Schlagwort: Achtsamkeit

Euch allen: Ein Wunder im Chaos!

An einem Dezembermorgen hatte ich mich ertappt. Alle außer mir waren aus dem Haus. Die Adventskerze flackerte. Ich hatte morgens für die Kinder Rolf Zuckowskis CD „Mein allerschönster Weihnachtstraum“ aufgelegt. Tatsächlich. In unserer Küche steht noch ein CD-Player. Eine Loewe Soundbox. Irgendwann im letzten Lockdown hatte ich den Eindruck gewonnen, dass die Familie harmonischer miteinander umging, wenn Zuckowski Weihnachtsstimmung verbreitete. Nun saß ich alleine in der Küche. Und liess die Musik laufen. Zuckowski sang: „Da war mit einem Mal der Himmel nicht mehr fern. Da sang ein Engelschor: Die Welt ist nicht verloren. Und über allem strahlte hell der Weihnachtsstern.“ Ich wählte die Wiederholungsschleife. Ein Kinderlied tröstete mich. Muss ich mich dafür schämen? 

Wie 2020. Nur noch schlimmer

Wer von uns hätte wohl letztes Jahr im Dezember gedacht, dass wir auch 2021 im Advent dieselben Nachrichten lesen, dieselben Diskussionen führen, dieselben Sorgen teilen würden? Nur noch schlimmer. Weil jetzt war ja auch noch: Afghanistan, militärische Aktivitäten an der Grenze zur Ukraine, überall Konflikte und ein neues Wort, das eigentlich gar nicht so fürchterlich klang, wie es sein sollte: OMIKRON. Die Weihnachtspläne werden wir wieder verschieben müssen. Zur dänischen Familie fahren bei einer Inzidenz von über 900? Möchte ich die 800 Kilometer in einem übervollen Zug zurücklegen, um zu meinen eigenen Eltern zu kommen?

Das Kostbare kostbar lassen

Ich hatte gerade einen Blogbeitrag für ein Schweizer Reiseunternehmen geschrieben. „Corona hat uns gelehrt, zu verstehen, dass Reisen keine Selbstverständlichkeit sind“, schrieb ich da. Wir hatten sie uns einfach erschaffen: Eine Welt, in der alles möglich sein sollte und musste. Dafür überrollten wir alles, was sich uns in den Weg stellte. Das Wohl der Natur, der Tiere, der Menschen. Reisen sind kostbar. Die Erfahrungen, die wir dabei machen, noch kostbarer. Und ist nicht alles, was uns kostbar ist, auch so zu behandeln? Wir müssen wieder lernen, dass wir nicht alles in der Hand haben. Aber trotzdem bedeutet das nicht, dass ich jetzt Trübsal blase, mich aufrege, Gräben grabe zwischen denen, die anderer Meinung sind und mir. Wenn Weihnachten vorbei ist, werde ich zwischen den Jahren, der einzigen Zeit, in der Langsamkeit erlaubt ist, darüber nachdenken wie 365 Tage verlaufen sind. Es werden auch dieses Jahr mehr schöne als schlechte Erinnerungen bleiben.

Chaos. Wunder. Das ist Weihnachten

Vergangenen Dezember hatte ich ein Interview im Süddeutsche Magazin mit dem Münchener Pfarrer Rainer Maria Schießler gelesen. Da sagte er: „Wissen Sie was, die Leute reden immer von einem harmonischen Weihnachtsfest. Warum eigentlich? Als Jesus geboren wurde, war nichts harmonisch: Volkszählung, Militärtruppen, Wucherpreise, Guerilla-Anschläge, das war ein riesiges Durcheinander, und dann wird in einem Stall dieses Kind geboren, ein Wunder im Chaos, das ist Weihnachten.“ 

Dieses Bild trägt mich nun schon zum zweiten Mal durch die Weihnachtszeit. Ich schiebe es mit einem Schmunzeln vor mir her: Ein Wunder im Chaos. Das ist Weihnachten. Deswegen dürfen wir uns auch ruhig über Weihnachten freuen. Über den Christbaumstollen und die leuchtenden Augen der Kinder. Über jede neue Kerze am Adventskranz, jedes Türchen am Adventskalender. Jede Umarmung, jedes „Frohes Fest“. Den Geruch von Frischgebackenem. Geschenke unterm Tannenbaum. Und natürlich: Rolf Zuckowski. Merry Christmas. 

Fünf Wochen Staunen

Doris Iding ist in der Yogaszene keine Unbekannte. Sie ist seit 20 Jahren Redaktionsmitglied von Yoga Aktuell und hat viele Bücher zu den Themen Meditation, Achtsamkeit und Yoga geschrieben – 18 davon wurden in andere Sprachen übersetzt. Ich habe mit der MBSR- und Meditationslehrerin über ein ganz besonderes Erlebnis in ihrem Leben gesprochen: ein fünfwöchiges Schweigeretreat in Thailand, ausgerechnet kurz bevor die weltweite Corona-Pandemie ausbrach …

Vor Weihnachten 2019 und bis Ende Januar 2020 warst du in Thailand auf einem fünf Wochen andauernden Schweigeretreat. Wie war der Tagesablauf?

Morgens begann die erste Meditation um vier Uhr. Um sieben war die nächste gemeinsame Meditation, bei der wir auch gemeinsam gechantet haben. Dann gab es Frühstück und danach war eigentlich erst einmal freie Zeit. Zwischen 11.30 Uhr und 13 Uhr gab es Mittagessen, danach gab es immer einen Vortrag. Der Nachmittag war dann wieder frei und um 18 Uhr gab es eine letzte gemeinsame Meditation. 

War euer Retreat-Leiter, ein ehemaliger buddhistischer Mönch, sehr streng mit euch?

Nein, überhaupt nicht. Wir waren alle sehr frei. Das schätze ich auch so an Master Han Shan. Das war auch das Tolle an dieser Zeit: Wir konnten so viel meditieren, wie wir wollen. Nichts war Pflicht. Für mich, jemanden, der sehr unruhig ist und sich beispielsweise sehr schwer damit tut, den ganzen Tag lang zu sitzen, war das wunderbar. 

Und was hast du dann in der freien Zeit eigentlich gemacht? Wie kann man sich das vorstellen, fünf Wochen ohne „Geschwätz“?

Oh, ich habe das einfach sehr genossen. Ich habe viele Sitzmeditationen und auch sehr viele Geh-Meditationen gemacht. Es gab einen kleinen Wald, in dem mehrere Tempel standen. Dort habe ich mich sehr viel und sehr gerne aufgehalten. Ich habe die Natur genossen. Einfach gestaunt. Und ich habe auch viel geschrieben. In so einer Zeit fliesst es natürlich nur so aus einem heraus. Und ich habe viel gemalt. Das ist aber auch eine Art Meditation.

Fünf Wochen keine Gespräche. Nicht mal mit dir selbst, war das nicht sehr hart?

Ich habe das sehr genossen, weil ich normalerweise sehr viele Menschen treffe. Ich fand es auch sehr entspannend, mich nicht austauschen zu müssen über die bekannten Yogalehrer, die ich für Yoga aktuell interviewt habe. Wir alle definieren uns auch in der Yogaszene doch sehr über solch äußere Dinge. Deshalb habe ich es sehr genossen, einmal nur für mich zu sein. Allerdings habe ich um Weihnachten, Silvester und Neujahr ein paar SMS geschrieben – das war auch total okay. Ich hatte auch sehr klare Träume in dieser Zeit. Und wenn ich von jemandem träumte, den ich kannte, habe ich auch mal eine WhatsApp geschrieben. Das war völlig okay für mich. Ich habe mich dabei auch sehr gut beobachten können und konnte erkennen, wie viel Energie so ein Handy absorbiert. Die Nachrichten, die ich dann gelesen haben, haben mich natürlich auch sofort wieder weggebracht von der inneren Stille: raus aus der Stille, rein ins Gedankenkarussell. Es war sehr spannend, diesen Prozess zu beobachten. Es war auch sehr spannend, wie gut es mir dann mit etwas Übung gelungen ist, mich wieder zu mir selbst zurückzuholen. Davon abgesehen: Ich finde wir müssen nicht immer so streng mit uns sein. Die Strenge während eines Retreats oder während der spirituellen Praxis ist für mich etwas sehr Männliches. Sie stammt aus den alten, patriachalen spirituellen Traditionen. Die sind meiner Ansicht nach heute nicht mehr gültig. Ich glaube wir dürfen eher lernen, etwas mehr Selbstmitgefühl mit uns zu haben. Aber natürlich braucht es ein gewisses Maß an Selbstdisziplin, um während eines solchen Retreats tiefe Erfahrungen machen zu können. Selbstverantwortung war hier auch eine wichtige Botschaft für uns. Wir sollten selbst entscheiden, wie viel wir praktizieren. Und das fand ich sehr schön.  

