Meine Instagram Stories waren in dieser Woche – in unserer letzten Ferienwoche, die für mich eigentlich keine war, weil ich an einem neuen Manuskript für ein Buchprojekt sitze – leise. Ohne Musik. Ich habe die Wellen gefilmt, wie sie gegen den Sand schwappen. Ich habe beobachtet, wie das Meer sich bewegt, diese unfassbare Macht, die alles in Schwingung hält. Und ich war der Meinung, dass nichts außer Stille das gebührend untermalen kann. Die Schönheit der Natur beobachte ich häufiger, und ich nehme sie nicht selten bewusst wahr. Aber Stille ist etwas sehr Kostbares geworden in meinem Leben als Mama mit zwei kleinen, noch nicht schulpflichtigen Kindern. So richtig bewusst geworden ist mir das erst vergangenes Silvester als eine Freundin von mir zu Besuch war, die keine Kinder hat. Lachend und wohl auch erleichtert darüber, dass sie bald wieder abreisen konnte, sagte sie nach 24 Stunden mit unserer Rasselbande zu mir: „Der Geräuschpegel, dem du so den ganzen Tag ausgesetzt bist – das ist schon Wahnsinn. Wenn man das nicht gewohnt ist, fällt es einem auf. Da ist immer Geräusch.“
So schlimm empfinde ich es gar nicht, aber ich merke sehr wohl wie wohltuend Stille sein kann. Am deutlichsten nehme ich sie wahr, wenn ich in Savasana liege oder eben wenn ich ohne Kinder abends das Meer betrachten kann – was natürlich, obwohl wir an der Ostsee wohnen, selten vorkommt.
Im achtgliedrigen Pfad des Yoga, der über 2000 Jahre alten Anleitung zum Glücklichsein, steht Pratyahara, das Zurückziehen der Sinne, an fünfter Stelle. Es ist also gleich hinter den Asanas und der Atmung zu finden. Und es gehört noch zum Kriya Yoga, den ersten fünf Stufen, die auch als praktischer Yoga bezeichnet werden (danach wird es mit Raya Yoga, dem königlichen Yoga, dann richtig kompliziert …). Das Zurückziehen der Sinne ist auch schon kompliziert genug. In der heutigen Zeit führen die äußeren Eindrücke, die wir über unsere Sinnesorgane wahrnehmen, leicht zu Überforderung. Das kann anstrengend sein und lenkt uns von unserem Inneren ab. Zu lernen, wieder besser auf den eigenen Körper zu hören, ist ein Ziel von Yoga, das viele Menschen sehr schnell erlernen, wenn sie sich regelmäßig auf die Matte begeben. Trotzdem ist es im Alltag wahnsinnig schwer, das umzusetzen.
Pratyahara, das bedeutet, dass wir lernen sollen, auf äußere Reize nicht mehr zu reagieren. Wenn die Sinne ruhen, können wir uns auf das Innere konzentrieren. Für uns ist das kaum möglich, weil wir so sehr nach außen orientiert sind. Manche Sinne lassen sich leichter nach innen ausrichten, andere nicht so leicht. An meinen Kindern kann ich ganz gut beobachten, wie sehr sie noch in eine Sache vertieft sein können, egal wie viele äußere Störfaktoren es auch geben mag. In der vergangenen Woche hüteten wir an einem Nachmittag den Hund meiner Schwiegermutter. In der ersten Stunde war die arme Hündin so aufgeregt, dass sie sich von uns kaum ablenken liess. Wir hatten alles versucht. Ein Suchspiel im Garten mit Hundeleckerchen, Streicheleinheiten und In-Ruhe-Lassen – keine meiner Strategien halfen. Sie saß an der Tür, weinte und bellte. Die Kinder malten. Und zwischendurch stritten sie sich. Um die richtigen (oder falschen) Stifte, die schöneren Einhörner, die ich ihnen hatte auf das Papier malen sollen. Tja. Immer dann, wenn es am nötigsten wäre, lassen meine Fähigkeiten was Pratyahara betrifft, zu wünschen übrig. Irgendwann rief ich also in den Flur hinaus nach der Hündin, sie solle doch nun endlich mal ruhig sein. Meine vierjährige Tochter sah mich entsetzt an: „Nicht schimpfen, Mama. Sie ist doch traurig.“
Ja, da war sie mal wieder. Die Sanftmütigkeit, die ich mir manchmal so sehr wünsche auf der einen Seite (wie kann man mit einem Lebewesen schimpfen, wenn es verzweifelt ist – nur weil es „nervig“ ist?!?) und auf der anderen Seite diese Gelassenheit dem Geräuschpegel gegenüber. Kinder sind manchmal die besten Yogalehrer. Meine Kinder störten sich nicht an dem Geräusch, sie hatten einfach nur Mitleid. Sie hatten es aber trotzdem geschafft, völlig vertieft in ihrer Malerei zu versinken, während ich mich über einen jaulenden Hund aufregen konnte. Weil ja – es war einfach irgendwann anstrengend für meine Ohren geworden. Ich sagte meiner Tochter, dass sie recht hätte. Dass es dumm von mir war, mit dem Hund zu schimpfen, der doch nur verzweifelt war und nichts dafür konnte. Und dass es erst recht verrückt ist, dass wir Erwachsenen uns an so etwas stören können …
In unserem Alltag ist Pratyahara nicht leicht. Ich übe aber. Manchmal hilft es, meinen Kindern zuzuschauen, manchmal der wohltuende Blick auf den Ozean. Happy Weekend.
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