Schlagwort: Leben

Wann um alles in der Welt sind wir nur älter geworden?

Das Licht in unserem Badezimmer lässt zu wünschen übrig. Ich staune jedes Mal, wenn ich in einem Hotelzimmer in den Spiegel schaue. Was da in meinem Gesicht für Gräben (und anderes) zum Vorschein kommen! Nun haben wir ein Haus gekauft, wir sanieren zwei Badezimmer und die Lichtfrage steht im Raum. Was nun? Bleibe ich bei meinem beschaulich-dämmrigen Lämpchen oder kommt zu dem ohnehin schon mit viel Tageslicht beschenkten Raum ein LED-beleuchteter Spiegel und helle Deckenspots? Will ich mir das wirklich antun?

Wie tröstlich, dass ich gerade jetzt, während ich im Sauseschritt auf die Mitte 40 zueile, im SZ-Magazin die „Oma-Kolumne“ von Mechthild Gossmann entdeckt habe. Leider wurden die schon lange wieder eingestellt, aber ich sauge gerade jede einzelne Folge nur so auf. In der Kolumne mit dem Titel „Was ich an Tinder mag“, schrieb sie: „Wenn ich in meinem doch recht langen Beziehungsleben eine Sache gelernt habe, dann: Es geht wirklich nicht ums Aussehen. Viele Menschen sind in jungen Jahren schön. Aber alle bekommen Falten und dritte Zähne. Anders ist es mit dem Humor. Wenn jemand als Teenager gute Witze erzählen kann, dann kann er das als Rentner auch noch.“ Danke. Da glätteten sich gleich wieder die Sorgenfalten auf meiner Stirn, denn eben hatten mich auf Instagram noch die schönen Antlitze von Lena Gercke (34), Lena Meyer-Landrut (30) und Caro Daur (27) angelächelt. Wobei man natürlich jetzt zugeben muss, dass die auch alle einen passablen Humor vorweisen können. 

Kürzlich klönte ich via Facebook mit einem Bekannten aus der Heimat über früher, und die Kneipen, in denen wir uns als Schüler*innen herumtrieben. „Und wenn du dann mal wieder hier bist, gehen wir feiern“, schrieb er zum Schluß und meine Schlagfertigkeit war dahin. Feiern?! Hatte ich darauf überhaupt noch Lust? Ich wage es kaum zu sagen, aber ich habe gemerkt, dass ich meinen Rhythmus „früh ins Bett, früh wieder raus“ sehr gerne mag. Ich schlafe schlecht, wenn ich mich nach 22 Uhr hinlege, ich weiß nicht einmal, wann ich zum letzten Mal einen Film nach 20.15 Uhr angeschaut habe. Erschreckend? Erschreckend spießig? Mag sein. Es ist noch nicht lange her, da war ich auf einem Geburtstag einer Freundin. Total nette Menschen, tolle Gespräche, ich fing um 22 Uhr an zu gähnen, da betraten meine Altersgenossinnen gerade erst die Tanzfläche.

Früher hieß ich in meinem Freundeskreis „Funkygirl“. Ich trug Schlaghosen und Plateauschuhe, dabei bin ich nicht in den 60ern sondern Ende der 70er geboren und mit 16 liess ich mir von einer Afrikanerin Rastazöpfe in mein nordeuropäisches Haar flechten. Mit 20 hatte ich Extensions. Heute gehe ich, wenn ich es richtig gut mit mir meine, einmal im Jahr zum Friseur und lasse den nur mit Bioprodukten an meinen Kopf. Meine Haare werden grau, meine Gesichtsfalten tiefer. Egal. Hauptsache bio. 

Trotzdem habe ich immer noch den Eindruck, Funkygirl zu sein, dieser Titel erlischt nicht. Vor kurzem posteten meine früheren Klassenkameraden*innen einen Nachruf auf den Hausmeister unserer alten Schule. Was für ein Schreck! Hausmeister*innen, Lehrer*innen, Mitschüler*innen,  – die werden alle nicht älter, wenn man sie zum letzten Mal bei der Abifeier gesehen hat. Wenn man früh die Heimat verlässt, bleiben alle Menschen, die man damals kannte, gewissermaßen optisch da stehen, wo man sie zuletzt wahrgenommen hat. Sie altern nicht in meiner Erinnerung. Vielleicht ist das Selbstschutz. Ich will gar keine Bilder sehen! Schon gar nicht von denen, für die ich als Teenager geschwärmt habe. Wir werden alle nicht älter! Nein! Nur die eigenen Kinder natürlich, die wachsen wie verrückt. Gerade kamen sie aus dem Bauch, da werden sie auch schon eingeschult und ich denke immer noch, ich sei die 19-Jährige, die frisch vom Abitur das Dorf Richtung Berlin verlässt. Oder wenigstens die 30-Jährige, die alleine mitten auf einer Skipiste im Berner Oberland wohnt. Dass das über zehn Jahre her ist, kann ich gar nicht glauben. Ich denke jeden Tag, was für eine coole Mama ich bin und zum Glück sind meine Kinder noch nicht alt genug, mir zu erklären, wie peinlich ich ihnen manchmal sein kann.

