Thorsten Ribbecke ist wissenschaftlicher Referent an der Trainerakademie des Deutschen Olympischen Sportbundes. Er war jahrelang als Trainer in der Handballbundesliga tätig und ist auch verantwortlich für die DOSB Athletiktrainerausbildung. „Corona“ macht uns alle platt. Nervt, zehrt an unseren Kräften, sorgt für wenig Schlaf und Zerrissenheit. Deswegen habe ich mit Thorsten Ribbecke über Regenerationsstrategien gesprochen, die nicht nur für Hochleistungssportler gelten.
In deiner Arbeit beschäftigst du dich vor allem damit, wie Hochleistungssportler Angaben über den körperlichen und mentalen Zustand erhalten und darüber eine passende Trainingsform entwickeln. Ein großer Aspekt dieser Arbeit sind Regenerationsstrategien. Kannst du ein bisschen was dazu erzählen?
Natürlich erhalten Sportler Daten und Angaben zur Selbstreflexion. In erster Linie ist das sogenannte Monitoring jedoch für die Trainer wichtig, um zu sehen, wie bereit der Sportler für die Trainingseinheit ist. Er kann auch sehen, inwieweit sich der Sportler seit der letzten Trainingseinheit erholt hat. Ist das nicht der Fall, müssen Inhalte im Training angepasst werden und Regenerationsstrategien angewendet werden. Diese sind situativ und individuell anzuwenden. Ein einfaches Beispiel: Es gibt Menschen, die lieben die Sauna, andere haben gar keinen Zugang zu Wärme – und mögen das Eisbad. Jetzt muss man allerdings aufpassen: Es gibt Situationen, da wäre ein Eisbad – auch wenn man das gerne mag – absolut unklug. Ein Eisbad reguliert Entzündungen herunter. Und es gibt Situationen im Tainingszyklus – beispielsweise im Trainingsaufbau – da soll die Entzündung gar nicht herunterreguliert werden. Sie ist ja schließlich eine kluge Reaktion des Körpers. Sie bedeutet Anpassung. Der Körper macht das nicht umsonst. Einfaches Beispiel ist hier ein Muskelkater in der Vorbereitungsphase. Den sollte man dann vielleicht aushalten und nicht mit einem Eisbad bekämpfen. Bist du allerdings in der Wettkampfphase, macht es natürlich Sinn, dem Muskelkater mit einem Eisbad entgegenzuwirken.
Nun wollen wir beide aber heute gar nicht so sehr über den Leistungssportler sprechen, sondern um Menschen wie dich und mich. Du sagst, Atmung, Schlaf und Ernährung sind die drei Komponenten, die für eine bestmögliche Regeneration sorgen. Würdest du sagen, dass diese drei Bausteine auch den Nicht-Sportler leistungsfähiger machen?
Es ist egal, ob du Mama oder Manager bist oder Olympiasieger werden möchtest – diese drei Komponenten sind ausschlaggebend für die Leistung, die du bringen musst. Ich sage immer gerne: Du kannst, ohne eine einzige Tafel Schokolade in deinem Leben gegessen zu haben, problemlos 100 Jahre leben. Du kannst auch so lange leben, ohne einen einzigen Saunagang gemacht zu haben. Wellnesstrategien, die aus unserer heutigen Sicht unheimlich wichtig erscheinen, sind nicht lebenswichtig. Du kannst aber nur fünf bis zehn Minuten ohne Atmung überleben, ohne Trinken etwa vier bis sieben Tage, ohne Schlaf nur etwa zwei Wochen und ohne zu essen schaffen wir eventuell ein bis zwei Monate. Daher macht es Sinn, sich mit der Optimierung dieser drei Bausteine zu beschäftigen.
Woran liegt es denn, dass die Optimierung der Atmung beispielsweise weniger Ernst genommen wird, als der Wunsch nach dem Saunagang?
Der Saunagang ist einfacher. Wenn ich die Komponenten Atmung, Schlaf und Ernährung optimieren möchte, muss ich mir Gedanken um eine Tagesstruktur machen. Alleine wenn es um Ernährung geht, brauche ich eine gute Planung und unter Umständen Vorbereitung. Es ist ja auch nichts gegen den Saunagang zu sagen, wenn er gut tut und eine Auszeit bietet. Alles wunderbar. Aber wenn ich eine gute bewusste Atmung habe, dann schlafe ich auch besser. Wenn ich mich gesund ernähre, bin ich tagsüber weniger müde, beeinflusse den Tagesrhythmus besser. Den wenigsten Menschen ist bewusst, dass Entgiftung zu 70 Prozent über die Atmung, 20 Prozent über die Haut, 10 Prozent über Verdauungsorgane funktioniert.