Fünf Wochen sind aber nun nicht sieben Tage. Gab es nie den Moment, an dem du dir gesagt hast: Jetzt reicht es?

Doch, den gab es natürlich. Und du hast Recht, fünf Wochen sind sehr lang. Das sagte übrigens auch unser Retreatleiter. Jemand, der so etwas noch nicht gemacht hat, sollte vielleicht nicht unbedingt mit fünf Wochen starten. Eher mit drei. Und genau das war auch der Zeitpunkt, da habe ich gedacht: „Jetzt habe ich genug.“ Ich mache so etwas aber auch nicht zum ersten Mal, ich würde sagen, einmal im Jahr gehe ich in die Stille. Das mache ich schon viele Jahre. Aber so lange am Stück habe ich das natürlich auch noch nie gemacht. Ich hatte dann nach drei Wochen wirklich den Impuls: Jetzt reicht es mir, jetzt habe ich so viel erfahren, so viel gelernt. Und dann habe ich mir einfach gesagt: Jetzt mache ich es mir hier schön. Jetzt genieße ich das einfach. Wir waren ja wahnsinnig gut versorgt, das Essen war superlecker. Da war eine gute Energie, das wollte ich nutzen. Und: ich wollte natürlich auch durchhalten. Früher hätte ich nach drei Wochen meine Koffer gepackt und wäre an den nächsten Strand gefahren und hätte mir dort noch zwei schöne Wochen gemacht. Deshalb war es eine schöne Erfahrung für mich, dazubleiben und nicht wegzulaufen für mich in einem Moment, in dem es mir reicht. 

Was hast du als besonderes Learning mitgebracht?

Das Staunen. Das habe ich auf diesem Retreat wirklich wieder gelernt. Zu staunen. Beispielsweise über den Sternenhimmel. Der war wirklich unglaublich. Und dann dieser Moment am frühen Morgen, wenn es in Asien von einem auf den anderen Moment hell wird. Ein unfassbarer Moment. In so einer Situation hast du ja wirklich wieder Zeit, dich auf solche Dinge zu fokussieren, sie bewusst wahrzunehmen. Ich erinnere mich aber auch noch an einen Schmetterling, den ich tagelang beobachtet hatte und der mich sehr faszinierte. Eines Tages habe ich einfach meine Hand geöffnet und er hat sich auf diese Hand gesetzt. Das war eine absolut bildliche Erfahrung: Die Dinge kommen schon zu mir, ich muss ihnen nicht hinterherrennen …

War es schwierig, nicht mit den anderen Gästen zu sprechen?

Ja und nein. Es gab einen Retreatleiter, der sehr genau darauf geschaut hat, dass wir uns nicht unterhalten. So etwas macht mich jedoch eher wütend. Ich bin keine drei Jahre alt, sondern kann selbst entscheiden, was ich tue. Und davon abgesehen, wenn man sich unbedingt mit jemanden austauschen wollte, gab es doch immer eine Gelegenheit, sich zu treffen ohne das andere es gesehen haben. Aber alles in allem hat es schon sehr gut getan, bei sich zu bleiben. Wir sind normalerweise ja doch sehr abhängig davon, ob andere uns anlächeln, mit uns sprechen etc. Und mal ganz für sich zu sein, ohne anderen gefallen zu wollen, Anerkennung zu bekommen etc. hat schon auch etwas sehr Befreiendes. 

Der Retreat war kurz vor dem Lockdown, du bist am 23. Januar zurückgekommen. Aus der Stille in eine eigentlich neue, veränderte Welt. Wie war das?

Ich bin aus der Stille zunächst nach Bangkok auf den Flughafen gekommen und das überforderte mich total. Ich hatte da den Impuls: jetzt ist mal Schluss mit dieser ewigen Reiserei. Diese fünf Wochen haben mich so in mein Herz gebracht, und da dachte ich wirklich: Ich will nicht mehr so viel Reisen. Als ich in München ankam, hat sich dieser Gedanke noch mehr verfestigt. Und dann kam ja auch schon bald Corona. Eigentlich war Corona ein Geschenk für mich. Denn in der gewohnten Umgebung musste ich erst einmal ein gutes Mittelmaß an Treffen mit Freunden und Familie und Stille finden. Ich war unvorbereitet darauf, wieder in das normale Leben zurückzukommen. Ein weiteres Mal würde ich mir aber auch einfach mehr Zeit lassen mit dem Ankommen. Ich hatte beispielsweise kurze Zeit später Geburtstag und dachte, ich wolle das unbedingt mit einigen Leuten feiern. Ich habe bei der Vorbereitung gemerkt, dass mich alleine das einkaufen überfordert hat. Ich habe das Fest wieder abgesagt. Gespräche haben mich die ersten Wochen sehr angestrengt. So gesehen war der Retreat eine tolle Vorbereitung auf die Pandemie-Zeit. 

Kannst du das noch etwas genauer erklären?

Ja, wir denken ja auch immer, wir müssten arbeiten oder irgendetwas tun oder erledigen. Am besten 24 Stunden rund um die Uhr kreativ sein. Dürften keine Minute dabei verlieren. Die Corona-Zeit hat uns gezeigt, dass das eben nicht so ist, dass es auch mal anders geht. Und das ist eine Erfahrung, die ich auch während dieser Reise gemacht hatte. Und fünf Wochen Schweigen haben natürlich sehr gut auf den gesellschaftlichen Stillstand vorbereitet.

Müssen wir, um uns selbst kennenzulernen, beginnen, zu schweigen?

Ich finde, dass Meditation eine wunderbare Art ist, sich kennenzulernen. Dieses „Nachinnenschauen“ offenbart uns, wer wir sind, wie wir denken, wie wir fühlen. Das kann natürlich für viele sehr erschreckend sein. Besonders dann, wenn man sehr auf äußere Reize fixiert ist und von der Anerkennung anderer durch Klicks und Likes angewiesen ist. Dann kann einen schon mal ein Gefühl von Leere überkommen, wenn man schweigt und sich mit sich selbst konfrontiert. Aber man braucht nicht gleich mit einem Fünf-Wochen-Retreat beginnen. Vor 20 Jahren hätte ich fünf Wochen Schweigeretreat nicht ausgehalten. Ich glaube, wer wirklich achtsam ist, lernt sich jeden Tag neu kennen. 

Mehr über Doris Iding: http://vomglueckderkleinendinge.blogspot.com

reConnectem… for free

Ich schreibe es vorweg: Ich scrolle manchmal durch Instagram, während meine Kinder einschlafen sollen und ich habe in meinem Leben viele SMS verschickt, während ich stillte. Bekenne mich schuldig!