Glücklicherweise habe ich mich aber doch verändert. Und wie. Na klar. Ich gehe schließlich vor 21 Uhr ins Bett! Ich verstehe jetzt die Frauen, die damals, als ich noch 20 war, 40 waren und darüber schrieben, wie schön das Leben mit einer gewissen Reife sei. Ja wirklich. Ich kann meiner Lebenserfahrung eine Menge abgewinnen. Und der Art und Weise, wie ich mich verändert und meine Werte neu definiert habe. Ich glaube, heute zu wissen, worauf es im Leben ankommt. Wenn meine Falten mich stören, mach ich einfach das Licht aus. Und auf Instgram eile ich auf das Profil von Ildiko von Kürthy, wann immer ich mich versehentlich mal wieder bei Caro Daur verirrt habe. Von Kürthy hat so einen herrlichen Humor zum Thema Älterwerden und anderen gefallen zu wollen …  Aber das ist jetzt auch nicht fair, den Humor als erstes zu nennen und dann erst über ihre Schönheit zu sprechen … Denn ich finde Ildiko von Kürthy schön und lustig. Zweifellos. 

Gründer-Mütter: Warum immer mehr Frauen diesen Schritt wagen (müssten)

Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung für das Netzwerk GründerMütter. Ich habe gerade übrigens selbst gegründet. Ohne das Netzwerk in Anspruch zu nehmen. (Was nicht ist, kann ja noch werden …) Aber ich schreibe darüber, denn ich weiß, dass viele Menschen gerne gründen würden und sich nicht wagen. Weil sie vieles nicht wissen (woher auch?) und schon gar nicht wissen, wo sie sich informieren können. Und dann schreibe ich diese Geschichte auch noch, weil sie dazu inspiriert, jetzt genau das zu tun, was wichtig ist. Hör in dein Herz. Und folge dem Ruf.

„Mütter sind für Unternehmen immer ein Risiko.“ Als ich kürzlich diesen Satz hörte, musste ich wohl schlucken. Auf jeden Fall folgte rasch ein Nachgeschobenes: „Ich sage das jetzt nicht aus der Sicht der Unternehmerin, sondern weil ich selbst Mutter bin.“ Das war lieb gemeint, nützte aber nicht viel. Denn das, was da ausgesprochen wurde, ist die Denkweise der deutschen Wirtschaft. Ja, es stimmt: Wenn meine Kinder krank sind, muss ich meistens zuhause bleiben (aber das liegt nicht daran, dass ich die Mutter bin, sondern daran, dass ich als Frau weniger verdiene als mein Mann und damit die Rollenverteilung gleich festgelegt ist). Zufällig weiß ich, dass in Dänemark eine ganze andere Meinung besteht. Unternehmer finden, dass junge Mütter unheimlich effektiv arbeiten, weil sie nachmittags Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Sie stehen nicht ewig am Kaffeevollautomaten und spielen in der Pause kein Tischfußball. Sie machen einfach, damit sie pünktlich zur Kita oder der Schule kommen können. Vielleicht haben Mütter einfach andere Qualitäten. Das ist jetzt plakativ, ich habe keine Beweise, es gibt immer solche und solche Beispiele, aber ich stelle es jetzt mal so in den Raum. Manchmal würde es auch Sinn machen, zwei Menschen zu fragen, ob sie sich eine Stelle teilen möchten, dafür dann aber auch flexibler sein dürfen. Es gibt viele Ideen, viele Ansätze, aber so richtig will das niemand umsetzen.

Das Potenzial sehen

Und deswegen müssen Mütter immer wieder selbst hinterfragen, was ihnen ihre Karriere wert ist. Viele kommen zu dem Punkt, an dem sie feststellen, dass es in dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt waren, bevor sie Mütter wurden, keine Perspektive mehr gibt. Weil es keinerlei Flexibilität gibt. Keinen Spielraum, um beides, Mutterschaft und Karriere, unter einen Hut zu bringen. Was bleibt also, wenn man nicht unter seinem Potenzial bleiben möchte? Selbst gründen! So geht es vielen und das ist nicht gerade der leichteste Weg. Deswegen gibt es immer mehr Initiativen wie das Unternehmerinnen-Netzwerk „GründerMütter“. Dort geht es darum, Gleichgesinnte zu treffen und sich miteinander auszutauschen, aber auch darum Ideen, Tipps und Tricks miteinander zu teilen. Gegründet wurde das GründerMütter-Netzwerk von der Düsseldorferin Dr. Stefanie Gundel, deren Mission es war, selbstständige Frauen zusammenzubringen, zu stärken und zu inspirieren. Dabei ist es egal, ob sie Kinder haben, schwanger sind, gerade erst in der Familienplanung stecken oder noch überhaupt nicht wissen, wie Kinder und Job unter einen Hut zu bringen sind.

