Schlagwort: Motivation

Gründer-Mütter: Warum immer mehr Frauen diesen Schritt wagen (müssten)

Dieser Beitrag enthält unbezahlte Werbung für das Netzwerk GründerMütter. Ich habe gerade übrigens selbst gegründet. Ohne das Netzwerk in Anspruch zu nehmen. (Was nicht ist, kann ja noch werden …) Aber ich schreibe darüber, denn ich weiß, dass viele Menschen gerne gründen würden und sich nicht wagen. Weil sie vieles nicht wissen (woher auch?) und schon gar nicht wissen, wo sie sich informieren können. Und dann schreibe ich diese Geschichte auch noch, weil sie dazu inspiriert, jetzt genau das zu tun, was wichtig ist. Hör in dein Herz. Und folge dem Ruf.

„Mütter sind für Unternehmen immer ein Risiko.“ Als ich kürzlich diesen Satz hörte, musste ich wohl schlucken. Auf jeden Fall folgte rasch ein Nachgeschobenes: „Ich sage das jetzt nicht aus der Sicht der Unternehmerin, sondern weil ich selbst Mutter bin.“ Das war lieb gemeint, nützte aber nicht viel. Denn das, was da ausgesprochen wurde, ist die Denkweise der deutschen Wirtschaft. Ja, es stimmt: Wenn meine Kinder krank sind, muss ich meistens zuhause bleiben (aber das liegt nicht daran, dass ich die Mutter bin, sondern daran, dass ich als Frau weniger verdiene als mein Mann und damit die Rollenverteilung gleich festgelegt ist). Zufällig weiß ich, dass in Dänemark eine ganze andere Meinung besteht. Unternehmer finden, dass junge Mütter unheimlich effektiv arbeiten, weil sie nachmittags Zeit mit ihren Kindern verbringen wollen. Sie stehen nicht ewig am Kaffeevollautomaten und spielen in der Pause kein Tischfußball. Sie machen einfach, damit sie pünktlich zur Kita oder der Schule kommen können. Vielleicht haben Mütter einfach andere Qualitäten. Das ist jetzt plakativ, ich habe keine Beweise, es gibt immer solche und solche Beispiele, aber ich stelle es jetzt mal so in den Raum. Manchmal würde es auch Sinn machen, zwei Menschen zu fragen, ob sie sich eine Stelle teilen möchten, dafür dann aber auch flexibler sein dürfen. Es gibt viele Ideen, viele Ansätze, aber so richtig will das niemand umsetzen.

Das Potenzial sehen

Und deswegen müssen Mütter immer wieder selbst hinterfragen, was ihnen ihre Karriere wert ist. Viele kommen zu dem Punkt, an dem sie feststellen, dass es in dem Unternehmen, in dem sie beschäftigt waren, bevor sie Mütter wurden, keine Perspektive mehr gibt. Weil es keinerlei Flexibilität gibt. Keinen Spielraum, um beides, Mutterschaft und Karriere, unter einen Hut zu bringen. Was bleibt also, wenn man nicht unter seinem Potenzial bleiben möchte? Selbst gründen! So geht es vielen und das ist nicht gerade der leichteste Weg. Deswegen gibt es immer mehr Initiativen wie das Unternehmerinnen-Netzwerk „GründerMütter“. Dort geht es darum, Gleichgesinnte zu treffen und sich miteinander auszutauschen, aber auch darum Ideen, Tipps und Tricks miteinander zu teilen. Gegründet wurde das GründerMütter-Netzwerk von der Düsseldorferin Dr. Stefanie Gundel, deren Mission es war, selbstständige Frauen zusammenzubringen, zu stärken und zu inspirieren. Dabei ist es egal, ob sie Kinder haben, schwanger sind, gerade erst in der Familienplanung stecken oder noch überhaupt nicht wissen, wie Kinder und Job unter einen Hut zu bringen sind.