Am Freitag habe ich etwas beobachtet. Covid-19 hat seltsame Dinge in unser Leben gebracht. Dazu gehört, dass Eltern ihre Kinder an den Eingangstüren von Kindertagesstätten in Empfang nehmen, als würden sie am Morgen vorm Heiligen Abend in der Bäckerei die Brötchenbestellung abholen. Wenn es eine größere Einrichtung ist oder die Eltern auf neue Erzieher/innen treffen, hört sich das auch ein bisschen so an wie in der Bäckerei: „Den Levi, bitte.“ „Für mich die Juli.“ „Mit Sahne bitte“, rutscht mir manchmal raus. Ist albern. Weiß ich. Am Freitag kam ich zur Eingangstür. Ich musste nicht klingeln, weil vor mir schon weitere wartende Erziehungsberechtigte standen. Und auch eine Oma aus Asien. Die kenne ich schon vom Sehen. Jedes Mal wenn ich sie sehe, telefoniert sie sehr laut in einer Sprache, die ich nicht verstehe. Das ist ihr gutes Recht. Gut, die Lautstärke könnte sie drosseln, aber ich gehe einfach davon aus, dass sie vermutet, sie müsse die tatsächliche Distanz zu dem Gesprächspartner durch die Frequenz der Lautstärke überwinden. Mir ist aufgefallen, dass sie jedes Mal, wenn sie die Kinder (oder das Kind, meine Güte, so genau hatte ich es bislang nicht betrachtet) in Empfang nahm, das Mobiltelefon nicht aus den Augen lassen konnte. Die Gespräche waren meistens beendet, aber das Telefon immer noch das Objekt der Aufmerksamkeit. Ich dachte immer, da hat jemand wirklich Heimweh. Muss bestimmt noch die ganzen Nachrichten aus Asien sichten, da ist ne Menge los, das ist mir klar. Na ja. Seit Freitag weiß ich es besser.

Diesmal telefonierte sie gar nicht. Sie tippte wie verrückt auf ihr Smartphone ein. Dann kam das Kind. Da wurde gesprochen, ich habe nichts verstanden. Geht mich nichts an. Aber vor allen Dingen wurde weiterhin in die Tasten gehauen. Der Blick galt dem Smartphone. Nicht dem Kind. Und dann – ich dachte erst, die warten noch auf ein weiteres Kind – hatte sich die Oma vor dem Kind in die Hocke begeben, mit dem Rücken zu mir. Ich konnte – ich geb’s zu – einen Blick auf das Smartphone werfen. Sie spielte – und das habe ich recherchiert, ich kannte es nicht, Ehrenwort – reMovem free. Oder so etwas ähnliches, ich will mich nicht zu 100 Prozent festlegen, aber das was ich gesehen habe, entsprach meinen Recherche-Ergebnissen. Das ist … erschreckend. In erster Linie für das Kind. In zweiter – und das meine ich ehrlich – für diese Frau. Wie viel, habe ich mich gefragt, muss dieser Kopf aushalten, dass er permanent zugedröhnt wird? Mit einem Computerspiel. Während er gleichzeitig noch zuhören muss, was das Kind zu sagen hat. Es kam übrigens kein zweites Kind aus der Kita. Wahrscheinlich musste das Kind nur abwarten, bis Oma das Spiel zu Ende gespielt hatte. Dann setzten sich Kind und Oma zusammen in Bewegung. Ich glaube – ich bin mir nicht ganz sicher – da wurde das Smartphone weggepackt. Jetzt überlege ich mir, eine App zu entwickeln. ReConnectem … for free, soll die heißen.

Schöne Woche! Bleib achtsam!

Lernst du manchmal von deinen Kindern?

Ich lerne ständig von meinen Kindern. Das sage ich ihnen auch. Nur so kann ich sie auf dem Weg selbstbewusste und eigenständige Persönlichkeiten zu werden, unterstützen. Eltern wissen nicht immer alles besser. Es zeugt nicht von Schwäche, sondern von Stärke, wenn wir gegenüber unseren Kindern zugeben, dass wir Fehler machen. Ich bin mir sicher, das hat meiner Tochter dabei geholfen, zu lernen, ihre Gefühle klar auszudrücken. Sie weiß, dass sie sich dafür nicht schämen muss, oder dass ich ihr anschliessend erkläre, ich habe sowieso Recht gehabt. Mittlerweile kann sie mir sagen, warum sie sich missverstanden fühlt oder warum sie manchmal auch wütend auf mich ist. Wir können uns beide beieinander entschuldigen. Jesper Juul, der bekannte dänische Familientherapeut, der leider 2019 gestorben ist, hat das klar ausgedrückt: „Erziehung ist nicht nur aufbauend, sondern sie kann auch sehr zerstörerisch wirken, wenn sie in einem hierarchischen Sinne betrachtet wird: Ich als Vater bin oben und habe immer recht! So kann keine Beziehung zwischen Erwachsenen und Kindern gedeihen.“ 

Seitdem ich mich bewusst bei meinen Kindern entschuldige, Fehler eingestehe, fällt mir nahezu täglich auf, wie viel ich von ihnen lernen darf. Es ist erstaunlich, welch großartige Achtsamkeitstrainer sie sind – ganz ohne Achtsamkeitslehrer-Ausbildung. Besonders in diesem Sommer haben sie mir die Augen für Kleinigkeiten und die schönen Dinge des Lebens geöffnet. 

Was ist schon Wetter?

Als wir wie jedes Jahr gegen Ende August unsere dänische Familie besuchten, war das Wetter durchwachsen. Das war bezeichnend für diesen Sommer. Ich wette, wenn ich meine Kinder im Herbst frage, wie dieser Sommer für sie war, werden sie sagen: Toll! Den Kindern war das Wetter egal. Sie spielten bei Nieselregen auf einem Spielplatz am Hafen in Hundested, benutzen Bänke in Helsingør als Klettergerüste, sprangen Trampolin unter wolkenverhangenem Himmel, malten Ausmalbilder im Sommerhaus bei Regen. Und ich streckte meine Nase jedem noch so winzigen Sonnenstrahl entgegen und saugte ihn auf. Wie Frederick, die Maus, die Leo Lionni zum Leben erweckte und die Kindern und Erwachsenen auf aller Welt den Mut zur Pause näherbringt. Sonnenstrahlen sammeln, für die kalten Wintertage. In Dänemark hatte meine Älteste einen Wutanfall – den ersten seit Monaten. Es war später Nachmittag, die Kinder waren müde. Wir hatten am Sommerhaus meiner Schwägerin Äpfel gepflückt, ich hatte viel Gepäck zu schleppen. Plötzlich gab es Streit – eine Nichtigkeit – zwischen den beiden Kindern. Die Große wollte auf meinen Arm, ich war beladen mit Gepäck, konnte sie nicht tragen. Weil sie dann nicht mitkommen wollte, reagierte ich genervt. Autsch. Als sich die Situation etwas später beruhigt hatte, kam sie in meinen Arm, entschuldigte sich bei mir unter Tränen. Und ich? Ich fühlte mich ertappt. Denn eigentlich hätte ich mich doch entschuldigen müssen. Das habe ich ihr auch gesagt. Ich hätte die Taschen abstellen, ihr in die Augen schauen, und ganz bewussten Kontakt mit ihr aufnehmen können. Ich hätte sie am Arm streicheln können und ihr mit ruhiger Stimme erklären können, dass ich zu viel schleppen musste, um auch sie noch tragen zu können. Das alles habe ich nicht getan. Dabei hatte ich URLAUB. Keine Termine, keinen Stress. Nur schwere Arme vom Tragen. In meiner Freizeit stemme ich freiwillig Gewichte, fühle mich großartig, wenn meine Ausdauer zum Joggen reicht. Absurd, oder?