Austausch tut gut

Stephanie Natz arbeitet heute für GründerMütter. Ich kenne sie von früher, aus meiner Zeit als Sportjournalistin. Damals hieß Stephanie nicht Natz sondern Hort und zählte zu Deutschlands besten Weitspringerinnen. Schon als Leistungssportlerin war sie fleißig und zielstrebig und vermutlich sind das Eigenschaften, die sie nach der sportlichen Karriere zunächst zu dem Unternehmen Peugeot und dann zur Porsche Group brachten. „Ein toller Arbeitgeber“, sagt Stephanie selbst. Trotzdem fühlte sich das nach der Geburt ihres zweiten Kindes für sie nicht mehr richtig an. Das lag unter anderem daran, dass ihr Mann einen Job in Brüssel hatte und sie aus Stuttgart nach Düsseldorf gezogen waren. Stefanie entschied nach langem Überlegen, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen und gründete Drumhead Consulting, ein Marketing-Unternehmen für die Autombilindustrie. Und so hatte sie die ersten Berührungspunkte mit dem GründerMütter-Netzwerk. Denn ohne die Inspiration der anderen Mütter, ohne deren Ratschläge, hätte sie sich vermutlich gar nicht gewagt, zu gründen. „Es war unheimlich inspirierend und auch hilfreich, sich mit den anderen Frauen auszutauschen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, auf die man nicht von alleine kommt, die einem das Leben aber unheimlich erleichtern“, sagt die Mutter von mittlerweile drei Kindern. „Der Austausch mit völlig verschiedenen Frauen, die die unterschiedlichsten Kenntnisse und Expertisen haben, bringt einen wirklich weiter. Und es ist auch unglaublich, wie da Dynamik entsteht.“ 

Sisterhood als Erfolgskonzept

Diese Erfahrung habe ich selbst im vergangenen Jahr gemacht. Als ich mich, gemeinsam mit einer Freundin, dazu entschlossen hatte, zu gründen. Dinge, die ich von alleine nicht hätte auf die Beine stellen können, für die mir schlichtweg Zeit, Energie und Nerven fehlten, fühlten sich auf einmal so leicht und richtig an. Weil wir uns einander unterstützten, uns in schweren Momenten Mut zusprechen konnten und unsere Expertisen bündelten. Deswegen habe ich mich auch so mit dem Begriff Sisterhood angefreundet. Obwohl ich nur Brüder habe und dem schon immer etwas abgewinnen konnte. Sisterhood heißt für mich, sich mit Frauen zu verbinden, die mir Kraft geben. Diese Kraft will ich natürlich auch zurückgeben. Und genau das schafft eine besondere Dynamik, durch die nur etwas Gutes entstehen kann.

Häufig sind wir total hilflos, wenn wir uns selbständig machen wollen, weil wir überhaupt keine Kenntnisse in diesem Bereich haben. Das fängt bei Themen wie Steuern und Finanzamt an. Viele Frauen würden gerne gründen, haben tolle Ideen, und wagen sich dann nicht in die Selbständigkeit aus Angst vor genau diesen Themen. Doch zu sehen, dass Muttersein und Selbstständigkeit vereinbar sind, macht Mut. Kinder und Babies sind bei Treffen der GründerMütter willkommen. Das alles hat Stephanie Natz bewogen, sich für das Netzwerk zu engagieren. Heute ist sie Community Managerin von GründerMütter und hat mit GründerMütter Mallorca auch gleich ihre eigene Gruppe eröffnet. 

Wo will ich leben, wie will ich arbeiten?

Denn vor knapp zwei Jahren entstand in ihr langsam der Wunsch, von überall aus arbeiten zu können. „Es war irgendwie eine verrückte Idee. Wir wollten die Zeit, bis die Kinder schulpflichtig sein würden, nutzen, um wann immer es möglich ist, Zeit am Meer zu verbringen.“ Spanien stand weit oben auf der Liste, weil Stephanie spanisch spricht – die Insel Mallorca kannten die Natz’ kaum. Trotzdem entschieden sie sich, ein Haus dort zu kaufen. Heute und insbesondere in der Pandemie, sind sie unheimlich glücklich darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben. „Die GründerMütter Gruppe Mallorca ist nicht nur offen für deutsche Mütter. Ich möchte insbesondere auch in den Austausch mit der lokalen Bevölkerung gehen“, sagt Stephanie. „Wir sind da schließlich zu Gast. Ich finde es wichtig, die Traditionen kennenzulernen aber auch zu unterstützen und in Sachen Selbständigkeit Vorbild zu sein, wenn der Bedarf besteht.“ 

Von überall aus arbeiten und gleichzeitig ihrer Familie gerecht werden zu können, diese Vereinbarkeit ist ein Traum, den Stephanie Natz sich nun erfüllen konnte. Netzwerke wie GründerMütter setzen genau da an. Alles ist möglich, wir brauchen nur die Unterstützung, Inspiration und Expertise von anderen, um unsere Träume umzusetzen. Denn alleine ist es schwer.  „Der Spirit, den die GründerMütter mitbringen und der Gedanke, nicht Ellenbogen einzusetzen, nicht Ideen zu klauen, sondern auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und festzustellen, dass sich bei allen einfach die Bedürfnisse geändert haben – dadurch entsteht eine besondere Gemeinschaft und damit ist schnell etwas Neues geboren“, sagt Stephanie. 

Ob sie künftig ganz nach Mallorca übersiedelt, möchte sich die Familie übrigens noch offen halten. „Wir haben uns in jedem Fall schon mal informiert, wo es internationale Schulen gibt“, schmunzelt sie. „Aber eigentlich ist es im Moment auch angenehm, einfach selbst entscheiden zu können, wo wir gerade sein möchten.“ Das ist auf jeden Fall kein Risiko für ihr Unternehmen – sondern eher inspirierend.