Austausch tut gut

Stephanie Natz arbeitet heute für GründerMütter. Ich kenne sie von früher, aus meiner Zeit als Sportjournalistin. Damals hieß Stephanie nicht Natz sondern Hort und zählte zu Deutschlands besten Weitspringerinnen. Schon als Leistungssportlerin war sie fleißig und zielstrebig und vermutlich sind das Eigenschaften, die sie nach der sportlichen Karriere zunächst zu dem Unternehmen Peugeot und dann zur Porsche Group brachten. „Ein toller Arbeitgeber“, sagt Stephanie selbst. Trotzdem fühlte sich das nach der Geburt ihres zweiten Kindes für sie nicht mehr richtig an. Das lag unter anderem daran, dass ihr Mann einen Job in Brüssel hatte und sie aus Stuttgart nach Düsseldorf gezogen waren. Stefanie entschied nach langem Überlegen, den Schritt in die Selbständigkeit zu gehen und gründete Drumhead Consulting, ein Marketing-Unternehmen für die Autombilindustrie. Und so hatte sie die ersten Berührungspunkte mit dem GründerMütter-Netzwerk. Denn ohne die Inspiration der anderen Mütter, ohne deren Ratschläge, hätte sie sich vermutlich gar nicht gewagt, zu gründen. „Es war unheimlich inspirierend und auch hilfreich, sich mit den anderen Frauen auszutauschen. Manchmal sind es nur Kleinigkeiten, auf die man nicht von alleine kommt, die einem das Leben aber unheimlich erleichtern“, sagt die Mutter von mittlerweile drei Kindern. „Der Austausch mit völlig verschiedenen Frauen, die die unterschiedlichsten Kenntnisse und Expertisen haben, bringt einen wirklich weiter. Und es ist auch unglaublich, wie da Dynamik entsteht.“ 

Sisterhood als Erfolgskonzept

Diese Erfahrung habe ich selbst im vergangenen Jahr gemacht. Als ich mich, gemeinsam mit einer Freundin, dazu entschlossen hatte, zu gründen. Dinge, die ich von alleine nicht hätte auf die Beine stellen können, für die mir schlichtweg Zeit, Energie und Nerven fehlten, fühlten sich auf einmal so leicht und richtig an. Weil wir uns einander unterstützten, uns in schweren Momenten Mut zusprechen konnten und unsere Expertisen bündelten. Deswegen habe ich mich auch so mit dem Begriff Sisterhood angefreundet. Obwohl ich nur Brüder habe und dem schon immer etwas abgewinnen konnte. Sisterhood heißt für mich, sich mit Frauen zu verbinden, die mir Kraft geben. Diese Kraft will ich natürlich auch zurückgeben. Und genau das schafft eine besondere Dynamik, durch die nur etwas Gutes entstehen kann.

Häufig sind wir total hilflos, wenn wir uns selbständig machen wollen, weil wir überhaupt keine Kenntnisse in diesem Bereich haben. Das fängt bei Themen wie Steuern und Finanzamt an. Viele Frauen würden gerne gründen, haben tolle Ideen, und wagen sich dann nicht in die Selbständigkeit aus Angst vor genau diesen Themen. Doch zu sehen, dass Muttersein und Selbstständigkeit vereinbar sind, macht Mut. Kinder und Babies sind bei Treffen der GründerMütter willkommen. Das alles hat Stephanie Natz bewogen, sich für das Netzwerk zu engagieren. Heute ist sie Community Managerin von GründerMütter und hat mit GründerMütter Mallorca auch gleich ihre eigene Gruppe eröffnet. 

Wo will ich leben, wie will ich arbeiten?