Jedem seine Rechte …

So oft wecken die Kinder die Sicht für das Schöne, selbst wenn es auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist. Sie machen meistens das Beste aus Situationen, in die wir sie ohne ihr Mitspracherecht hineingebracht haben. Sie sind Meister des Vergebens. Sie bringen mir bei, was wichtig ist und was nebensächlich. Ein umgestossenes Glas? Ein Termin, zu dem wir unpünktlich erscheinen? Ist das schlimm? Wie oft habe ich sie, zarte zwei- und fünfjährige Wesen, schon zur Eile angetrieben, wie oft bin ich laut geworden, um dann hinterher festzustellen, dass Erwachsene Schwachköpfe sein können? War es notwendig? Vermutlich nicht. Kinder werden keine besseren Menschen, wenn wir sie zur Eile antreiben. Wie oft haben sie mir beigebracht, dass Schimpfen das Gegenteil von dem bewirkt, was ich möchte? Wie oft haben sie mir gezeigt, dass sie behandelt werden wollen, wie echte Freunde. Gleichzeitig weiß ich, dass jeder mal ausflippen darf. Erwachsene genauso wie die Kinder. Im Gegensatz zu den Kids habe ich einen klaren Vorteil: Ich kann bewusst hinterfragen, warum ich unausgeglichen bin, wenn ich stinkig reagiere. So viel Kompetenz darf ich von Kleinkindern nicht erwarten. Ich weiß auch, dass ich nicht immer alles richtig machen kann und habe meinen Frieden damit geschlossen. Statt mich darüber zu ereifern, freue ich mich über alles, was ich von meinen Kindern lernen darf. 

Wir liefen über den Platz von Kronborg Slot als es in Strömen zu regnen begann. Ich trug meine knapp Dreijährige und sang: „Regen, Regen auf allen Wegen, wir haben nichts dagegen. Regen macht uns Spaß, …“ „Mama“, sagte meine jüngste Tochter. „Regen macht uns gar keinen Spaß.“ Wieder was gelernt …

Wie war dein Tag, Mama?

Dieser Text enthält unbezahlte Werbung.

Ich ertappe mich häufig selbst dabei. „Wie war es in der Kita?“, frage ich meine knapp Dreijährige. Sie schweigt. Hartnäckig. Ein paar Tage später erzählt sie mir mit sich vor Begeisterung überschlagender Stimme – völlig zusammenhanglos: „Mama, weißt du noch, wie ich mit Thilda in der Kita Fangen gespielt habe?“ Weiß ich natürlich nicht. Woher auch?

Unerlaubte Frage

Es ist nicht nur eine alte Regel aus dem Journalismus: Auf langweilige Fragen folgen langweilige Antworten. Kinderohren schalten bei langweiligen Fragen sogar auf Durchzug. Wenn ich mich dabei ertappe, dass ich die Frage gestellt habe, die gar nicht geht („Wie war es in der Kita?“), fällt mir sofort ein, dass ich nur eine einzige Antwort erwarte: Gut. Das wollen wir hören, oder: Ich hatte großen Spaß! Was anderes kommt nicht in die Tüte. Manchmal beiße ich mir bei der Frage fast auf die Zunge. Immer dann, wenn ich sie nur gestellt habe, um zu verhindern, dass die Kleine im Auto einschläft. Oder um festzustellen, ob sie noch wach ist, ohne dabei in den Rückspiegel schauen zu müssen. „Was gab es heute zu essen?“ Auch so etwas Unnötiges. Als wäre das wirklich relevant! Ich frage es trotzdem. „Pfannkuchen“, sagt sie stolz. Am nächsten Morgen lese ich den Speiseplan. Es gab Fisch. Keine Pfannkuchen. „Pfannkuchen gab es vorgestern“, sagt die Erzieherin triumphierend. „War nicht gelogen!“ Warum frage ich das auch?

Ehrliches Interesse

Kinder- und Jugendmentaltrainerin Birgit Gattringer sagt, die Grundlagen des Dialogs seien Offenheit und ehrliches Interesse. „Wir Erwachsenen haben meistens irgendein Ziel im Kopf, was wir mit einem Gespräch erreichen wollen. Mach dich frei von Vorurteilen, von deinen Erwartungen, von deinen Lösungen, bevor du ein Gespräch mit deinem Kind startest. Mach dich auch frei von deinen Wünschen, dass sich das Verhalten deines Kindes ändern soll“, schreibt sie in „Der starkeKids Ratgeber“. 

Unseren Freunden erzählen wir gerne von uns selbst. Warum eigentlich nicht unseren Kindern? Gattringer gibt genau diese Empfehlung: „Erzähle zuerst von dir, wie du etwas machst oder gerne hast. Stell dir vor, was du einem/r guten Freund/in erzählen würdest. Und genau das, erzähl deinem Kind“, schreibt sie.

“… dann erzähl ich dir von mir“

Erzähle ich meinen Kindern von meinem Tag, ist das ein wunderbarer Türöffner für gute Gespräche. Das ist mittlerweile zu einem festen Ritual zwischen mir und meinem Vorschulkind am Abend geworden. Glücklicherweise kann ich manchmal wirklich etwas Schönes von meinem Beruf erzählen. Heute zum Beispiel. Da konnte ich meiner Tochter auf die Frage: „Wie war dein Tag, Mama?“ erzählen, dass ich mit einer Frau gesprochen hatte, die Schlittenhunderennen fährt. Sie hat zehn Hunde und fährt sogar zusammen mit ihnen in die Ferien. Darüber musste ich einen Artikel schreiben. Nicht so spannend sind die Tage, an denen ich Webseitentexte über Lichttechnik-Produkte oder Online-Marketing schreiben muss. Aber manchmal habe ich dann glücklicherweise auch noch eine Stunde Yoga unterrichtet oder meinen nächsten Yogaretreat in den Bergen vorbereiten dürfen. Kinder finden ohnehin vieles, was uns Erwachsenen langweilig vorkommt, zutiefst spannend. Und das ist es ja auch meistens, nur verlieren wir in der Gewohnheit den Blick dafür. „Mama, zuerst erzählst du mir von deinem Tag, und dann erzähl ich dir von meinem Tag“, sagt meine Älteste abends im Bett zu mir. Dann führen wir eine Konversation auf Augenhöhe. Und ich erfahre jeden Tag irgendetwas Spannendes.

Hund oder Katze?

Inspiration habe ich in dem Buch von Ralph Caspers „99 harmlose Fragen für überraschende Unterhaltungen zwischen Eltern und Kindern“ gefunden. Da stehen so simple aber spannende Fragen drin wie: „Hund oder Katze?“. Wer kommt schon auf die Idee, seinem Kind diese Frage zu stellen? Meistens geht es doch eher darum, dem Kind alle möglichen Argumente gegen das Haustier an den Kopf zu knallen. Stattdessen aber gibt die Frage „Hund oder Katze“ doch sehr aufschlussreiche Informationen über die Vorlieben des einzelnen Menschen. „Welche Superkraft hättest du am liebsten?“, ist eine Frage, die man schon sehr kleinen Kindern stellen kann. Meine Tochter sagt beispielsweise: Fliegen. Ich bin erleichtert. Auch heutzutage möchten Mädchen wenn sie die Wahl haben, im Sommer keine Schneemänner bauen können. „Was tun, wenn die Ampel nie grün wird?“ Kein Wunder, dass Ralph Caspers auf solche Fragen kommt. Als Journalist und Reporter bei der „Sendung mit der Maus“ gehört das Fragen zu seinem Job. Als ich ein Kind war, gab es nur zwei Wahlmöglichkeiten wenn es um Fernsehen ging. Sendung mit der Maus war Wochenende und sonst kam Sesamstraße. Wer nicht fragt, bleibt dumm, hieß es da schon so schön. Auf so etwas kommen sie bei Paw Patrol, Lillifee, Bibi und Tina oder wie sie heute alle heißen, natürlich nicht. Ich freue mich schon darauf, wenn meine Kinder alt genug sind, ihnen die Frage zu stellen, welche Eigenschaft von mir sie auf gar keinen Fall übernehmen möchten. 

Bleib wachsam!