Ich will den Herbst noch nicht spüren …

Der Juli ist vorbei. Das macht mich wehmütig. Irgendwie war dieser Sommer so kurz wie ein Windhauch – auch ähnlich angenehm. Im Juni kitzelte er mich, gab mir Energie.  Mein mentaler Espresso. Leichtigkeit war zu spüren, Erleichterung. In meinem Umfeld waren schnell mehr geimpft als ungeimpft – ich hatte den Eindruck, spätestens im September würden wir diese Pandemie in den Sack stecken können. Dann kam König Fußball, mit ihm der Regen und erschütternde Bilder aus englischen Fußballstadien. Das Verhalten von UEFA und den Fans auf den Rängen im Stadion – ein Hohn für die Schulkinder dieser Erde, denen wir eineinhalb Jahre lang erklärt hatten, sie müssten Abstand halten und Maske tragen. Unsere Sommerferien waren durchwachsen, irgendwer war immer erkältet, die Nachrichten lagen schwer auf meinen Schultern: Ganze Orte spülte es diesen Sommer weg. Deswegen wollte ich meine Ferien nicht schlecht finden, sondern da war vor allem Dankbarkeit. Als vor ein paar Tagen Wasser in unseren Keller spülte, blieb meine Laune gut. Ich meine: Bitte? Wasser im Keller?! Lachhaft. Das Haus steht so standhaft, ich werde nicht meckern!

Alles, was ich brauche

Auch mich beschäftigte, während ich bei meinen Eltern im Garten kurze Anflüge von Sommer genießen konnte, den Kindern beim Plantschen im Wasser zusah, die Frage: „Darf ich genießen, während andere leiden? Darf ich mich über meine Sommerferien freuen oder sollte ich doch lieber schnell ins Hochwassergebiet, meine Kinder den erkälteten Großeltern überlassen, und dort Hilfe leisten? Sehe ich die eigenen Probleme nicht stets als viel zu groß? Habe ich nicht immer Ausreden, um irgendetwas Gutes nicht tun zu können? Wie kann ich wahrhaftig ein besserer Mensch werden?“ Gleichzeitig konnte ich ein gutes Gespräch mit meiner Mutter über Dankbarkeit führen. Dankbarkeit für all den Reichtum in unserem Leben, auch wenn manchmal etwas schwer ist. Augenblicke des Glücks sind da, um sie zu genießen. Sonst wäre das Leben ja nicht lebenswert. Manchmal reicht ein Atemzug, zu erkennen, dass alles da ist, was man braucht. Daran arbeite ich. Ich erinnere mich häufig daran, atme tief in meinen Bauchraum, spüre die Pause zwischen dem Ein- und dem Ausatmen. Übe. Ich will noch nicht an den Herbst denken. Tröstlich, dass in Baden-Württemberg die Sommerferien gerade erst anfangen … Ich will nicht an das C-Wort denken.

Meine Yogapraxis hat gelitten, in den letzten Wochen. Mein Kopf ist zu schwer, die Nasennebenhöhlen dicht, an Umkehrhaltungen ist nicht zu denken. Davor waren die Kinder krank, zu betreuungsbedürftig, um Zeit für mich selbst zu finden. Ich hatte fast vergessen, dass ich nur auf meiner Matte sitzen und atmen darf. Sanfte Bewegungen im Atemfluss. Das geht auch mit Erkältung. Wie gut das plötzlich wieder war. Alles weggeatmet. Eingetaucht ins Leben. Auch wenn das Meer gerade zu kalt ist. Vermutlich ist das die beste Vorbereitung auf alles…

Bin ich jetzt alt?

Mein Geburtstag scheint in weiter Ferne. Wer weiß schon, was im Oktober ist? Ich bin gerade einundvierzigeinhalbundeinbisschen. Ich hatte bestimmt irgendwann mal gedacht, die Vierzig würde sich sehr seltsam anfühlen. Tat sie aber nicht. Ich habe es nie wirklich gemerkt, dass ich älter geworden bin. Komisch, dass man eigentlich doch immer glaubt, man sei gerade erst 20 gewesen …

Am Mittwoch habe ich eine Stunde Zeit gehabt, um mit einer befreundeten Yogalehrerin aus der Umgebung einen Kaffee zu trinken. Meine jüngste Tochter ist eineinhalb Jahre älter als ihr kleiner Sohn. Und irgendwie kamen wir plötzlich auf die 90er Jahre und als ich erwähnte, dass ich in den 90ern Abitur gemacht habe, musste sie lachen. Und ich dann, als sie mir sagte, sie sei Jahrgang ’91. Die meisten Yogalehrer, die ich hier in der Umgebung kenne, sind jünger als ich. Wenn ich mich durch meine Social Media Kanäle scrolle, muss ich selbst über mich lachen. Ich fühle mich wie eine uralte Frau, der man jeden Schritt auf einer App erklären muss. Muss man ja auch 😉

Coaching statt Frisuren

Seit die 4 vorne steht, habe ich viel Geld in mich investiert. Aber nicht so wie früher in die Fußpflege oder Frisuren. Stattdessen in mein Inneres. Ich habe mir unangenehme Fragen stellen lassen und sie mir selbst in aller Ausführlichkeit gestellt. Ich lerne jeden Tag mit meinen Kindern. Wenn ich wirklich achtsam bin, haben wir die beste Zeit zusammen. Was es bedeutet, achtsam zu sein, haben sie mir besser beigebracht als es ein Erwachsener je könnte. Ich halte Kinder für die Zen-Meister schlechthin. Kinderköpfe sind unfassbar heilsam. Man muss sich allerdings darauf einlassen … Ich bin wieder mehr von Tieren umgeben, weil mir das gut tut. Ich atme besser. Wenn ich mal wirklich nicht weiter weiß, buche ich ein Coaching. Früher habe ich mir dann Klamotten gekauft.