Denn vor knapp zwei Jahren entstand in ihr langsam der Wunsch, von überall aus arbeiten zu können. „Es war irgendwie eine verrückte Idee. Wir wollten die Zeit, bis die Kinder schulpflichtig sein würden, nutzen, um wann immer es möglich ist, Zeit am Meer zu verbringen.“ Spanien stand weit oben auf der Liste, weil Stephanie spanisch spricht – die Insel Mallorca kannten die Natz’ kaum. Trotzdem entschieden sie sich, ein Haus dort zu kaufen. Heute und insbesondere in der Pandemie, sind sie unheimlich glücklich darüber, diese Entscheidung getroffen zu haben. „Die GründerMütter Gruppe Mallorca ist nicht nur offen für deutsche Mütter. Ich möchte insbesondere auch in den Austausch mit der lokalen Bevölkerung gehen“, sagt Stephanie. „Wir sind da schließlich zu Gast. Ich finde es wichtig, die Traditionen kennenzulernen aber auch zu unterstützen und in Sachen Selbständigkeit Vorbild zu sein, wenn der Bedarf besteht.“ 

Von überall aus arbeiten und gleichzeitig ihrer Familie gerecht werden zu können, diese Vereinbarkeit ist ein Traum, den Stephanie Natz sich nun erfüllen konnte. Netzwerke wie GründerMütter setzen genau da an. Alles ist möglich, wir brauchen nur die Unterstützung, Inspiration und Expertise von anderen, um unsere Träume umzusetzen. Denn alleine ist es schwer.  „Der Spirit, den die GründerMütter mitbringen und der Gedanke, nicht Ellenbogen einzusetzen, nicht Ideen zu klauen, sondern auf Augenhöhe miteinander zu kommunizieren und festzustellen, dass sich bei allen einfach die Bedürfnisse geändert haben – dadurch entsteht eine besondere Gemeinschaft und damit ist schnell etwas Neues geboren“, sagt Stephanie. 

Ob sie künftig ganz nach Mallorca übersiedelt, möchte sich die Familie übrigens noch offen halten. „Wir haben uns in jedem Fall schon mal informiert, wo es internationale Schulen gibt“, schmunzelt sie. „Aber eigentlich ist es im Moment auch angenehm, einfach selbst entscheiden zu können, wo wir gerade sein möchten.“ Das ist auf jeden Fall kein Risiko für ihr Unternehmen – sondern eher inspirierend.

„Es ist egal, auf welchem Level das stattfindet …“

Zum ersten Mal mache ich hier echte Werbung. Unbezahlt. Nadine Huthmann und ich haben viel gemeinsam. Dass wir Mütter sind, die immer wieder versuchen, die richtige Balance zwischen Familie und beruflicher Selbstverwirklichung zu halten, ist nur eine Gemeinsamkeit von vielen, die uns verbindet, obwohl wir uns noch gar nicht lange kennen. Der Grund, weshalb ich Nadine unbedingt auf dem Blog vorstellen wollte, ist aber ein anderer: Ihre Geschichte ist unheimlich motivierend, ein bisschen so, wie Rosalein Schmetterschwein, das Kinderbuch, das ich gerade mit meinen Töchtern lese. Nadine Huthmann hat ihre eigene Modekollektion. Unter dem Namen Grotkop Collection verwirklicht sie ihre eigenen Ideen durch die Verbindung von traditionellem Handwerk und modernem Design. Sie näht und arbeitet von zuhause aus – in den nächsten Monaten wird sie aus ihrem aktuellen Näh- und Arbeitszimmer ein Kinderzimmer für ihren Vierjährigen machen müssen. Dafür räumt ihr Mann gerade das Gästezimmer frei, damit dann weiterhin genäht werden kann. Diesen Winter liefen Models mit Entwürfen aus Nadines Kollektion über den Laufsteg der New York Fashion Week. Echt. Kein Witz. Ein Gespräch über Träume und Erfolg, Vor- und Nachteile des Homeoffice, Nachhaltigkeit in der Modebranche und über das Problem, wie der Mund-Nasenschutz von Müttern unterwegs hygienisch verstaut werden kann …

Deine Entwürfe waren gerade auf der New York Fashion Week zu sehen und daraufhin dann auch in verschiedenen amerikanischen Modemagazinen. Marie Claire und Elle Italia sind auch schon auf dich aufmerksam geworden. Wenn dir das einer mal gesagt hätte, wie hättest du darauf wohl reagiert?