Vielleicht hast du den Artikel zur Studie über die Achtsamkeit in der FAZ gelesen. Letztlich kann ich den Artikel von Felicitas Witte empfehlen, allerdings gilt es zu differenzieren: In diesem Artikel geht es um Achtsamkeitstraining, aber was ist denn mit Achtsamkeit im Umgang mit sich selbst und anderen/m? Ich sage statt „bleibe achtsam“: Bleibe wachsam! Achtsamkeitstraining ist kein Allheilmittel. Das ist klar. Und ich werde auch nicht müde, das zu betonen. Meditation ist angesagt und trendy, aber klar: sie bringt „the deep shit“ nach oben. Auch mir kommen manchmal beim blossen Atmen die Tränen. Druckabfall, das pure Leben, Themen aus dem Unterbewusstsein – das reicht schon. Witte berichtet in ihrem Artikel von einer Studie der amerikanischen Brown University, die besagt, dass mehr als jeder Zweite durch Achtsamkeitstraining unangenehme Nebenwirkungen erlebt habe. Das glaube ich.

Bei Panikattacken braucht es keinen Achtsamkeitscoach sondern professionelle Hilfe. Wer unter schlimmen Traumata leidet, sollte nicht unentwegt alleine meditieren. Das erste, was ich in meiner Ausbildung zur Kinderyogalehrerin gelernt habe, war, dass man Kinder nicht in die totale Stille holen solle. Meditation in dem Sinne wie sie für Erwachsene gut sein kann, gehört nicht ins Kinderyoga. Kommen da Traumata hoch, von denen wir als Yogalehrer/innen nichts wissen können, haben diese Kinder ein Problem. Und bräuchten unbedingt professionelle Begleitung.

Dennoch gefällt mir eines an dem Artikel nicht. Das Thema „gelebte Achtsamkeit“, also der achtsame Umgang mit meiner Umwelt und mir selbst, wird außer Acht gelassen. Dabei gibt es einen Unterschied zwischen Achtsamkeit als propagiertem Allheilmittel und gelebter Achtsamkeit. Wie kann mehr Achtsamkeit im Alltag schaden? Wenn ich das Thema Straßenverkehr nehme: Ich gehe davon aus – ohne irgendwelche Statistiken zu kennen – dass die meisten Unfälle, und damit auch viele Todesfälle und schwere Verletzungen, vermieden werden könnten, wenn hinter dem Steuer ein bisschen mehr Achtsamkeit gelebt würde. Multitasking hat irgendwann in den 90ern einen besonderen Stellenwert bekommen, wer „multitaskingfähig“ war, war gut. Besonders Frauen brüsteten sich damit. Musste sein, wie sonst sollten sie den Anforderungen, die Beruf und Familie stellten, gerecht werden? Wer wie mit Oktopus-Armen um sich selbst herumwirbeln konnte, war besonders cool. Hinterm Steuer noch schnell den Babysitter organisieren, sich für den Yogakurs am Abend anmelden und gleichzeitig den großen Business-Deal abschließen? Check! Dabei ist es logisch, dass, wenn ich mich auf eine einzige Sache konzentriere, sie garantiert besser gelingt. Oder? Wem sage ich das?

Achtsamkeit hat auch etwas mit innerer Stärke zu tun. Ich gebe immer dieses eine kleine Beispiel, wenn ich – was selten vorkommt, weil auch ich diesen Achtsamkeits-Hype mit Vorsicht genieße – darüber rede: Fragst du dich manchmal, mitten in deinem tosenden Alltag, wie es dir gerade geht? Ich hatte das heute morgen schon wieder, gleich nachdem die Kinder im Kindergarten verschwunden waren und ich nach Ferien, Krankheitsphase und Erziehermangel in der Kita den Impuls hatte, ich müsse schnell-schnell an den Schreibtisch. Ja keine Sekunde verlieren. All das aufarbeiten, was liegen geblieben ist. Viel zu viel natürlich. Ich war seit 6:20 Uhr wach und es war 8:30 Uhr. Ich hatte in diesen zwei Stunden noch nicht einen Schluck Wasser getrunken. Ich hielt also inne und meine innere Stimme rief mir zu: Nein! Stopp! Jetzt holst du dir ein Glas Wasser!

Manchmal, wenn alles um mich herum am Durchdrehen ist, inklusive ich selber, denke ich: Mach dir erst einmal einen Tee. Das hat mir meine Co-Autorin und Leistungssportlerin Katharina Bauer beigebracht. Wenn wir uns nachmittags zum Telefonieren verabredet hatten, während wir an unserem Manuskript arbeiteten, sagte sie: „So, ich habe mir jetzt noch einen Tee gemacht.“

Richtig so. Das ist Achtsamkeit. Nicht erst was trinken, wenn der Körper schon in den Seilen hängt. Ein simples Beispiel. Ich könnte tausend andere Beispiele geben. Ich mag den Begriff Selfcare so gar nicht, weil ich in den vergangenen Jahren so oft das Gefühl hatte, dass vor lauter Selfcare sich niemand mehr einen Dreck um andere schert. Ich vermute, es liegt daran, dass es den meisten Menschen heute zu gut geht – deswegen meckern ja auch alle so viel. Trotzdem musst du auf dich gut acht geben. Das ist etwas, was – ich wage hier eine blöde Behauptung aufzustellen – besonders Frauen etwas schwer fällt. 

In den letzten Wochen war ich krank, kam nicht auf die Füße, weil ich zu wenig geschlafen hatte und keine Zeit für Ruhe gefunden habe. Achtsamkeit fiel mir schwer. Ganz kleine Pausen habe ich mir mit Olympia versüßt oder versauert – wie man es nimmt. Ich beobachte das, was bei Olympischen Spielen und in der Sportwelt geschieht schon lange – auch während meiner Zeit als Sportjournalistin – gelassen und mit nicht allzu viel Euphorie. Die vergangenen zwei Wochen haben viele wichtige Themen auf den Tisch gebracht: Tierschutz – ich sage nur Moderner Fünfkampf, Rassismus, Depression, Missbrauch und Müdigkeit, das Recht auf Meinungsfreiheit, Korruption. Im Zusammenhang mit Sport werden solche Themen ungern gesehen. Ganz zu schweigen von dem Thema: Unerlaubte Leistungssteigerung. Was das betrifft, appelliere ich gerne an die „(W)ach(t)samkeit“. Versuche wachsam zu bleiben. Mein Motto: Man darf hinschauen, muss aber nicht alles glauben, was man sieht. Neben der alltäglichen Berichterstattung im Fernsehen lese ich daher auch den Blog des mehrfach preisgekrönten Journalisten Jens Weinreich

Da kann ich mich, obwohl er sich den unschönen Geschichten des Sports widmet, häufig köstlich amüsieren. Ebenso empfehle ich diesen Film von Eike Schulz.

Also, bleib wachsam.

Bin ich jetzt alt?

Mein Geburtstag scheint in weiter Ferne. Wer weiß schon, was im Oktober ist? Ich bin gerade einundvierzigeinhalbundeinbisschen. Ich hatte bestimmt irgendwann mal gedacht, die Vierzig würde sich sehr seltsam anfühlen. Tat sie aber nicht. Ich habe es nie wirklich gemerkt, dass ich älter geworden bin. Komisch, dass man eigentlich doch immer glaubt, man sei gerade erst 20 gewesen …

Am Mittwoch habe ich eine Stunde Zeit gehabt, um mit einer befreundeten Yogalehrerin aus der Umgebung einen Kaffee zu trinken. Meine jüngste Tochter ist eineinhalb Jahre älter als ihr kleiner Sohn. Und irgendwie kamen wir plötzlich auf die 90er Jahre und als ich erwähnte, dass ich in den 90ern Abitur gemacht habe, musste sie lachen. Und ich dann, als sie mir sagte, sie sei Jahrgang ’91. Die meisten Yogalehrer, die ich hier in der Umgebung kenne, sind jünger als ich. Wenn ich mich durch meine Social Media Kanäle scrolle, muss ich selbst über mich lachen. Ich fühle mich wie eine uralte Frau, der man jeden Schritt auf einer App erklären muss. Muss man ja auch 😉

Coaching statt Frisuren

Seit die 4 vorne steht, habe ich viel Geld in mich investiert. Aber nicht so wie früher in die Fußpflege oder Frisuren. Stattdessen in mein Inneres. Ich habe mir unangenehme Fragen stellen lassen und sie mir selbst in aller Ausführlichkeit gestellt. Ich lerne jeden Tag mit meinen Kindern. Wenn ich wirklich achtsam bin, haben wir die beste Zeit zusammen. Was es bedeutet, achtsam zu sein, haben sie mir besser beigebracht als es ein Erwachsener je könnte. Ich halte Kinder für die Zen-Meister schlechthin. Kinderköpfe sind unfassbar heilsam. Man muss sich allerdings darauf einlassen … Ich bin wieder mehr von Tieren umgeben, weil mir das gut tut. Ich atme besser. Wenn ich mal wirklich nicht weiter weiß, buche ich ein Coaching. Früher habe ich mir dann Klamotten gekauft.