Was sind eigentlich fortgeschrittene Asanas?

Mein Yogapraxis ist anders geworden. Ich weiß, auch auf meinem Instagramprofil gibt es viele Fotos, auf denen ich auf den Händen stehe, meine Beine dabei in irgendeine Richtung strecke oder meinen Oberkörper mühelos auf meine Beine falte. Ich habe früh verstanden, dass das menschliche Auge sich dem Schönen gerne zuwendet und deswegen finde ich es nicht verwerflich, dass Instagram als Medium genutzt wird, bei dem es vor allem um schöne Images geht. So lange wir unseren Kindern erklären, dass das nicht die Welt ist und dass auch das schönste Model auf Instagram Tage hat, an denen es ihm richtig Scheisse geht. Wenn ich Lehrer wäre, würde ich meinen Schülern/innen Oliver Pochers Parodien auf Influencer als Hausaufgabe geben. Ich bin aber Yogalehrerin. Deswegen empfehle ich es nicht 😉 Denn jemand könnte sich ja davon verletzt fühlen. Das war ein langes Vorgespräch. Worauf ich hinaus will ist:

Vergangene Woche hatte ich ein Interview mit einem Yogamagazin. Es ging um das Buch, das ich gemeinsam mit Katharina Bauer geschrieben habe, Yoga für ein starkes Herz. Die Frage, die mich staunen liess, lautete, ob Herzpatienten in der Lage seien, fortgeschrittene Asanas auszuführen. Ich staunte, denn: Wer oder was ist ein Herzpatient? Herzpatienten können alles mögliche sein. Wie man am Beispiel von Katharina Bauer sieht, können sie Hochleistungssportler sein. Sie können Menschen sein, die viel jünger sind als ich, körperlich fit sind und Räder im Sand schlagen. Sie können älter sein und übergewichtig aber auch Kinder voller Lebensenergie und Bewegungstalent. Es gibt also nicht den oder die eine/n Herzpatienten/in. Ich kann diese Frage nicht beantworten, wenn ich den Menschen nicht vor mir sehe, und vor allem auch nicht, wenn der Mensch mir nicht gesagt hat, was er eigentlich mit der Yogapraxis erreichen will.

Das andere, was mich stutzig machte, war die Frage an sich. Und deswegen dachte ich dann: Bin ich jetzt alt? Geht es überhaupt beim Yoga darum, „fortgeschrittene Asanas“ ausführen zu können und wenn ja, was sind eigentlich fortgeschrittene Asanas? Ein Bekannter von mir macht gar kein Yoga, kann aber ohne Probleme den Lotussitz einnehmen. Wenn wir uns sehen, schlägt er seine Beine mühelos in den Lotus – natürlich nur, um mich zu ärgern. Ich kann das nämlich nicht. Es amüsiert mich. In der aktuellen Ausgabe des Schweizer Yogamagazins Yoga!Das Magazin sagt R. Sriram, der auch eine besonders schöne deutsche Übersetzung des Yoga Sutra veröffentlicht hat: „Yoga versucht alle Aspekte zu integrieren, die zu einem Menschen gehören, um die bestmöglichen Haltungen auf allen Ebenen zu gestalten – emotional, körperlich, geistig, in Beziehung zu anderen, zu der Umwelt und sich selbst.“ Er sagt: „Asanas sind nur ein Glied aus dem Ashtangayoga. Mit dem Körper hängt der Atem zusammen und dieser darf beim Üben als zentraler Punkt nie vernachlässigt werden. Körperübungen führen immer dahin, dass der Atem verbessert und ein tieferes Atemverständnis erreicht wird.“ In der heutigen Zeit wird das häufig – selbst in der Yogapraxis – vergessen. Was will ich mit meiner Praxis eigentlich erreichen? Dieser zentralen Frage muss alles andere untergeordnet werden.

Auf zum Strand!

