpfen, beginnen wir damit, die Zeit der Stille und des Bewusstseins zu geniessen. Jeder bewusst durchgeführte Atemzug ist ein Stück vom Glück.

Wenn Ohren atmen …

Und noch etwas: Höre manchmal einfach genau hin. Beispielsweise auf die Stille. Wie hoch der Geräuschpegel in meinem Leben ist, wurde mir erst Silvester vor zwei Jahren bewusst. Da hatten wir Besuch von einer Freundin, die alleine lebt. „Es war schön bei euch“, sagte sie mir am Tag der Abreise, „aber Wahnsinn, welchem Geräuschpegel du immerzu ausgesetzt bist.“ Seit dem genieße ich die Stille wirklich in besonderem Maße. Sie fehlt mir nicht wenn ich in meinem Alltagstrubel bin, aber ich nehme sie sehr bewusst wahr, wenn sie auftaucht. Dann scheint es, als würde ich meine Ohren aufatmen hören …

Die Espresso-Meditation

So langsam fühlt sich der Lockdown an, als wolle er nie enden. Wie kommt man da durch, wenn egal wo im Raum ich mich befinde, die Perspektive unauffindbar scheint? Einmal am Tag alles auf den Kopf stellen, hilft. Aber die Perspektive habe ich dann immer noch nicht gefunden. Nur am Dienstagabend, da hatte man für einen kurzen Moment das Gefühl, der ganze Planet würde tanzen …

Eine halbe Stunde im Lotussitz …

Ich erinnere mich noch daran, als ich meiner Atemlehrerin erzählte, ich hätte – ungefähr als meine jüngste Tochter ein knappes Jahr alt war – das dringende Bedürfnis gehabt, Meditationen wieder in meinen Alltag zu bauen. Jeden Morgen, am liebsten eine halbe Stunde – so hatte ich mir das vorgestellt. Was soll ich sagen, dieses Projekt ging völlig schief. Es war immer was. Ein Kind krank, eins beim Weinen, dann wollte ich in vier Stunden ohne Kinder immer siebenhundert Termine packen. Uhh, für die Meditation war ich da einfach zu gestresst 😉 Keine Zeit. Meine Lehrerin lachte herzlich darüber. Es scheint ein Klassiker zu sein. Wer bringt uns auch schon bei, dass Meditation eigentlich überall und nahezu jederzeit möglich ist? Dass wir keine halbe Stunde brauchen, um uns daran erinnern zu können, achtsam mit uns selbst oder anderen umzugehen? Und dass sie auf gar keinen Fall dazu führen soll, dass wir uns noch gestresster fühlen als wir uns ohnehin schon fühlen. Ich stelle mir es bildlich vor, wie ich jammernd bei einer Therapeutin sitze und ihr erzähle: „Täglich meditieren zu wolle, setzt mich so wahnsinnig unter Druck …“ Die weitläufige (westliche) Vorstellung von Meditation beinhaltet das Sitzen im Lotussitz (alleine daran würden ja schon 99,9 Prozent der Menschheit scheitern) während mindestens einer halben Stunde. Etwas anderes ist Meditation in unseren Köpfen zunächst einmal nicht. Dabei hat doch schon jemand versucht, es uns sehr früh beizubringen: Beppo Straßenkehrer aus dem Buch Momo: „Man darf nie an die ganze Straße auf einmal denken, verstehst du? Man muß nur an den nächsten Schritt denken, an den nächsten Atemzug, an den nächsten Besenstrich. Und immer wieder nur an den nächsten (…) Dann macht es Freude; das ist wichtig, dann macht man seine Sache gut. Und so soll es sein.“ Das sagte er, und es hieß nichts anderes als tue etwas achtsam und es ist Meditation (und der Schlüssel zum Glück nebenbei).