Nadine Huthmann liebt es, Mama zu sein und nachhaltige Mode zu produzieren

Ich habe schon ziemlich früh gewusst, dass ich mal Schneiderin werden wollte und habe Modedesign studiert. Deswegen ist das natürlich dann schon toll. Der Laden Flying Solo aus New York hatte mich zunächst angeschrieben. Die waren über mein Instagramprofil auf mich aufmerksam geworden. Und das war zunächst schon mal besonders. Wenn man wie ich alles selbst macht – von der Webseite über die Fotos und den Webshop – dann ist es wirklich sehr schön, wenn plötzlich Unterstützung von außen kommt. Zu wissen, die nehmen mich jetzt in ihren Laden am West Broadway, meine Sachen werden dort präsentiert – da geht einem das Herz auf. Das mit der Fashion Week kam dann erst später. Da bin ich so mit reingerutscht. Der Laden veranstaltet dort immer eine Modenschau. Das Konzept des Ladens basiert auf der Idee, Designer aus der ganzen Welt für eine Zeit mit ins Sortiment zu nehmen und ihnen die Chance zu geben, sich zu zeigen. 

Du bist Mama von zwei kleinen Kindern, hast gerade die Auswirkungen des Lockdowns voll mitbekommen und immer noch 24/7 einen Eineinhalbjährigen zuhause herumhüpfen. Deine Kollektion beinhaltet unheimlich viele wirklich tolle Sachen von Kleidung über Taschen, Geldbörsen, Gürtel bis hin zu Kosmetiktaschen. Wie schaffst du das alles?

Alles was auf meiner Webseite zu sehen ist, ist über einen längeren Zeitraum hinweg entstanden. Ich mache tatsächlich alles selbst – außer die T-Shirts. Wenn jemand etwas bestellt, dann habe ich die Stoffe oder das Leder da und kann loslegen. Und man entwickelt ja so seine Strategien mit den Kindern. Ich kann zwar, wenn die Jungs dabei sind, nicht immer unbedingt die Nähmaschine anschmeissen, aber ich kann mal einen Stoff zurechtschneiden. Ich bin ganz dankbar, dass ich von Zuhause aus arbeite und nicht noch mal irgendwohin fahren muss. Das meiste mache ich tatsächlich wenn die Jungs schlafen. Und dann lege ich direkt los. Und ich kann zum Glück auch die Hilfe der Großeltern in Anspruch nehmen und am Wochenende natürlich auch die meines Mannes.

Grotkop Collection auf dem New Yorker Catwalk …

Interessant, dass du das jetzt sagst, denn ich träumte lange von dem Büro außerhalb der eigenen vier Wände, weil ich dachte, ich könnte da viel produktiver sein. Mittlerweile finde ich es eigentlich sehr praktisch, dass ich den Weg zur Arbeit sparen kann.

Ich war nie der Homeoffice-Fan aber momentan ist es für mich einfach die beste Lösung weil die Kinder noch so klein sind. Wenn ich noch in ein Atelier fahren müsste, würde ich wirklich Zeit verlieren und ich würde bestimmt nicht abends noch mal losfahren. Gerade für kreative Arbeit braucht man ja auch die Zeit reinzukommen, ich vergleiche es mal mit einem Hund, der sich erst mal im Körbchen drehen muss, bis er es sich gemütlich machen kann. So ist das auch manchmal bei meiner Arbeit (lacht). Und Zuhause ist das eben gerade am einfachsten. 

Nachhaltigkeit ist dir sehr wichtig. Wie ist deine Idee entstanden, einen eigenen preisgekrönten Prozess zu entwickeln, mit dem du Merino-Wolle für den handgemachten Filz bearbeiten kannst?

Das hat eine lange Vorgeschichte. Ich fand Filz immer spannend und habe mich während meines Studiums mit dem Thema beschäftigt. Ich wollte wissen, wie man sich seinen eigenen Stoff filzen kann und zwar so, dass das Verfahren auch für Industriefilzmaschinen möglich ist.