Was hast Du in Deinen Recherchen zum Thema Ernährung herausgefunden?
Hier zitiere ich gerne Tom Fox, einen Ernährungstherapeuten, der einmal gesagt hat: „Je mehr sich die Menschen der Religion abwenden, umso mehr wenden sie sich der Ernährung zu.“
Man muss sich, wenn man über Ernährung spricht, erst klar werden, worum es geht: Unterhalten wir uns über eine ethische Ebene oder geht es um Biologie? Das nächste ist: Wir müssen uns die Frage stellen, wo wir herkommen, bevor wir über optimierte Ernährung sprechen. Dazu erzähle ich ein Beispiel aus der Deutschen Eishockeyliga. Hier gab es vor einigen Jahren folgendes Problem: Ein Spieler aus Alaska kam in ein deutsches Team, toller Spieler, performte grandios. Nach drei Monate: Totalausfall. Die Leistung des Athleten nahm ab, er fühlte sich müde, war ständig verletzt. Und irgendwann stellte man ihm die Frage: Was hast du verändert, seit du hier in Deutschland bist? Und er erzählte dann von seiner Ernährung. Der hatte in Deutschland erst mal nur Kohlenhydrate zu sich genommen. Da wurde er sofort auf Low Carb gesetzt. Der Athlet hatte seine Ernährung aufgrund der unterschiedlichen Kulturen zweier Länder mehr oder weniger unbeabsichtigt komplett umgestellt. Aus einem Leben, in dem täglicher Verzehr von Fisch etwas normales war, kam er in eine Welt, in der hauptsächlich Kohlenhydrate auf dem Speiseplan stehen. Das konnte nicht funktionieren. Der Mensch benötigt etwa 6000 Generationen, um seinen Stoffwechsel anzupassen. Das sind ca. 50.000 bis 100.000 Jahre. Getreide gibt es erst seit 8000 Jahren. Da wundert es nicht, dass einige Gluten nicht gut vertragen oder warum Asiaten immer noch eine Laktoseunverträglichkeit haben.
Ernährung wird – wie du ja auch mit den Worten von Tom Fox deutlich gemacht hast – schnell zur Glaubenssache. Wie gehst du damit dann um, wenn du Athleten vor dir hast, die du schulen möchtest?
Natürlich ist die Qualität von Produkten nicht außer Acht zu lassen. Es macht schon Sinn, darauf zu achten, wo das Essen herkommt, wie es produziert wurde. Aber manchmal muss man auch die Kirche im Dorf lassen. Ernährung darf nicht zur Belastung werden. Man soll auch seine Mitmenschen nicht damit in den Wahnsinn treiben – was ich tatsächlich auch schon getan habe, weil ich eben auch Dinge manchmal ausprobieren muss. Ich glaube, es ist immer ein guter Rat, etwas nicht zum Dogma werden zu lassen.
Kommen wir zu meinem Lieblingsthema. Der Atmung. Wie atmet man denn „effektiv“?
Dazu kann man selbst verschiedene Punkte beachten: Beispielsweise, wie oft man in der Minute atmet. Die Frequenz sollte 10-14 Atemzüge pro Minute nicht übersteigen. Ein wichtiger Aspekt: Atmet man während der alltäglichen Aktivitäten manchmal durch den Mund? Atmet man während des Schlafes durch den Mund? Schnarcht man? Wie schwer atmet man während man sich ausruht? Wie sehr heben sich Brust und Bauch beim Atmen an? Ist die Atmung während des Ausruhens hörbar? Beobachtet man mehr Brust- als Bauchbewegung beim Atmen? Seufzt man regelmäßig am Tag? Regelmäßiges Seufzen ist ein Merkmal von chronischem Überatmen. Macht man im Alltag die Erfahrung von nasaler Überlastung, Verengung der Atemwege, Erschöpfung, Schwindelanfälle oder Benommenheit? Leidet man unter Atemwegserkrankungen wie beispielsweise Asthma?Leidet man unter metabolischen Erkrankungen wie Diabetes, Herzerkrankungen? Eine optimierte Atmung kann tatsächlich geübt werden. Der erste Schritt wäre die Umstellung auf eine ganztägige Nasenatmung. Durch diese Beanspruchung wird das Zwerchfell gestärkt.
