Schlagwort: Depression

Die Instacrux

Am Montagabend blieb für einige die Welt stehen. Für mich nur Instagram, Facebook und WhatsApp. Das war – ehrlich gesagt – angenehm. Von mir aus können die sozialen Netzwerke ab und zu ruhig für ein paar Stunden zusammenbrechen.

Auch ich scrolle abends durch Instagram und halte angeblich via Facebook den Kontakt zu vielen Menschen aufrecht. Aber ich schreibe hier nicht, weil ich gerne Influencerin wäre oder glaube, mein Instagramprofil müsse unbedingt Tausende Follower haben. Ich freue mich, wenn sich jemand auf diese Seite verirrt und einen Text hier liest. Die sind aber den meisten Menschen heute ohnehin zu lang. Wenn ich ehrlich bin, juckt mich nicht, wie viele sich Fotos auf meinem Account anschauen. Bin ja keine Fotografin. Mein Leben wird durch „Likes“ nicht eine Sekunde lang heller. Kürzlich las ich unter einem Instagram-Profil: „Your number of followers does not make you better than anyone else. Hitler had millions. Jesus had twelve.“ Zugegeben: Ich musste schmunzeln.

Bin ich noch zu retten?

Ich stelle mir ziemlich häufig die Frage, ob jemand, der wie ich selbständig arbeitet und dann auch noch mit den Themengebieten Text, PR und Yoga, nicht auf jeden Fall einen Instagram-Account bedienen muss. Ich bin mir sicher, dass ich kaum Kunden über Instagram akquiriert habe. Aber wie finde ich sie? Oder: wie finden sie mich?

Ich bin nicht mehr 22. Meine Kunden auch nicht. Manchmal denke ich, ich sollte mehr Zeit in LinkedIn stecken, in eine vernünftige Webseite und den Rest einfach lassen. Stattdessen suche ich mir für diesen Artikel bewusst ein Bild aus, das mich in Poser-Pose zeigt. Hirnverbrannt? Oder nur normal? Bin ich noch zu retten?

Ich beobachte mit Sorge, dass junge Sportler, die es bis in die Weltspitze schaffen, von potentiellen Sponsoren zu hören bekommen, sie müssten sich Instagram-Follower kaufen, bevor sie einen Vertrag bekommen könnten. Und ich sehe schon lange das „Social Dilemma“ oder wie ich es auch nenne, die „Instacrux“: Während wir sozialen Netzwerken viel abgewinnen können, lassen sich gerade junge Menschen (besonders Mädchen) von den sogenannten Influencer/innen hinters Licht führen. Damit meine ich nicht, dass sie jeden Scheiß kaufen, der glatte Haut, schöne Haare oder schmerzfreie Menstruationstage verspricht. Ich meine, dass sie glauben, die Welt sei Instagram. 

Inszenierte Identität

Autorin Jacqueline Draheim-Frank ist Biologie- und Germanistiklehrerin und studierte Psychologin. Sie beschäftigte sich mit dem Thema „die digitale Identität als Stressor für Jugendliche“ und sagt: „Jugendliche können ihre Identität inszenieren und andersrum perfekt kreierten Identitäten folgen. Es findet eine immer abrufbare Konfrontation eines Vergleichssystems auf Knopfdruck statt. Die Person, der ich folge, ist schöner, schlanker, sportlicher, erfolgreicher, fröhlicher, mutiger, hat mehr Freunde, erlebt mehr, sie stellt das dar, was ich nicht habe und nicht bin, zumindest auf den ersten Klick.“ Das heißt: Die Jugendlichen müssen sich nicht nur im realen Leben behaupten und Anerkennung in der gleichaltrigen Gruppe finden, sie müssen es auch in der digitalen Welt schaffen. „Sie müssen Freunde und Follower finden und stehen in Konkurrenz mit perfekt inszenierten Scheinrealitäten. Das Fotoshop-Selfie, die Fotografie des eigenen Selbst, wird ständig begleitendes Darstellungsmittel und sucht nach Likes“, sagt Draheim-Frank, die auch Yogalehrerin und Heilpraktikerin ist.