Was sind eigentlich fortgeschrittene Asanas?

Mein Yogapraxis ist anders geworden. Ich weiß, auch auf meinem Instagramprofil gibt es viele Fotos, auf denen ich auf den Händen stehe, meine Beine dabei in irgendeine Richtung strecke oder meinen Oberkörper mühelos auf meine Beine falte. Ich habe früh verstanden, dass das menschliche Auge sich dem Schönen gerne zuwendet und deswegen finde ich es nicht verwerflich, dass Instagram als Medium genutzt wird, bei dem es vor allem um schöne Images geht. So lange wir unseren Kindern erklären, dass das nicht die Welt ist und dass auch das schönste Model auf Instagram Tage hat, an denen es ihm richtig Scheisse geht. Wenn ich Lehrer wäre, würde ich meinen Schülern/innen Oliver Pochers Parodien auf Influencer als Hausaufgabe geben. Ich bin aber Yogalehrerin. Deswegen empfehle ich es nicht 😉 Denn jemand könnte sich ja davon verletzt fühlen. Das war ein langes Vorgespräch. Worauf ich hinaus will ist:

Vergangene Woche hatte ich ein Interview mit einem Yogamagazin. Es ging um das Buch, das ich gemeinsam mit Katharina Bauer geschrieben habe, Yoga für ein starkes Herz. Die Frage, die mich staunen liess, lautete, ob Herzpatienten in der Lage seien, fortgeschrittene Asanas auszuführen. Ich staunte, denn: Wer oder was ist ein Herzpatient? Herzpatienten können alles mögliche sein. Wie man am Beispiel von Katharina Bauer sieht, können sie Hochleistungssportler sein. Sie können Menschen sein, die viel jünger sind als ich, körperlich fit sind und Räder im Sand schlagen. Sie können älter sein und übergewichtig aber auch Kinder voller Lebensenergie und Bewegungstalent. Es gibt also nicht den oder die eine/n Herzpatienten/in. Ich kann diese Frage nicht beantworten, wenn ich den Menschen nicht vor mir sehe, und vor allem auch nicht, wenn der Mensch mir nicht gesagt hat, was er eigentlich mit der Yogapraxis erreichen will.

Das andere, was mich stutzig machte, war die Frage an sich. Und deswegen dachte ich dann: Bin ich jetzt alt? Geht es überhaupt beim Yoga darum, „fortgeschrittene Asanas“ ausführen zu können und wenn ja, was sind eigentlich fortgeschrittene Asanas? Ein Bekannter von mir macht gar kein Yoga, kann aber ohne Probleme den Lotussitz einnehmen. Wenn wir uns sehen, schlägt er seine Beine mühelos in den Lotus – natürlich nur, um mich zu ärgern. Ich kann das nämlich nicht. Es amüsiert mich. In der aktuellen Ausgabe des Schweizer Yogamagazins Yoga!Das Magazin sagt R. Sriram, der auch eine besonders schöne deutsche Übersetzung des Yoga Sutra veröffentlicht hat: „Yoga versucht alle Aspekte zu integrieren, die zu einem Menschen gehören, um die bestmöglichen Haltungen auf allen Ebenen zu gestalten – emotional, körperlich, geistig, in Beziehung zu anderen, zu der Umwelt und sich selbst.“ Er sagt: „Asanas sind nur ein Glied aus dem Ashtangayoga. Mit dem Körper hängt der Atem zusammen und dieser darf beim Üben als zentraler Punkt nie vernachlässigt werden. Körperübungen führen immer dahin, dass der Atem verbessert und ein tieferes Atemverständnis erreicht wird.“ In der heutigen Zeit wird das häufig – selbst in der Yogapraxis – vergessen. Was will ich mit meiner Praxis eigentlich erreichen? Dieser zentralen Frage muss alles andere untergeordnet werden.

Auf zum Strand!

Und nun, da die 4 vorne steht, ist der Yoga für mich kein Mittel zum Knackarsch. Dafür mache ich nämlich Krafttraining an der Hantelstange. Es sind zwei völlig unterschiedliche Motivationen: Yoga soll mich erden. Mich dorthin zurückbringen, wo ich verstehen kann, warum ich hier bin und wie ich besser mit mir selbst und meiner Umwelt umgehen kann. Der Knackarsch macht mich nur deswegen glücklich, weil ich mich gesünder fühle, wenn ich ihn habe. Meinen Kindern sage ich immer, dass ich trainiere, damit ich sie noch lange tragen kann. Auch wenn sie – was bald sein wird – mal größer sind als ich. Aber Yoga mache ich nicht (mehr), um auf den Händen balancieren zu können. Bin ich jetzt alt? Ist das die typische Sichtweise einer Yogalehrerin über 40? Bestimmt. Claudia Schaumann schrieb vergangene Woche auf wasfürmich.de: „Geht das ganz große Glücksgefühl mit 40 flöten?“ Sie schreibt darüber, dass sie sich früher so federleicht fühlte, dass Probleme klein waren und plötzlich mit der 40 so viele Sorgen auftauchen. Dass die Sorge um die eigenen Eltern größer wird, dass wir beim Lesen der Todesanzeigen erschrecken, wenn wir die Geburtsjahre sehen. Ja, mit 20 dachte auch ich, das Leben sei unendlich. Ich hatte sehr viel Spaß. Aber trotzdem finde ich es jetzt besser.

Auch ich denke – gerade an Tagen wie diesen, wenn der Sommer laut lacht, die Nächte kurz sind und meine Füße ständig umgeben sind von Sand – ach, dieses Leben, wie lange darf es noch bleiben?, und lerne doch immer mehr, dass das Ende vielleicht gar kein Ende ist. Ich lerne wieder mehr und mehr, was mir gefällt und guttut. Wo ich Kraft tanken kann und wo ich Zuversicht und Vertrauen finde. Jeden Sommer zähle ich mehr Falten. Weil ich das Gesicht so gerne in die Sonne halte. Sie stören mich nicht mehr. Ich hatte übrigens fast vergessen, wie sich der Sommer anfühlt. Das liegt sicher nicht am Alter, sondern eher an der Pandemie. Dass ich das wertschätze, hat vielleicht auch etwas mit dem Alter zu tun: Die Anzahl der Sommer, die ich erlebe, sind nicht unendlich: Auf zum Strand!

Warum denn jetzt?

Das Leben ist kostbar. Auch in Pandemiezeiten. Ich lese gerade das Buch von Veit Lindau „Genesis – Die Befreiung der Geschlechter“. Zu Beginn hat es mich fast genervt, dass er nicht müde wird, immer und immer wieder zu erwähnen, dass du, ja genau du, ein Wunder bist. Dass du, ja genau du, die Welt verändern kannst. Mit deinen Gedanken. Mit diesem einen Unterschied. Und während ich mich am Anfang noch fragte, wieso Lindau nicht damit aufhört zu erzählen, wie wundersam wir sind, ist mir das plötzlich – in einem alltäglichen Moment – sehr klar geworden. Das Leben an sich ist ein Wunder. Es ist nicht selbstverständlich. Oh, werde ich jetzt hier zu spirituell? Vielleicht. Letzte Woche schrieb ich noch, dass ich mich auf den Sommer freue und jetzt schreibe ich vom allgegenwärtigen Moment … und davon, dass ich überhaupt nicht weiß, ob dieser Sommer für mich stattfindet … Ist das anstrengend? Mag sein.