Wer Sport treibt, sollte selbst beim Training versuchen, so viel wie möglich die Nasenatmung anzuwenden. Ein Trick vor dem Schlafengehen bei Schnarchen: 15 Minuten vor dem Schafengehen die Atmung verlangsamen. Ein Lippenpflaster (Myotape) ist eine Möglichkeit im Schlaf eine nächtliche Nasenatmung zu gewährleiten.
Und was sind mögliche Folgen von ineffektiver Atmung?
Ein Beispiel: Ist das Zwerchfell in seiner Funktion gestört, verändern die anderen Muskeln ihrerseits ihre Funktion und laufen Gefahr, zu überlasten. Dadurch vermindert sich auch die Beweglichkeit der Brustwirbelsäule, was zu Schmerzen im Rücken- und Beckenbereich führen kann. Es besteht die erhöhte Gefahr von Atemwegserkrankungen wie Asthma. Ebenso besteht die Gefahr von Inkontinenz – was im Übrigen 33 Prozent der Leistungssportler betrifft.
Als Yogalehrerin weiß ich, dass das Thema Atmung nicht immer auf großes Interesse stößt. Atmen funktioniert automatisch, ist eine Meinung. Ich habe das Gefühl, für viele Menschen geht die achtsame Beschäftigung mit der Atmung zu sehr in die Tiefe. Wie gelingt es dir, Leistungssportler von deinen Strategien zu überzeugen?
Gutes Marketing ist alles (lacht). Das habe ich selbst erst einmal lernen müssen. Ich habe zu Beginn meiner Tätigkeit gemerkt, dass die Athleten sich während meiner Vorträge zu den Themen Meditation und Atmung null abgeholt fühlten. Ich habe dann schon an deren Gesichtern gesehen, dass sie dachten: Komm mir nicht mit dem esoterischen Scheiß. Ich bin dann wirklich einige Male frustriert nach Hause gefahren. Und dann habe ich die Strategie gewechselt. Ich arbeite beispielsweise sehr viel in der Handball-Bundesliga. Dort sind viele Jungs absolute Fans von der amerikanischen NBA und NFL. Und als ich dann begonnen habe, denen zu erzählen, dass harte Hunde wie Shaquille O’Neil, Michael Jordan, LeBron James, Russell Wilson und so weiter, meditieren, da waren die auf einmal ganz Ohr. Plötzlich kamen sie zu mir, fragten mich nach Meditations-Apps. Und genauso ist es eigentlich mit jeder Branche. Du musst schauen, wo du die Leute am besten mit dem Thema packen kannst.
Wie verknüpfst du dieses Wissen mit deinem eigenen Alltag? Meditierst du oder bist du einfach jemand, der sehr bewusst und aufmerksam atmet?
Meine Meditationspraxis war tatsächlich schon mal regelmäßiger, das liegt am Alltag – meine Frau arbeitet in einem Landwirtschaftlichen Betrieb, da ist momentan natürlich absolute Hochsaison, wir haben zwei schulpflichtige Kinder, ich bin berufstätig. Aber dafür achte ich ziemlich auf gesunde Ernährung, und ich habe meine eigene Strategie entwickelt, wie ich gut schlafen kann. Da muss ich beispielsweise auch satt sein und hochdosiert gutes Magnesium zu mir genommen haben. Dann steige ich momentan jeden Tag aufs Rad und übe da aktiv an meiner Atemtechnik. Beim Radfahren habe ich eine ziemlich gute Kontrolle über meinen Puls und spiele dann auch damit. Beispielsweise teste ich aus, wie lange ich eine Nasenatmung aufrecht erhalten kann. Was ich in der Corona-Pandemie für mich wiederentdeckt habe, ist die Musik. Ich habe mir seit langem mal wieder eine Gitarre gekauft und wenn ich merke,ich komme am Schreibtisch gerade nicht weiter, mein Kopf ist dicht, dann setze ich mich kurz hin und spiele Gitarre. Danach kann ich dann wieder weitermachen. Das ist momentan sozusagen meine Meditation.
Thorsten Ribbecke hat ein Buch zu diesem Thema geschrieben. Es heißt: Regenerationsstrategien. Neue Reserven durch Erholung und Monitoring und ist im Pflaum Verlag erschienen.