Und nun, da die 4 vorne steht, ist der Yoga für mich kein Mittel zum Knackarsch. Dafür mache ich nämlich Krafttraining an der Hantelstange. Es sind zwei völlig unterschiedliche Motivationen: Yoga soll mich erden. Mich dorthin zurückbringen, wo ich verstehen kann, warum ich hier bin und wie ich besser mit mir selbst und meiner Umwelt umgehen kann. Der Knackarsch macht mich nur deswegen glücklich, weil ich mich gesünder fühle, wenn ich ihn habe. Meinen Kindern sage ich immer, dass ich trainiere, damit ich sie noch lange tragen kann. Auch wenn sie – was bald sein wird – mal größer sind als ich. Aber Yoga mache ich nicht (mehr), um auf den Händen balancieren zu können. Bin ich jetzt alt? Ist das die typische Sichtweise einer Yogalehrerin über 40? Bestimmt. Claudia Schaumann schrieb vergangene Woche auf wasfürmich.de: „Geht das ganz große Glücksgefühl mit 40 flöten?“ Sie schreibt darüber, dass sie sich früher so federleicht fühlte, dass Probleme klein waren und plötzlich mit der 40 so viele Sorgen auftauchen. Dass die Sorge um die eigenen Eltern größer wird, dass wir beim Lesen der Todesanzeigen erschrecken, wenn wir die Geburtsjahre sehen. Ja, mit 20 dachte auch ich, das Leben sei unendlich. Ich hatte sehr viel Spaß. Aber trotzdem finde ich es jetzt besser.

Auch ich denke – gerade an Tagen wie diesen, wenn der Sommer laut lacht, die Nächte kurz sind und meine Füße ständig umgeben sind von Sand – ach, dieses Leben, wie lange darf es noch bleiben?, und lerne doch immer mehr, dass das Ende vielleicht gar kein Ende ist. Ich lerne wieder mehr und mehr, was mir gefällt und guttut. Wo ich Kraft tanken kann und wo ich Zuversicht und Vertrauen finde. Jeden Sommer zähle ich mehr Falten. Weil ich das Gesicht so gerne in die Sonne halte. Sie stören mich nicht mehr. Ich hatte übrigens fast vergessen, wie sich der Sommer anfühlt. Das liegt sicher nicht am Alter, sondern eher an der Pandemie. Dass ich das wertschätze, hat vielleicht auch etwas mit dem Alter zu tun: Die Anzahl der Sommer, die ich erlebe, sind nicht unendlich: Auf zum Strand!

Warum denn jetzt?

Das Leben ist kostbar. Auch in Pandemiezeiten. Ich lese gerade das Buch von Veit Lindau „Genesis – Die Befreiung der Geschlechter“. Zu Beginn hat es mich fast genervt, dass er nicht müde wird, immer und immer wieder zu erwähnen, dass du, ja genau du, ein Wunder bist. Dass du, ja genau du, die Welt verändern kannst. Mit deinen Gedanken. Mit diesem einen Unterschied. Und während ich mich am Anfang noch fragte, wieso Lindau nicht damit aufhört zu erzählen, wie wundersam wir sind, ist mir das plötzlich – in einem alltäglichen Moment – sehr klar geworden. Das Leben an sich ist ein Wunder. Es ist nicht selbstverständlich. Oh, werde ich jetzt hier zu spirituell? Vielleicht. Letzte Woche schrieb ich noch, dass ich mich auf den Sommer freue und jetzt schreibe ich vom allgegenwärtigen Moment … und davon, dass ich überhaupt nicht weiß, ob dieser Sommer für mich stattfindet … Ist das anstrengend? Mag sein.

Alles selbstverständlich?

Aber es ist auch wohltuend. Denn unser Alltag ist schließlich auch manchmal anstrengend. Während wir nämlich so vor uns hin dümpeln, uns über dies und jenes aufregen, uns unheimlich wichtig nehmen – beispielsweise weil unsere Freiheit gerade eingeschränkt ist – , wir uns streiten, mit anderen diskutieren ohne deren Meinung, deren Herkunft, deren Aussehen zu respektieren, verschwenden wir keine Sekunde daran, dass unser irdisches Dasein begrenzt ist – und dass diese Grenze sekündlich gesetzt werden kann. Wir nehmen alles für selbstverständlich. Nicht nur den kleinen automatischen Rasenmäher, der von sich aus das Gras auf akkurate Weise schneidet, während wir im Liegestuhl liegen bleiben können … ja nicht zu viel Bewegung … Nicht nur den scheinbar perfekt zubereiteten Burger, der einfach so auf den Teller gezaubert wurde, ja nicht darüber nachdenken, wer was wie dafür tun musste … Nicht nur den frischen Duft unserer gewaschenen Klamotten, gebadet in Weichspüler … damit die Handtücher sich auch wirklich ganz sanft anfühlen auf der Haut. Wir nehmen das Land in dem wir leben für selbstverständlich. Und dann gibt es ja noch die anderen. Tja, das ist ja dann das Leben der anderen. Das Leben – nicht das der anderen, sondern das Leben – scheint selbstverständlich.

Jetzt ist das Wertvollste, was wir haben

Bewusst wird uns die Kostbarkeit des Moments meistens erst mit dem Tod eines nahestehenden Menschen. Oder mit dem Unfall, der uns entweder ins Krankenhaus katapultiert oder uns im Schrecken für Sekunden verharren lässt: „Puh, Glück gehabt!“ Aber genau das ist der Grund, weshalb manche Menschen schon seit Tausenden von Jahren verstanden haben, dass die Besinnung auf Ein- und Ausatmen zum Glück führt. In einem Interview mit der Journalistin Doris Iding sagte Eckhart Tolle einmal: „Viele Menschen sehen in dem JETZT, in dem gegenwärtigen Moment, nur einen Stolperstein. Sie glauben, dass sie in einem zukünftigen Moment glücklicher sein werden als im JETZT. Dabei handelt es sich bei der Zukunft nur um eine Gedankenform, denn keiner hat die Zukunft jemals getroffen. Wenn sie kommt, dann ist sie wieder der gegenwärtige Moment. Aber das realisieren die meisten Menschen nicht, egal in welchen Lebensumständen sie sich befinden.“ Ich habe über diese Worte nachgedacht und plötzlich machten Tolles Worte Sinn für mich. Es ist absurd, sich die Zukunft herbeizusehnen. Jetzt ist das Wertvollste, was wir besitzen.

