Yoga und Berührung. Für mich gehört das zusammen. Berührung – macht das nicht die Qualität der Yogastunde aus? Auf jeden Fall. Damit meine ich jetzt nicht nur die physische Berührung. Aber der Reihe nach.
Als ich vor vielen Jahren Yoga eine zweite Chance gab (meine erste Erfahrung hatte höchstens Verwirrung hinterlassen), war ich geflasht. Geflasht von dem, was da mit mir passierte, aber vor allem auch geflasht von der Nackenmassage, die mir die Yogalehrerin zu Beginn der Stunde im Herabschauenden Hund und dann am Ende noch mal in Savasana gegeben hatte. Was war das bitteschön für eine besondere, tiefgehende, einfühlsame und so wohltuende Berührung gewesen? Fortan war ich irritiert, wenn ich in Savasana lag und innerhalb von 90 Minuten nicht ein einziges Mal angefasst worden war. Das kam vor allem in Los Angeles oder Santa Barbara vor, wenn die Klassen um die 50 Teilnehmenden hatten – logisch, dass ein einziger Yogalehrer da unmöglich jeden anfassen kann. Ich teilte Yogalehrer in berührende und nicht berührende ein und meine damit natürlich nur den physischen Teil der Berührung. „Die große Bedeutung von Berührung ergibt sich aus der menschlichen Entwicklung“, schreibt Thai Yoga Ausbilder Tobias Frank in seinem Buch „Thai Yoga. Körper und Seele berühren“. „Der Tastsinn ist der erste Sinn, mit dem wir die Welt erkunden. Wir fühlen unsere Umwelt, noch bevor wir sie sehen oder hören. Und nach der Geburt ist der Körperkontakt zur Mutter die Erfahrung in unserem Leben, die uns Kraft und Halt gibt.“ Frank schreibt weiter, dass Berührung zu einer erhöhten Ausschüttung der Glückshormone Dopamin und Serotonin führt. Berührungen können Schmerzen lindern, das Immunsystem stärken und den Blutdruck senken …
Die Berührung hat also einen tieferen Sinn als nur Unterstützung von „korrekter“ Ausrichtung. Jedoch erhielten Hands-on-Assists während Asanas eine große Bedeutung in meiner Praxis. Wie spürte ich den Unterschied, wenn mir jemand dabei half, noch genauer in eine Position zu kommen, tiefer in eine Dehnung zu gehen? Ich machte in genau diesen Stunden die meisten Fortschritte während meiner Asana-Praxis. Selbst zu üben, zuhause, wurde für mich besonders wichtig als ich Mama wurde und weniger Zeit hatte, in ein Studio zu gehen. Am allermeisten fehlten mir dann die Assists der Lehrer. Ich brauchte kein Online-Yoga, ich konnte selbst praktizieren, wusste, wann ich welche Übung an die nächste reihen sollte, manchmal lagen Bücher neben meiner Yogamatte. Mir fehlten die Berührungen sehr.
Ich war selbst Lehrer geworden; eines meiner liebsten Yogabücher ist „Hands on Yoga“ von Nadezhda Georgieva, weil es das Spektrum der Berührungen während der Asanapraxis auf so besondere Art und Weise zeigt. Die richtigen Berührungen in der richtigen Position an den richtigen Stellen zu geben, bedeutet für mich immer noch hohe Kunst des Yoga. Ich bewundere die Lehrer, die immer wissen, wann welche Berührung sich genau richtig anfühlt.
Und dann kam Corona. Yoga findet jetzt online statt. Selbstpraxis ist für alle, die Yoga üben, zur Normalität geworden. Selbst in der kurzen Phase im Sommer, als wir diesen Hauch von einem Leben ohne Pandemie wieder in uns spürten, waren Berührungen im Yogastudio verboten. Egal. Besser irgendein Yoga als gar kein Yoga, oder? Und dann stellte man fest, dass Berührung auch ohne physisch anwesende Lehrer möglich war. Wir umarmen uns selbst, wickeln unsere Arme in allen möglichen Positionen um unseren Körper, spüren die eigenen Hände an der Stirn, den Oberschenkeln oder dem Bauch. Der Satz „Berührung findet anders statt!“, ist nicht von mir. Gaby Rottler hat ihn zu mir gesagt – die Frau, die in München das Wanderlust Café & Yoga betrieben hat. Ich habe diesen Satz aufgeschrieben und ihn direkt fett markiert. Weil ich genau das auch in den vergangenen Monaten erfahren habe. Yoga und Berührung gehören für mich immer noch zusammen. Aber berühren können wir auch auf einer ganz anderen Art und Weise. Trotzdem dürfen wir die richtige Berührung des Yogalehrers im Yogastudio vermissen und uns darauf freuen, dass sie irgendwann wieder stattfinden darf. Aber was mich diese Zeit auf jeden Fall gelehrt hat: Wir können jemanden berühren ohne ihn anzufassen. Ich selbst habe diese Erfahrung gemacht, als ich zu Beginn des „Lockdown light“, also Anfang November, in der Atemtherapie war. Einer Einzelstunde mit offenen Fenstern und einer Lehrerin, die sehr weit weg von mir sass. In dieser Stunde ist nicht viel passiert, ausser, dass ich Bewegung mit Atmung verbunden hatte, die Anweisungen der Lehrerin fast mechanisch befolgte und spürte, wie es mir plötzlich wieder leichter fiel, Luft in meinen Bauchrum strömen zu lassen. Am Ende der Stunde sass ich auf meiner Matte. Meine Lehrerin sprach die abschliessenden Worte, liess mich noch einmal in der Stille nachspüren, was ich gerade geübt hatte und mir liefen zum ersten Mal in meinem Leben auf der Yogamatte die Tränen von der Wange. Es war nichts besonderes geschehen. Meine Lehrerin war fast ein bisschen erschrocken, „berührt“, dass diese simple Praxis so viel in mir ausgelöst hatte und ich lachte nur und sagte: „Bitte mach dir keine Sorgen. Ich glaube, das sind gerade Tränen der Erleichterung.“ Ich hatte einfach mal 90 Minuten lang Selbstfürsorge betrieben. Die Qualität eines tiefen, gesunden Atmens gespürt. Das in Verbindung mit den weise gewählten Worten meiner Lehrerin, hatte in mir eine tiefe Berührung ausgelöst.
Gaby Rottler erzählte mir in unserem Gespräch, dass sie bei einem Women Circle teilgenommen hatte – online natürlich. Und dass es sie auf wunderbare Weise berührt habe, wie sich da völlig fremde Frauen unterschiedlichen Alters ausgetauscht und einander geöffnet hatten und so viel Wärme, Herzlichkeit und Wahrhaftigkeit durch diese Begegnung geflossen war. Berührung findet anders statt. Ja.