Meditation wie ein Espresso

Es ist noch nicht lange her, da hörte ich das erste Mal etwas von der (Achtung fancy inszenierter Name!) Instant Meditation. Wie Instant Kaffee. Nur besser eben. Instant Meditation bedeutet, „mehrmals am Tag in unseren Aktivitäten innezuhalten und mit wohlwollendem Interesse bei uns selbst vorbeizuschauen“, schreibt Lienhard Valentin in dem Buch achtsamkeit. mitten im leben (Hg: Britta Hölzel und Christine Brähler). Das kann man – ja müssen wir sogar – lernen. Es geht dabei eigentlich nur darum, die Aktivität, die man gerade ausübt, für einen kurzen Moment zu stoppen, innezuhalten und sich wirklich ernsthaft die Frage zu stellen, wie es uns gerade geht. Wenn wir merken, dass wir angespannt sind, lautet die nächste Frage, wie wir uns dabei helfen können, diese Anspannung im besten Fall zu lösen, oder uns selbst so zu unterstützen, dass unsere Anspannung uns nicht im nächsten Moment komplett aus der Fassung bringt.

Post-it nicht vergessen!

Ich habe es mir wirklich angewöhnt, mich daran zu erinnern, dass ich überall und nahezu in jeder Körperhaltung tief in meinen Bauchraum atmen kann. Das genügt manchmal schon, dem aufkommenden Wutanfall einer Fünfjährigen standzuhalten. Oder besser gesagt: ihr dann auf Augenhöhe zu begegnen statt als genervter Erwachsener. In dem Buch Mind Gym habe ich gelesen, dass Motivationscoach Gary Mack seinen Topathleten den Rat gegeben hat, sich orangefarbene Sticker mit der Aufschrift „Breathe and Focus“ überall hin zu kleben. Ein Hockeyspieler klebte sie beispielsweise auf den Schläger, ein Baseballspieler klebte ihn unter den Schirm seiner Kappe … Ich glaube, für den Rest des Lockdowns mache ich mir Post-its mit den Hinweisen: „Einatmen. Ausatmen.“ und „Wie geht es mir?“

Wie hilfreich wäre es gerade jetzt, wenn wir die Instant-Meditation verinnerlicht hätten? So schwer ist das ja nicht. Wir müssen uns lediglich daran erinnern, dass wir uns die Frage „Wie geht es mir?“ mehrmals täglich stellen dürfen. Wie wohltuend es ist, tief ein- und auszuatmen. Und dass es nicht verwerflich ist, wenn wir darauf achten, dass es uns gut geht, denn nur dann können wir auch wirklich anderen Gutes tun.

Meditation – so gelingt das

Auf dem Blog ohhhmhhh habe ich diesen Text gelesen:  „Nu hört doch mal auf“ hieß der. Und „wir zeigen der Morgenroutine den Mittelfinger“. Der Text kam gerade recht. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt eine noch nicht ganz einjährige Tochter und eine Dreijährige. Ich hatte aber auch den Eindruck, unbedingt meditieren zu müssen, um alles zu schaffen, was ich so schaffen will, um meine „Yogapraxis“ auf die richtige Ebene zu bringen und überhaupt wollte ich ja auch etwas Gutes damit für mich tun. Aber die Nächte waren immer noch anstrengend und tagsüber – mit mindestens einem Kleinkind zuhause – wollte mir das mit der Meditation nicht regelmässig gelingen. Dann kam der Mittelfinger-Text und die Autorin schrieb auf die Frage, was denn ihre Morgenroutine sei den schönen Satz: „“Ach, ich hab da was ganz Tolles entdeckt: Ich dreh mich einfach noch mal um!” Der Satz rettete mir den Tag. F*** you, Morgenroutine!

Meditation ist trotzdem unumstritten etwas Wunderbares. Nur: Liegenbleiben ist das ja auch manchmal. Wer wirklich Lust hat, zu meditieren, kann das einfach dann machen, wenn der Zeitpunkt richtig ist. Es muss nicht morgens um fünf sein. Wenn alle Kinder aus dem Haus sind beispielsweise. In der Mittagspause. Oder abends, wenn alle anderen im Bett sind.  Meditieren muss auch nicht stundenlang dauern. Zu Beginn reichen schon drei Minuten aus. Wie überraschend schnell sie vorübergehen, wenn wir erst einmal begonnen haben, die Stille zu genießen! Und auch wenn viele Gedanken durch den Kopf schiessen – egal. Meditieren bedeutet auch Üben. Gänzliches Ausschalten von Gedanken gelingt nicht mal Meditationsprofis. Ziel der Meditation ist es, gegenwärtig mit dem zu sein, was jetzt ist. Dadurch kommt man in einen Konzentrationszustand, der beruhigend ist.