Das neue Bewusstsein ist hier

Dieses Annehmen des Jetzt ist nicht leicht. Das gelingt mir genauso wenig oft wie dir. Ich übe. Das Problem beschreibt Eckhart Tolle sehr gut: „Das Eigenartige ist: Je schlimmer die Lebensumstände, desto größer die potentielle Chance der Bewusstseinstransformation. In Situationen, die scheinbar aussichtslos sind, wie zum Beispiel eine schwere körperliche Behinderung, Krankheit oder ein tiefgreifender Verlust, verstärkt sich zunächst der normale Widerstand gegen den gegenwärtigen Moment – und somit das Leid – um ein Vielfaches. Das Jetzt wird fast unerträglich. Es innerlich zuzulassen, das „so-sein“ des Jetzt zu akzeptieren, scheint unmöglich und sinnlos. Doch dann, wenn der Mensch die Last des „leidenden Selbst“ nicht mehr tragen kann, kann es geschehen, dass plötzlich innerlich etwas kippt. Das tief verwurzelte Nein zum gegenwärtigen Moment löst sich auf, und damit auch das leidende Selbst. Und wenn das Jetzt zugelassen wird so wie es ist, dann öffnet sich die Tür zu einem tiefen, inneren Frieden und einer Intelligenz, die jenseits des Denkens liegt.“ Für mich macht diese Erklärung sehr viel Sinn. Es gibt viele Beispiele von besonderen Menschen, die unter einem enormen Leidensdruck unglaubliche Stärke bewiesen haben. Tolle sagte in diesem Interview vor etwa sechs Jahren – das nichts an seiner Aktualität verloren hat: „Das neue Bewusstsein ist schon hier. Sagen Sie nicht: Ich muss es erst noch erreichen. Für die Änderung des Bewusstseins braucht man keine Zeit. Dieser Gedanke ist das größte Hindernis. Das heißt, Sie brauchen nirgendwo hinzugehen. Sie brauchen nur vollkommen Ja zum gegenwärtigen Moment, zum JETZT, zu sagen.“

Wie geht „jetzt“?

Ich kann den Moment nur erreichen, wenn ich atme. Wenn ich mich bewusst darauf einlassen, wie ich ein- und wie ich ausatme. Dann bin ich da. Im Jetzt. Und das ist ein gutes Gefühl. Letzte Woche habe ich geschrieben: „Ich freue mich auf den Sommer.“ Ich dachte an einen Sommer mit kurzen Hosen, an den Strand, an Sprünge ins Wasser und Eis-verschmierte Gesichter meiner Kinder. Am Donnerstag war ich bei Regen mit meiner Tochter im Garten, wir pflanzten Tomaten und rupften Unkraut und der Moment war perfekt. Der Sommer war so wenig in Sicht wie das totale Ende der Pandemie. Meine Ausbilderin sagte immer: „Yoga is now.“ Das hörte sich schon damals so an, als würde es Sinn machen. Verstanden hatte ich das aber da noch nicht. Denn damals bezog ich es vermutlich hauptsächlich auf komplizierte Asanas, während deren Ausführung keine Zeit übrig blieb, die an den nächsten Gedanken verschwendet werden konnte.

Immer öfter …

Natürlich habe ich mich nun gefragt, ob ich denn, wenn ich versuche, die Zukunft (und die Vergangenheit) ausser Acht zu lassen, überhaupt noch einen Sinn darin sehe, beispielsweise Leistung zu bringen. Darüber musste ich nicht lange nachdenken. Natürlich macht das Sinn. Weil es ja auch hier um den gegenwärtigen Moment geht. Es geht mir ja im gegenwärtigen Moment nicht zwingend besser, nur weil ich auf der Coach liege und eine Packung Chips in mich reinschiebe … eher schlechter. Oder?

Kennst du das Gefühl, wenn du dich von äußeren Faktoren stressen lässt, durch den Moment rast, weil du Angst davor hast, zu spät zu kommen oder etwas nicht zu schaffen, was pünktlich geschafft werden muss …? Ich habe – witzigerweise nach dem Rat einer Freundin – begonnen, wenn es eilig ist, mich nicht mehr zu beeilen. Mit Ruhe an die Sache heranzugehen. „Meistens schafft man es dann ja viel eher“, sagte diese Freundin einmal zu mir. Ich habe diese Erfahrung auch gemacht. In Stresssituationen achtsam bleiben, einen Schritt nach dem nächsten statt Multitasking, das hat mich schon oft zum Ziel gebracht. Nicht immer erinnere ich mich daran. Immer öfter.