Alles selbstverständlich?

Aber es ist auch wohltuend. Denn unser Alltag ist schließlich auch manchmal anstrengend. Während wir nämlich so vor uns hin dümpeln, uns über dies und jenes aufregen, uns unheimlich wichtig nehmen – beispielsweise weil unsere Freiheit gerade eingeschränkt ist – , wir uns streiten, mit anderen diskutieren ohne deren Meinung, deren Herkunft, deren Aussehen zu respektieren, verschwenden wir keine Sekunde daran, dass unser irdisches Dasein begrenzt ist – und dass diese Grenze sekündlich gesetzt werden kann. Wir nehmen alles für selbstverständlich. Nicht nur den kleinen automatischen Rasenmäher, der von sich aus das Gras auf akkurate Weise schneidet, während wir im Liegestuhl liegen bleiben können … ja nicht zu viel Bewegung … Nicht nur den scheinbar perfekt zubereiteten Burger, der einfach so auf den Teller gezaubert wurde, ja nicht darüber nachdenken, wer was wie dafür tun musste … Nicht nur den frischen Duft unserer gewaschenen Klamotten, gebadet in Weichspüler … damit die Handtücher sich auch wirklich ganz sanft anfühlen auf der Haut. Wir nehmen das Land in dem wir leben für selbstverständlich. Und dann gibt es ja noch die anderen. Tja, das ist ja dann das Leben der anderen. Das Leben – nicht das der anderen, sondern das Leben – scheint selbstverständlich.

Jetzt ist das Wertvollste, was wir haben

Bewusst wird uns die Kostbarkeit des Moments meistens erst mit dem Tod eines nahestehenden Menschen. Oder mit dem Unfall, der uns entweder ins Krankenhaus katapultiert oder uns im Schrecken für Sekunden verharren lässt: „Puh, Glück gehabt!“ Aber genau das ist der Grund, weshalb manche Menschen schon seit Tausenden von Jahren verstanden haben, dass die Besinnung auf Ein- und Ausatmen zum Glück führt. In einem Interview mit der Journalistin Doris Iding sagte Eckhart Tolle einmal: „Viele Menschen sehen in dem JETZT, in dem gegenwärtigen Moment, nur einen Stolperstein. Sie glauben, dass sie in einem zukünftigen Moment glücklicher sein werden als im JETZT. Dabei handelt es sich bei der Zukunft nur um eine Gedankenform, denn keiner hat die Zukunft jemals getroffen. Wenn sie kommt, dann ist sie wieder der gegenwärtige Moment. Aber das realisieren die meisten Menschen nicht, egal in welchen Lebensumständen sie sich befinden.“ Ich habe über diese Worte nachgedacht und plötzlich machten Tolles Worte Sinn für mich. Es ist absurd, sich die Zukunft herbeizusehnen. Jetzt ist das Wertvollste, was wir besitzen.

Das neue Bewusstsein ist hier

Dieses Annehmen des Jetzt ist nicht leicht. Das gelingt mir genauso wenig oft wie dir. Ich übe. Das Problem beschreibt Eckhart Tolle sehr gut: „Das Eigenartige ist: Je schlimmer die Lebensumstände, desto größer die potentielle Chance der Bewusstseinstransformation. In Situationen, die scheinbar aussichtslos sind, wie zum Beispiel eine schwere körperliche Behinderung, Krankheit oder ein tiefgreifender Verlust, verstärkt sich zunächst der normale Widerstand gegen den gegenwärtigen Moment – und somit das Leid – um ein Vielfaches. Das Jetzt wird fast unerträglich. Es innerlich zuzulassen, das „so-sein“ des Jetzt zu akzeptieren, scheint unmöglich und sinnlos. Doch dann, wenn der Mensch die Last des „leidenden Selbst“ nicht mehr tragen kann, kann es geschehen, dass plötzlich innerlich etwas kippt. Das tief verwurzelte Nein zum gegenwärtigen Moment löst sich auf, und damit auch das leidende Selbst. Und wenn das Jetzt zugelassen wird so wie es ist, dann öffnet sich die Tür zu einem tiefen, inneren Frieden und einer Intelligenz, die jenseits des Denkens liegt.“ Für mich macht diese Erklärung sehr viel Sinn. Es gibt viele Beispiele von besonderen Menschen, die unter einem enormen Leidensdruck unglaubliche Stärke bewiesen haben. Tolle sagte in diesem Interview vor etwa sechs Jahren – das nichts an seiner Aktualität verloren hat: „Das neue Bewusstsein ist schon hier. Sagen Sie nicht: Ich muss es erst noch erreichen. Für die Änderung des Bewusstseins braucht man keine Zeit. Dieser Gedanke ist das größte Hindernis. Das heißt, Sie brauchen nirgendwo hinzugehen. Sie brauchen nur vollkommen Ja zum gegenwärtigen Moment, zum JETZT, zu sagen.“

Wie geht „jetzt“?

Ich kann den Moment nur erreichen, wenn ich atme. Wenn ich mich bewusst darauf einlassen, wie ich ein- und wie ich ausatme. Dann bin ich da. Im Jetzt. Und das ist ein gutes Gefühl. Letzte Woche habe ich geschrieben: „Ich freue mich auf den Sommer.“ Ich dachte an einen Sommer mit kurzen Hosen, an den Strand, an Sprünge ins Wasser und Eis-verschmierte Gesichter meiner Kinder. Am Donnerstag war ich bei Regen mit meiner Tochter im Garten, wir pflanzten Tomaten und rupften Unkraut und der Moment war perfekt. Der Sommer war so wenig in Sicht wie das totale Ende der Pandemie. Meine Ausbilderin sagte immer: „Yoga is now.“ Das hörte sich schon damals so an, als würde es Sinn machen. Verstanden hatte ich das aber da noch nicht. Denn damals bezog ich es vermutlich hauptsächlich auf komplizierte Asanas, während deren Ausführung keine Zeit übrig blieb, die an den nächsten Gedanken verschwendet werden konnte.

Immer öfter …

Natürlich habe ich mich nun gefragt, ob ich denn, wenn ich versuche, die Zukunft (und die Vergangenheit) ausser Acht zu lassen, überhaupt noch einen Sinn darin sehe, beispielsweise Leistung zu bringen. Darüber musste ich nicht lange nachdenken. Natürlich macht das Sinn. Weil es ja auch hier um den gegenwärtigen Moment geht. Es geht mir ja im gegenwärtigen Moment nicht zwingend besser, nur weil ich auf der Coach liege und eine Packung Chips in mich reinschiebe … eher schlechter. Oder?

Kennst du das Gefühl, wenn du dich von äußeren Faktoren stressen lässt, durch den Moment rast, weil du Angst davor hast, zu spät zu kommen oder etwas nicht zu schaffen, was pünktlich geschafft werden muss …? Ich habe – witzigerweise nach dem Rat einer Freundin – begonnen, wenn es eilig ist, mich nicht mehr zu beeilen. Mit Ruhe an die Sache heranzugehen. „Meistens schafft man es dann ja viel eher“, sagte diese Freundin einmal zu mir. Ich habe diese Erfahrung auch gemacht. In Stresssituationen achtsam bleiben, einen Schritt nach dem nächsten statt Multitasking, das hat mich schon oft zum Ziel gebracht. Nicht immer erinnere ich mich daran. Immer öfter.