Meditation = viele Missverständnisse

Ein immer wieder auftauchendes Missverständnis über Meditation ist übrigens, dass wir uns ruhig fühlen müssen, um überhaupt meditieren zu können. Stimmt aber gar nicht. Du hast gerade das Gefühl, innerlich durchdrehen zu müssen? Wird Dir alles zu viel? Läuft das Gedankenkarussel gerade im Karachcho? Super. Setz Dich hin, meditiere! Uns hinzusetzen und nichts zu tun ist zunächst etwas Neues für uns. Wir sind so sehr darauf konditioniert zu funktionieren, aktiv zu handeln und nur liegend/schlafend zu ruhen, dass Meditation erst erlernt werden muss. Wenn wir erst mal sitzen, spüren wir, dass Stille – statt permanenter Beschäftigung mit dem Smartphone beispielsweise – in der heutigen Zeit sehr angenehm ist. Wer sich wirklich für eine regelmäßige Meditationspraxis interessiert und daran wagen möchte, darf sich ruhig den Timer auf drei Minuten stellen. Und eine Frage. Beispielsweise: Was ist mir heute wichtig? Oder: Wie geht es mir heute eigentlich wirklich? In einem nächsten Schritt wagen wir uns dann an fünf Minuten. Die Wissenschaft beschäftigt sich momentan verstärkt mit dem Thema Meditation. Gerade gibt es in der GEO eine Sonderausgabe zu den Themen Yoga und Meditation – für all diejenigen, die immer noch nicht an die positiven Effekte glauben. Es ist irre spannend, was Forscher schon alles herausgefunden haben. Angeblich wurde schon herausgefunden, dass durch Meditation beispielsweise Hirnareale vergrößert werden können (1), dass das Üben Stress abbaut und Depressionssymptome lindern kann. Ja, sogar Blutzuckerspiegel, Körpergewicht und Blutdruck (2) ließen sich damit regulieren. Es ist kein Geheimnis, dass Stress krank machen kann. Bei bis zu 80 Prozent aller Krankheiten sollen Stress und ein damit verbundener ungesunder Lebensstil ursächlich oder beteiligt sein. Da muss man kein Forscher sein, um sich denken zu können, dass Stille und Nichtstun wohltuend sein können.

Wissenschaftler Andreas Michalsen, Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde im Immanuel Krankenhaus Berlin und Professor der Charité-Universitätsmedizin Berlin, weiß, warum Yoga Sport etwas voraushat: es ist die Kombination von Atemübungen, Meditation und Körperübungen (3). Alles gehört zusammen, und durch die Koppelung von Atmung und Übungen erreicht man viel. So lässt sich durch eine effektivere Atmung etwa der Puls senken. Die Boston University School of Medicine untersuchte den Zusammenhang zwischen Yoga und Gamma-Aminobuttersäure-Konzentration im Gehirn. Gamma-Aminobuttersäure (kurz GABA) ist ein Botenstoff, der Angst und Stress lindert, indem er unsere Gedanken beruhigt. Es wird vermutet, dass Depressionserkrankungen mit einem niedrigen GABA-Spiegel zusammenhängen, da Menschen, die an Depressionen oder Angsterkrankungen leiden, meist weniger GABA als gesunde Menschen haben. Die Studie kam nun zu dem Ergebnis, dass bei Menschen, die regelmäßig Yoga trieben, der GABA-Spiegel durchschnittlich um 27 Prozent anstieg. Zu Yoga gehört Meditation dazu, und auch bei der reinen Form von Meditation soll der GABA-Spiegel steigen.

Die meisten durchgeführten Studien deuten tatsächlich darauf hin, dass die Meditation vor allem dann wirksam ist, wenn man täglich übt. Und gerade das ist ja nicht so leicht, wo wir doch schon so vieles innerhalb von 24 Stunden unterbringen müssen: Gute Ernährung, viel Bewegung, Familie, Haushalt und einen Beruf haben beispielsweise. Aber es geht beim Meditieren auch darum, zu erkennen, dass es nicht viel bringt, Dinge, die wir nicht ändern können, ändern zu wollen. Ihnen stattdessen mit Gleichmut  zu begegnen, während man die Kraft für die wirklich wichtigen Dinge im Leben sparen soll.