Warum ich nicht mehr auf bessere Zeiten warte

Noch mindestens zehn harte Woche stünden uns bevor, prophezeit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Das glaube ich aufs Wort. Vielleicht auch noch mehr. Wer weiß das schon. In zehn Wochen ist ein gutes Viertel des Jahres wieder vorbei. Anfang Januar habe auch ich noch auf bessere Zeiten gewartet. Mir vorgestellt, wen ich treffen will, wenn Treffen wieder möglich sind. Wo ich als erstes essen gehen will, wenn Restaurants wieder auf sind. Wohin wir als Familie fahren wollen, wenn wir wieder andere besuchen dürfen und wie meine Yogastunden wohl aussehen werden, wenn sie wieder im Yogastudio stattfinden mit Teilnehmern im Saal. Ich habe mir überlegt, was ich als erstes mache, nachdem ich meine Kinder in die Kita gebracht habe und mit was ich dann meinen ersten Kaffee alleine in der Küche genießen möchte. Vor allem habe ich mich auf Sport gefreut. Im Fitnessstudio, an der frischen Luft und mit ganz viel schweren Gewichten. 

Jahr des Lernens

Das mache ich jetzt nicht mehr. Denn mir ist plötzlich sehr klar und deutlich geworden, dass es nicht meiner Lebensphilosophie entspricht, auf bessere Zeiten zu warten. Stattdessen will ich doch das Leben genießen. Jeden Moment auskosten. Mich darüber freuen, dass meine Kinder genauso klein sind, wie sie jetzt klein sind und nicht darauf warten, dass sie größer werden. Werden sie nämlich. Ohne Zweifel. Ich habe mir überlegt, wie ich diesem Jahr etwas abgewinnen kann. Egal wie es in den nächsten zehn Wochen zu und hergehen wird. Wie dieses Jahr für mich wertvoll sein kann, auch wenn immer noch weniger Begegnungen stattfinden können als ich mir das wünsche. Und ich weniger Geld verdienen werde, als ich mir das wünsche. Ich bin selbständig. Ich war deswegen auch immer die Erste, die vor Corona-Zeiten von der Kitaleitung meiner ältesten Tochter angerufen und gefragt wurde, ob ich meine Kinder zuhause lassen könne, weil gerade viele Erzieher krank seien. Ich war diejenige, die bei Erzieher-Ausfällen gefragt wurde, ob ich nicht mal eben eine halbe Stunde Yoga mit den Kindern machen könne – umsonst natürlich. Was wenige verstanden haben: gerade weil ich selbständig bin brauche ich eine Kita. Ich verdiene nichts, wenn ich nicht arbeite. Demnach ist eines hier so ziemlich klar: so lange ich keine Betreuung habe, kann ich nicht vernünftig arbeiten. Ich kann auch nicht von einer Zweijährigen erwarten, dass sie den ganzen Tag Ausmalbilder macht, damit Mama ihre Texte schreiben kann. Ich kann nicht zwischen Wäschebergen, Rollenspielen, Füttern und Windel wechseln mal eben so ein Buch schreiben. Das wird jeder verstehen. Ich habe es trotzdem vor, aber das ist eine andere Geschichte. Und so habe ich mir etwas überlegt. Das Jahr 2021 wird ein Jahr des Lernens. Der Weiterentwicklung. Der Investition in mich. Und damit hatte ich meine Perspektive zurück und mit ihr die gute Laune. Das Hier und Jetzt. Das Leben im Moment. Gerade habe ich eine neue Yogalehrer-Ausbildung begonnen. Im April kommt eine weitere Ausbildung dazu, die eigentlich nicht sehr viel mit Yoga zu tun hat. Und dann mache ich Ende des Jahres vielleicht noch eine Ausbildung. Wenn dann noch etwas Geld übrig ist jedenfalls. Mal sehen. 

Was mir fehlt

Abgesehen von diesen Entscheidungen habe ich mich gefragt, was mir gerade – außer meinen Eltern und Geschwistern – am meisten fehlt. Und das ist Sport. Nicht Yoga, sondern richtiger Sport. Sport, der mich zum Schwitzen bringt. Also habe ich eine Nachbarin gefragt, ob sie sich vorstellen könne, mit mir abends um 21 Uhr joggen zu gehen. Wir haben beide kleine Kinder, bei meinen wird es momentan wirklich spät bis sie schlafen. Was für ein Glück: bei ihren auch. Sie schrieb mir, diese Nachricht käme wie gerufen. Und ob ich mich vielleicht mit ihrem Mann unterhalten hätte, denn der hätte gerade noch zu ihr gesagt, sie müsse wieder mehr Sport machen. „Ich brauche einen Schweinehunddompteur“, schrieb sie mir und ich schrie: „Da bin ich!“ Jetzt joggen wir durch die Nacht. Ich habe angefangen, HIT-Training in meinen Alltag einzubauen, manchmal dauert das nur zehn Minuten und die Kinder gucken dann Peppa Wutz. Oder sie machen mit. Manchmal kriege ich eine halbe Stunde in den Tag gequetscht. Wir richten uns gerade ein Homegym ein – wie der Rest der Nation. Und dann habe ich auch noch begonnen, eine weitere Yogastunde online zu unterrichten. Und jetzt merke ich so langsam, dass ich mich wirklich sehr lebendig fühle. Corona kann mich mal.