Meine Masterthese beschäftigte sich dann mit dem Thema, warum Filz in der Textilindustrie eigentlich kaum eine Rolle spielt. Ich durfte dafür in ein Unternehmen gehen und lernen, wie Filz industriell hergestellt wird. Ich wollte für die Masterarbeit herausfinden, wie es möglich sein könnte, gemusterten Filz auf Industriemaschinen herzustellen. Filzen selbst ist ein sehr harscher Prozess. Der Prozess den ich entwickelt habe, hat seine Rahmenbedingungen aber man kann schon viel damit machen. Ich habe in Schottland studiert und meine Arbeit wurde dann auch mit zwei Textil-Awards ausgezeichnet. Ich habe auch ein Patent dafür bekommen. Ernüchternd war trotzdem: Filz hat in der Modebranche keine Lobby, mit meinem Verfahren lässt sich zwar auf Meter produzieren, aber die Umstellung der Maschinen wären zu groß für meinen alleinigen Bedarf. Was ich so schön finde, ist, dass ich meine Ideen selbst umsetzen kann. Das Schöne an der von mir verwendeten Merino-Wolle ist, dass sie schön warm hält aber man auch nicht darin schwitzt. Deswegen nenne ich meine Mäntel auch „Coatigan“ – man kann sie sowohl drinnen als auch draussen anziehen. 

Besonders dein Coatigan war in der amerikanischen Presse zu sehen. Wie viel Arbeitszeit steckt in einem einzigen Mantel?

Das kann ich schwer sagen, ich denke, eine Woche brauche ich, weil die Herstellung verschiedene Arbeitsschritte wie beispielsweise auch Abtrocknen, beinhaltet. Ich habe auch nicht so viel Platz zuhause und muss Vorderteil, Rückteil und Ärmel filzen. Hinterher muss ich dann diese Stoffstücke nähen. Insgesamt wäre es wahrscheinlich ein ganzer Arbeitstag, wenn man alles zusammenrechnen könnte.

Mund-Nasenschutz-Tasche – gibt es übrigens nicht nur in pink

Du hast ein Faible für spezielle Materialien, ich bin ein großer Fan deiner Maskentaschen aus Kork. Wie bist du denn auf die Idee gekommen?

Ach so speziell ist Kork gar nicht, in der Modebranche findet ja zum Glück ein Umdenken statt. Kork wird unter vielen anderen Materialien nun ja auch als veganes Leder bezeichnet. Der Vorteil: Kork ist weich, robust und verfügt über eine angenehme Haptik. Die modische Vielfalt auf Korkbasis findet man schon länger im Handel. Speziell sind heute eher Sachen wie Leder aus Ananas- oder Apfelhaut oder ganz aktuell aus Pilzen. Aber zurück zum Kork – ich finde das Material wirklich schön. Und die Idee, es für eine Mundschutz-Tasche zu nutzen, entstand, nachdem mir aufgefallen ist, dass meine Mutter begann, den Mundschutz in eine Brottüte zu stecken. Ich habe mich auch immer gefragt, wie dieser Mundschutz hygienisch bleiben kann – mich hat es total gestört, dass ich ihn immer in meine Jackentasche gesteckt habe und gleichzeitig landen da natürlich Taschentücher von den Kindern, irgendwelche Riegel und Pixibücher … Und dann bin ich auf den Gedanken mit dem Kork gekommen. Denn Kork ist sehr widerstandsfähig gegen Wasser und Flecken. Man kann die Innenseite der Tasche auch mit Alkohol reinigen, das ist überhaupt kein Problem.

Die Mund-Nasenschutz-Tasche aus Kork – ein Träumchen

Du verwendest aber auch immer noch echtes Leder für einige deiner Ideen. Worauf achtest du da besonders?