In einer ihrer Hausarbeiten zitierte sie die Direktorin für Medien- und Kommunikationsmanagement der Uni Graz: „Es geht nicht um die ehrliche Suche nach dem: ‚Wer bin ich?‘  sondern nach:  ‚Wie muss ich sein, damit mich die andern liken?'“

Depressionen, Magersucht

Die Befragung von 1479 Jugendlichen zwischen 14-24 Jahren durch die „Royal Society for Public Health“ informiert, dass jeder sechste Jugendliche aufgrund sozialer Mediennutzung unter Angstzuständen leidet. Vor allem seien es Depressionen, verminderte Selbstwahrnehmung, Schlafmangel und Cyperbulling (Internet Mobbing), sowie die Angst davor, etwas zu verpassen (FoMO, Fear of missing out, www.safersurfing,de, Jugendliche und der Einfluss von social Media, 24.6.2018). So gesehen war das also gar nicht so überraschend, was Whisteblowerin Frances Haugen kurz vor dem stundenlangen Shutdown gegen Zuckerbergs Konzern ausgesagt hatte.  Es ist eher logisch.

Kein Geheimnis, dass Facebook und Instagram von Empörung profitieren. Ihre Algorithmen sind darauf ausgerechnet, denn ein bestimmtes Gefühl lässt sich leicht in den Sozialen Netzwerken triggern: Wut. Das haben wir besonders schön während der noch andauernden Corona-Pandemie zu spüren bekommen. 

Kann das yogisch sein?

Also fragte ich mich in dieser Woche mal wieder: Wie möchte ich meine Kinder im Umgang mit sozialen Netzwerken sehen? Was sollen sie von ihrem Leben preisgeben und mit einer Öffentlichkeit teilen? Wie sehr soll sich unser Leben generell auf das Netz beschränken? 

Wie lässt sich auch in der aktuellen Zeit ein gesunder Umgang mit den sozialen Medien lernen (schließlich habe ich meinen heutigen Mann auf Facebook „wiedergefunden“ und übrigens über das soziale Netzwerk mit manchen früheren eher flüchtigen Bekanntschaften begonnen, einen innigeren Kontakt zu pflegen …)? Möchte ich Teil einer Welt sein, die logischerweise nur im Außen stattfindet? Ich erwarte keine Antworten und gebe in diesem Artikel auch keine. Er berichtet einfach von meinen Gedanken, die natürlich auch immer wieder um das Thema kreisen: Sind Yogis auf Instagram tatsächlich yogisch?

Lauschangriff und Lesestoff vom 8. Juli 2021

Ich sitze in der Küche meiner Mutter. Draußen regnet es. Genauer: es schüttet. Die Kinder spielen seit zwei Stunden friedlich im Zimmer nebenan, eine Art Ankleideraum. Da steht auch noch eine Bügelmaschine aus dem letzten Jahrtausend. Eine Bügelmaschine!?! Außer meiner Mama kenne ich niemanden, der so ein Gerät zuhause hat. Sie bügelt damit die Tischdecken. Die Kinder finden alle möglichen Sachen, das meiste ist altes Spielzeug von uns, meinen Brüdern und mir. Spielsachen, die für meine Töchter wie Relikte aus einer anderen Epoche erscheinen. „Mama, gibt es hier kein Glitzer?“, fragte mich meine Tochter im letzten Sommer, als wir auf dem Dachboden nach alten Playmobilfiguren und Spielzeug suchten. Glitzer? Ich musste lachen. Sie lieben es trotzdem hier.