Lauschangriff und Lesestoff vom 30. April 2021

In diesem Interview sagt Paartherapeutin Tara Christopeit einen sehr klugen Satz: „Selbstliebe kommt nicht davon, dass man sagt: Ich bin gut so, wie ich bin. Selbstliebe kommt davon, dass man liebevoll zu anderen ist und darüber lernt, sich zu respektieren.“ Ich habe lange nach diesem Satz gesucht. Weil ich in den vergangenen Jahren häufig das Gefühl hatte, durch all das Geschwafel über Selbstliebe, sei in unserer Gesellschaft vor allem eines passiert: Ein falsches Bild davon, was Selbstliebe bedeutet. Damit entstand Rücksichtslosigkeit und die Meinung, Recht habe vor allem man selbst.

Selbstliebe schien plötzlich ein so unfassbar großes Label zu sein, dass alle in erster Linie einmal nach sich schauten. Das musste doch schließlich Selbstliebe bedeuten, oder? Das führte dann dazu, dass immer weniger Menschen für eine Hochschwangere im Bus einen Platz frei räumten oder körperlich behinderte Menschen in der Bahn erst stundenlang nach einem Schaffner suchen mussten, bevor ihnen einer seinen Sitzplatz anbot. Es führte dazu, dass die anderen irgendwie erst gar nicht mehr gesehen wurden. Denn die ganze Welt drehte sich ja plötzlich nur noch um Selbstliebe und das war ja wohl gerade gut genug, oder? „Wenn jeder sich selbst nur genug liebt, ist allen geholfen“, hörte ich häufig. Hm. Na ja. Denn wir wissen, dass es manchen eben nicht aus eigener Kraft gelingt, sich selbst zu lieben. Manche brauchen mehr Unterstützung als andere. Manche haben gerade keine Kraft sich selbst zu lieben. Manche haben es nie gelernt. Und deswegen liebe ich den Satz von Tara Christopeit so sehr. Schön, dass jemand, der Ahnung hat, sich so ausdrücken konnte, wie ich es nicht vermochte.

Selbstliebe hat nichts damit zu tun, sich hinzustellen, und zu sagen: Ich finde mich ziemlich dufte, wie ich bin und deswegen sind mir die anderen egal. Selbstliebe hat damit zu tun, sich selbst zu hinterfragen, wenn man alle anderen um einen herum in Frage stellt. Selbstliebe hat etwas damit zu tun, andere nicht gleich zu verurteilen, sondern sich selbst zu fragen, was das Verhalten der anderen in einem auslöst und woher die eigene Reaktion kommt. Das heißt trotzdem nicht, dass man den anderen immer recht geben muss. Man erntet, was man säht, sagt die psychologische Beraterin Susanne Supper in ihrem Podcast Selbstliebe – der Weg zur innerem Frieden. Die Folge vom 29. April 2020 ist genau ein Jahr alt, verliert aber niemals etwas an Aktualität.

Wenn wir selbst in einem Zustand der Liebe sind, empfinden wir sowohl für uns als auch für andere Liebe. Und dann hat es auch nichts mit Egoismus zu tun, die eigenen Bedürfnisse nicht zu vergessen. Wer sich selbst wahrhaftig wertschätzt, ist voller Empathie für andere. Und muss trotzdem nicht zu allem Ja sagen.

Was mich diese Woche sonst noch beschäftigte …

Dieser Artikel ist nicht nur hochspannend für Leistungssportler. Die Autorin Susanne Rohlfing und ihre journalistische Arbeit kenne ich persönlich.

Jetzt beginnt die Spargelzeit. Dazu hat das Naturmagazin Schrot&Korn einen wichtigen Beitrag zum Thema Wer erntet eigentlich unseren Spargel veröffentlicht. 

Ein bisschen Werbung aus Gründen der Selbstliebe

Und aus lauter Selbstliebe 😉 empfehle dir natürlich jetzt auch noch die aktuelle Folge des healthrise Podcast aka #bleibtgesund Podcast. Darin erzählen Katharina Bauer und ich wie es zu unserem gemeinsamen Buchprojekt gekommen ist, warum Yoga wirkt und jeder seinen Yoga finden sollte und natürlich auch von Katharinas unerschütterlichem positiven Mindset.

Und dann … Pizza!

Ich habe den Kindern versprochen, dass wir Freitagabend Pizza backen. Den veganen Mozzarella ersetze ich durch gar nichts – Käse brauchen wir nicht, nicht mal Käse, der keiner ist. Stattdessen gibt es bei uns noch gebackene Aubergine und Ruccola. 

Ein Stück vom Glück …

Seit dieser Woche findest Du auf meiner Webseite kostenlose geführte Meditationen. Sie sind nicht besonders lang; der Fokus liegt auf Acht-Minuten-Meditationen. Wie wohltuend diese kurze aber wertvolle Zeit der Ruhe und Besinnung sein kann, habe ich bereits mehrfach beispielsweise hier und hier beschrieben.

Meditiere auf deine Weise

Meditation ist auf viele Arten möglich. Wenn es dir schwerfällt, Zeit für „Nichtstun“ einzurichten und du Stille eher beängstigend findest, dann beginne doch damit, einmal achtsam durch den Wald zu spazieren. Nimm dir vor, beim Joggen auf den Sound deiner Atmung zu achten, statt über dein nächstes Projekt zu sinnieren. Vielleicht einmal auf die „Tagesthemen“ verzichten, stattdessen zehn Minuten früher ins Bett zu gehen und bewusst darüber nachzudenken, wofür du an diesem Tag dankbar warst. All das beinhaltet Meditation. Ich bin ein großer Fan von Victor Davichs Buch „8 Minuten Meditation“. Denn acht Minuten tun nicht weh. Davich erklärt im Buch auch anschaulich, wie Meditation beim Gehen, beim Abendessen zubereiten, ja sogar im Supermarkt möglich ist. Dabei sagt er: „Denke daran, dass Meditation in Aktion nicht bedeutet, etwas in Slow-Motion auszuführen.“ Führe die Aktionen in dem Tempo aus, in dem sie ausgeführt werden müssen. Und auch da ist Meditation eine Übungssache. Aber eine, die sich lohnt, denn es führt dazu, Dinge, die getan werden müssen mit einer gewissen Zufriedenheit auszuführen.

Beende den Anspruch, im Meditieren gut zu sein

Michael James Wong, ein Yogalehrer aus London, hat diese Woche auf seinem Instagram-Profil geschrieben: „I find the greatest obstacle for meditation is that people have a need to be good at it quickly, the irony is, the harder you try, the less benefit you find. Break the need from wanting to achieve and just appreciate the time to close your eyes, be still and just breathe.“ Menschen beginnen zu meditieren, und haben dabei gleich den Anspruch darin „gut“ zu sein. Doch genau da liegt das Problem: Um so stärker wir etwas von der Meditationspraxis erwarten, um so weniger Profit können wir daraus ziehen. Das ist das Paradoxe an der Meditationspraxis: Meditieren bedeutet, zu Üben Ja zum gegenwärtigen Moment zu sagen. Das gelingt aber nicht, wenn wir uns „nicht gut genug zum Meditieren“ fühlen. Wenn wir also damit aufhören, an unsere Meditationspraxis Erwartungen zu knüpfen, beginnen wir damit, die Zeit der Stille und des Bewusstseins zu geniessen. Jeder bewusst durchgeführte Atemzug ist ein Stück vom Glück.

Wenn Ohren atmen …

Und noch etwas: Höre manchmal einfach genau hin. Beispielsweise auf die Stille. Wie hoch der Geräuschpegel in meinem Leben ist, wurde mir erst Silvester vor zwei Jahren bewusst. Da hatten wir Besuch von einer Freundin, die alleine lebt. „Es war schön bei euch“, sagte sie mir am Tag der Abreise, „aber Wahnsinn, welchem Geräuschpegel du immerzu ausgesetzt bist.“ Seit dem genieße ich die Stille wirklich in besonderem Maße. Sie fehlt mir nicht wenn ich in meinem Alltagstrubel bin, aber ich nehme sie sehr bewusst wahr, wenn sie auftaucht. Dann scheint es, als würde ich meine Ohren aufatmen hören …