Das ist eine berechtigte Frage. Ich nutze Leder, und das muss nicht jedem gefallen. Leder ist für mich immer noch ein Naturprodukt, von dem man lange etwas hat, wenn man es gut pflegt. Für mich ist es wichtig, wo das Leder herkommt. Meine Leder sind immer zertifiziert, überwiegend pflanzlich gegerbt und meistens kommen sie direkt aus Deutschland oder aus Europa. Wenn man sich für ein Produkt von mir interessiert, kann man immer in der Produktbeschreibung genau nachlesen, wo das Leder herkommt. Die Tiere kommen aus der Fleischproduktion, und ich finde es dann wichtig, dass auch wirklich alles verwendet wird. Mittlerweile arbeite ich auch direkt mit einer Gerberei aus Süddeutschland zusammen, deren Leder stammt von Tieren, die von ökologisch geführten Höfen kommen. Das Unternehmen gerbt nur mit pflanzlichen Stoffen, färbt umweltverträglich, pflanzlich verzichtet auf chemische Fixierer. So geht man meiner Meinung nach in die richtige Richtung. Ich möchte nämlich auch nichts produzieren, das man nur eine Saison tragen kann. 

Was können wir denn machen, damit die Modebranche nachhaltiger wird?

Ich glaube, dass ein Gesetz, das zunächst einmal die großen Unternehmen zur sorgfältigen Dokumentation ihrer Lieferketten anhält, in die richtige Richtung geht. Dass Unternehmen mit festen Partnern zusammenarbeiten, damit gewährleistet wird, dass diese auch planen können und nicht ausgebeutet werden, das wäre wichtig. Langfristige Partnerschaften wäre mein Wunsch. 

Nachhaltigkeit in der Mode fängt auch bei dem Verbraucher an.

Nadine Huthmann

Die Größe der Geldbeutel sind natürlich unterschiedlich und nicht jeder kann teure nachhaltig produzierte T-Shirts kaufen aber Fast Fashion ist etwas Unnötiges. Ich glaube, dass jeder so kaufen kann, dass nicht jede Saison alles neu gekauft werden muss. Vivienne Westwood hat das mal sehr schön gesagt: „Choose well, buy less and make it last.“ Das funktioniert auf jedem Level. Ich komme aus einer Familie, da wurde auch vieles einfach repariert. Man kann ein Loch in einer Hose auch stopfen und muss die Hose nicht sofort wegwerfen. 

Du machst Yoga schon viel länger als ich, nämlich seit etwa 19 Jahren. Nutzt du das immer noch als Tool, das dich erdet?

Es ist wirklich etwas, was ich immer mal wieder mache, beispielsweise wenn mir der Nacken wehtut oder so. Richtig regelmässig habe ich es während meiner letzten Schwangerschaft gemacht.

Aber Yoga war definitiv immer ein Anker, egal wo ich war, in den Niederlanden, in Schottland oder im Ruhrgebiet – ich habe immer einen Kurs besucht.

Nadine Huthmann
Der Pullunder aus Nadines Kollektion – gefilzte Merinowolle

Wie definierst du für dich Erfolg? Machst du das an Geld fest, hast du eine Vision, was du mit deiner Mode erreichen möchtest?

Für mich ist Erfolg beispielsweise, wenn ich etwas Kreatives geschaffen habe und das mit Spaß und Leidenschaft. Dann ist es egal auf welchem Level das stattfindet. Erfolg ist für mich auch wenn mich das, was ich tue, glücklich macht. Und wenn man dann sieht, was daraus erfolgt. Das kann etwas ganz Kleines sein. Natürlich war die Modenschau in New York ein Erfolg aber für mich ist es auch ein Erfolg dass du bei mir etwas bestellt hast.

Erfolg ist auch, wenn mein kleiner Sohn sich an meine alte, kaputte Nähmaschine setzt, und ich sehe, dass er mit Begeisterung dabei ist.

Nadine Huthmann

Wenn ich dich frage, wie du dir dein Leben in fünf Jahren vorstellst – was würdest du dir da beruflich wünschen?