Regen, kein Glitzer

Bislang hatten wir immer Glück. Wenn wir aus dem Norden hier runter in den Süden kamen, schien die Sonne. Wir verbrachten die meiste Zeit im Garten meiner Eltern, der für mich ein bisschen was vom „Garden Eden“ hat. Einen Pool gibt es auch. Diesmal ist der Sommer irgendwie ins Wasser gefallen. Egal. An den Kindern sehe ich jeden Tag wie irrelevant das Wetter ist. Sie würden am liebsten noch länger hier bleiben. Und ich habe gar kein schlechtes Gewissen, obwohl ich kaum zum Arbeiten komme. Vielleicht liegt es daran, dass ich am Wochenende den Artikel in der Süddeutschen Zeitung gelesen hatte: „Ab in die Pause“ – oder in der Onlineversion „Das erschöpfte Ego“. Werner Bartens hat einen schönen Beitrag geschrieben, darüber, dass Pause machen in Deutschland erschreckender Weise verpönt ist. Denn wir leben heute in einer Zeit, in der die Menschheit noch nie so gesund und gleichzeitig noch nie so ausgebrannt war. Dabei ist die Pause – und auch die Stille – so unfassbar kraftvoll. Das erfährt Bartens unter anderem auch von Künstlern, wie dem Schauspieler Ulrich Matthes, der erklären kann, weshalb von der Pause eine große Macht bei Theater und Film ausgeht. „Statt die Magie des Moments zu genießen, die Stille zwischen einem noch nicht vereinten Liebespaar oder auch nur im Meeting nicht gleich dazwischenzuplärren, wenn ein Kollege mal eine Idee von sich gibt, hebt sofort das große Palaver an, wenn einer noch nicht mal ausgeredet hat“, schreibt Bartens. Wie herrlich. Ja, oder? Der perfekte Ton sei die Stille, sagte einmal Keith Richards. Bartens schreibt, dass wir heute glauben, nicht zur Ruhe kommen zu dürfen, denn „da geht noch was“.

Absichtslose Pause

Mir stoßen Sprüche wie „Ausruhen kann ich auch wenn ich tot bin“ schon lange übel auf. Weiß ich doch, dass Schlaf und regenerative Pausen unabdingbar für gute Performance sind. Zumindest dann, wenn ich gleichzeitig auch noch gesund bleiben möchte. Den Vollgasmodus kenne ich übrigens auch. In meinen Zwanzigern war ich pausenlos rastlos. Das ist auch verständlich. Der Sinn für Ruhe kam zum Glück schon vor dem Ende meiner 30er. Bartens hat (nicht nur) einen schönen Satz geschrieben, der mich besonders zum Denken gebracht hat: „Die Pause als Quell schöpferische Gedanken zu instrumentalisieren, oder als Ladestation für das erschöpfte Ego, ist übrigens nicht Sinn der Sache, sondern wäre nur ein weiteres Unterkapitel im Optimierungsaleitfaden der Bilanzbuchhalter für das Ego.“ Die Pause soll absichtslos sein. Ach, herrlich. 

Gerne gehört habe ich in der letzten Woche den Podcast Depression – Der Talk der Robert-Enke-Stfifung mit Sängerin Lotte als Gast.

Darin spricht Lotte auch darüber, wie sich die sozialen Netzwerke, also beispielsweise Instagram, auf ihre Psyche auswirken. Sie habe dazu ein Experiment gemacht und festgstellt, dass es ihr eigentlich immer wenn sie durch die Profile scrollte, schlechter ging als vorher. Wir sehen das vermeintlich perfekte Leben der anderen auf dieser Plattform immerzu in der vollen Perfektion. Kein Wunder, dass wir selbst da ein schlechtes Gewissen kriegen müssen. Ich finde es spannend, dass jemand wie Lotte – deren Profil von über 80.000 Menschen verfolgt wird – diese Erfahrung macht. Es ist ein Alarmzeichen. Und steht in einem engen Zusammenhang mit meinem persönlichen Zwiespalt zum Nutzen dieser App. Darüber schreibe ich hier mal an anderer Stelle in einem größeren Beitrag. 

Money, money, food, food

Wenn du dich dafür interessierst, was ein/e Yogalehrer/in so verdienen kann, empfehle ich den aktuellen Beitrag von Thomas Meinhof aka yogadude auf Yogaword.de. Um dieses Thema dreht sich auch dieser Beitrag auf eversportsmanager.com.

Was mich sonst noch beschäftigt hat diese Woche: Natürlich dieser unfaire Elfmeter der Engländer gegen die Dänen bei der EURO 20. Nein. Gar nicht. Eher: Das unschöne Verhalten der englischen Fans. Gegen den dänischen Torhüter aber auch generell. Das Verhalten der Fans aller Nationen in Bezug auf die Vorbildfunktion für unsere Kinder in Pandemie-Zeiten … aber egal. Ist ja nur Fußball 😉

Eine noch in Deutschland wenig bekannte Seite für vollwertige und gesunde Rezepte findest du hier

Und das gibt es bei mir. Danach geht es dann auch noch mal in „Extra-Ferien“. Wir verschwinden noch für eine Woche in den Bergen. Hier lesen wir uns wieder am 24. Juli.

Illustration: Mona C. Kramss