So gelingt’s:

Beginne in einem aufrechten Sitz, der bequem ist. Das kann auf einem Stuhl sein, einem Meditationshocker oder einem festen Kissen. Es ist wichtig, den Rücken möglichst gerade zu halten, ohne dabei zu verkrampfen. Auf einem Stuhl kann der untere Rücken an eine Lehne gestützt sein. Alle störenden Dinge solltest Du zunächst beiseite legen. Hast Du Dir einen Timer gestellt, dann dann stelle Dein Smartphone im Flugmodus ein. Konzentriere Dich dann ganz auf Dich selbst. Die Wirbelsäule ist aufrecht, die Augen sind geschlossen. Nimm alles war, was Du hören kannst. Spüre Deinen Körper, nimm wahr, welche Gefühle und Gedanken Dich beschäftigen.

Ein Phänomen: Sitzen wir erst einmal und beginnen wir, uns auf uns selbst zu konzentrieren, wird es garantiert tausend Dinge geben, die uns stören: Es kitzelt in der Nase, es zwickt im Rücken, irgendwo juckt es garantiert. Das alles nicht bekämpfen, nicht krampfhaft wünschen, dass es endlich verschwindet. Stattdessen nimm es zur Kenntnis, lass es zu. Wenn Du beginnst, Deinen Fokus auf die Atmung zu richten, ist die Zeit schon fast vorbei. Beim Einatmen nimm bewusst wahr, wie Luft durch die Nasenlöcher einströmt und wie wärmere Luft mit der Ausatmung ausströmt. Spüre Deine Nasenflügel, die sich mit der Atmung bewegen und stell fest, wo Du die Atmung noch so bewusst wahrnehmen kannst: Im Brustkorb? Im Bauch? Spürst Du das Zwerchfell?

In dieser Zeit werden Gedanken auftauchen. Lass sie kommen und gehen. Fokussiere dich immer wieder auf die Atmung, nehmen wahr, wie du ruhiger wirst.

Acht Minuten für Erleuchtung

Wem das für einige Tage gelungen ist, der darf in einem weiteren Schritt den Timer auf acht Minuten setzen. Warum acht Minuten? Weil sie uns nicht weh tun. Acht Minuten früher ins Bett zu gehen oder acht Minuten früher aufzustehen verlangt keine Opfer von uns. Und acht Minuten der Stille werden unfassbar wohltuend sein. Wenn wir sie täglich als selbstverständlich betrachten, genau wie Zähne putzen oder unser Fitnesstraining, lassen sie sich prima in unseren Alltag integrieren! Länger als acht Minuten muss Meditation gar nicht dauern. Es macht einen Unterschied für den Rest des Tages, wenn wir uns morgens entschieden haben, uns einen Moment der Stille zu gönnen.

Erleuchtet werden wir aber auch bei regelmäßiger, jahrelanger sogar stundenlanger Meditationspraxis nicht. Wie berichtet doch der amerikanische Yoga- und Meditationslehrer Darren Main in seinem Buch „Yoga and the path of the urban mystic“: Jeder Morgen beginnt bei ihm zuhause in seinem Apartment in San Francisco auf der Yogamatte. Wundervolle Stimmung, Kerzenlicht, Stille, Nichtstun, Ausschalten der Sinne. Wenn er danach nach draußen geht, um sich im Supermarkt seinen Lieblingsjoghurt zu holen, bricht seine Yogiwelt wieder zusammen: Beim Überqueren der Straße wird er trotz grüner Fußgängerampel beinahe von einer Frau überfahren, die ihm dann auch noch den Stinkfeiner präsentiert, im Supermarkt ist das Lieblingsjoghurt aus und zurück zuhause beim Frühstück kriegt er Depressionen angesichts der Nachrichten, die er in der Zeitung liest. Dann ist das Leben wieder Mittelfinger. Trotz täglicher Meditationspraxis.

Dieser Text enthält unbezahlte Werbung für das Magazin Geo. Selbst bestellt, selbst gekauft, gern verschlungen.

Quellen:

  1. Tang Y.-Y. 2015. Nature Neuroscience Reviews. The neuroscience of mindful meditation
  2. 2) Pascoe M. 2017. Mindfulness mediates the physiological markers of stress. Journal of Psychiatric Research.
  3. Luczak H. 2013. GEO Magazin: Was Yoga kann. 

Foto: Arndt Falter