Es gibt natürlich zwei, drei Labels, deren Weg ich verfolge und mit denen ich mich gerne mal irgendwann vergleichen würde. Ich wünsche mir, dass ich mehr Bestellungen habe und irgendwann mal ausgelastet bin. Ich weiß gar nicht, ob ich so richtig riesig werden will. Denn das würde ja auch wieder an meiner Arbeitsweise vieles verändern. Ich will ja selbst an der Nähmaschine sitzen. Das macht mich glücklich. 

Nadines Kollektion in New York …

Zeit für die Familie ist dir sehr wichtig. Dein Mann und du habt euch bewusst dafür entschieden, dass du im Job erst mal kürzer trittst, um Zeit für die kleinen Kinder zu haben. Und trotzdem stellen wir beide ja auch immer wieder fest, dass es dann auch schwer ist, dem Spagat zwischen Familie und Job gerecht zu werden. Was glaubst du, wie sollten die Rahmenbedingungen sein? 

Ich glaube, es wäre wichtig, dass Frauen – egal nach welcher Zeit – zurück in den Job kommen könnten. Damit meine ich nicht, dass die selbe Stelle noch frei sein soll, sondern dass die Akzeptanz da ist und man den Frauen nicht das Gefühl vermittelt, sie seien komplett raus und hätten keine Ahnung mehr. Das ist nämlich nicht so. Man entwickelt sich ja auch in der Zeit weiter, in der man beispielsweise „nur“ Mutter ist. Und dass man, wenn man bereit ist, wieder Vollgas geben zu können, sich nicht rechtfertigen muss, warum man das vorher nicht war. Dann wäre auch wichtig, dass es nicht unbedingt 40 Stunden sein müssen. Das andere Problem ist dann aber natürlich das Finanzielle: Viele Familien können sich nicht mehr leisten, dass einer alleine über einen bestimmten Zeitraum alles wuppen kann. Das ist das übergeordnete Problem. 

Ich habe ja auch in Dänemark gelebt und dort ist die 37-Stunden-Woche Standard, gleichzeitig funktioniert das Prinzip der Arbeitsteilung und der flexiblen Zeiteinteilung meiner Meinung nach besser und so sieht man an der Kita oder der Schule genauso viele Männer, die ihre Kinder abholen, wie Mütter.

Siehst du, ich habe lange in den Niederlanden gelebt und dort ist es beispielsweise nicht außergewöhnlich, dass Eltern sich das mit dem Job aufteilen und jeder vier Tage die Woche arbeitet. Wie machen das andere Länder? Das finde ich durchaus eine berechtigte Frage. Daraus sollte man auch lernen. 

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Lauschangriff und Lesestoff vom 5. Februar 2021

Am Sonntag ist etwas Eigenartiges passiert. Ich war im Yogastudio, um eine Stunde Zoom-Yoga zu drehen. Zum ersten Mal seit Lockdown-Yoga fühlte sich die Stunde so an, als seien meine Schüler physisch anwesend. Im Raum, meine ich – online waren sie ja zugeschaltet. Ich weiß nicht, woran das lag, vermutlich daran, dass ich mich so langsam daran gewöhne, während ich Asanas vormache, ins Mikro zu hecheln und gleichzeitig zu erläutern, wie dabei geatmet werden soll. Vielleicht weil es mir mittlerweile egal ist, wie viele Versprecher mir über die Lippen gehen, obwohl ich weiß, dass die Stunde auch aufgezeichnet wird. Voller Energie kam ich nach Hause. Das Gefühl trug mich durch den Sonntagabend. Ich war bereit für eine neue Lockdown-Woche.

So lonely

Montagmorgen kamen die dicken grauen Wolken. Ich fühlte mich schwer. Leer. Müde. Wie kann man sich eigentlich schwer und gleichzeitig leer fühlen? Ich wollte das natürlich nicht. Aber ich merkte, dass ich das Gefühl nicht abschütteln konnte. Zum Glück hatte ich vor kurzem irgendwo – ich weiß nicht mehr wo, vielleicht auf ohhhmhhh (?) gelesen, dass es auch völlig okay sei, wenn man mal alles scheiße finden würde. Ich nahm das Gefühl an, akzeptierte es und gab ihm Raum. Und dann konnte ich es benennen: Ich fühle mich einsam. Jetzt – knapp ein ganzes Jahr nach Beginn der Covid-19-Pandemie, im zweiten Lockdown, habe ich dieses Gefühl zum ersten Mal so deutlich gespürt. Ich dachte an das „Gefühle“-Buch meiner Kinder, in dem Traurigkeit mit grauen Wolken über den Köpfen dargestellt wird. Graue Wolken über meinem Kopf. Dabei fing es hier in Kiel zum ersten Mal in diesem Winter richtig an zu schneien. Eine Woche früher wäre ich alleine aufgrund dieser Tatsache durch den Schnee getanzt. Tja, letzte Woche. Letzte Woche hatte ich ja auch noch geglaubt, ich müsse nicht auf bessere Zeiten warten. Da war ich so überzeugt davon, dieser Pandemie den Stinkefinger zeigen zu können, ich steckte voller Energie und Ideen …

Alle gemeinsam einsam

Ich bin natürlich nicht einsam. Den ganzen Tag springen hier zwei Kinder um mich herum, wir sind eine vierköpfige Familie. Manchmal treffe ich eine andere Mutter auf dem Spielplatz. Ich telefoniere mit meinen Freundinnen und meiner Familie. Ich arbeite, schreibe Mails, beantworte Fragen, manchmal sehe ich die Nachbarin kurz: „Hallo, wie geht’s bei euch?“ Freitagabends sitze ich vorm Laptop und nehme an einer Ausbildung für Yogalehrer teil. Da ist reger Austausch. Wenn es gar nicht anders geht und ich wichtige Aufträge zu erledigen habe, kommt die Babysitterin. Das habe ich erst vor kurzem eingeführt. Sie ist meine Rettung. Als ich diesen Montag kurz vor dem Laptop saß und durch SZ-Magazin-Schlagzeilen scrollte, wurde ich auf dieses Interview mit Psychologin Stefanie Stahl aufmerksam, in dem es eigentlich um Eifersucht unter Paaren geht. „Die Natur richtet kein sinnloses Gefühl ein, unsere Emotionen sind dafür da, dass wir in die richtige Richtung laufen“, sagte Stahl da. Da ging es mir schon ein bisschen besser. Später entdeckte ich den Instagram-Post von @kleinliebchen: „Bis auf ‚Ich bin müde‘ bin ich eigentlich niemand der gerne jammert. Ich sag schon auch ab und zu mal wie anstrengend ich gerade alles finde, aber dann ist es auch wieder gut. Heute aber muss es raus: Ich fühle mich trotz dass ich 3 Kinder von früh bis spät um mich herum habe einsam. Ich fühle mich isoliert und eingesperrt. Ich beneide meinen Mann wenn er morgens rausgeht und unter Menschen ist“, postet sie da. Ich fragte mich kurz, ob diese Influencer eigentlich in die Köpfe anderer Menschen gucken können … Manchmal tut es ja schon gut, wenn man spürt, dass man mit dem Gefühl, einsam zu sein, nicht einsam ist.

Rest and wait …

Am selben Tag hatte Sheila Ilzhöfer auf Fuck Lucky Go Happy diesen Text veröffentlicht: „Wir müssen aufhören, Probleme kleinzureden“, schrieb sie da. Wir dürfen uns scheiße fühlen, auch wenn wir wahnsinnig privilegiert sind, wenn es uns wahnsinnig gut geht, weil wir genug zu essen, eine warme, schöne Wohnung und gesunde Kinder haben. Ich fühlte mich scheiße. Ich spürte die Einsamkeit. Einsamkeit kann krank machen. Ich erinnere mich noch an meine erste Yogalehrerausbildung. Dort sagte die Ausbilderin Alanna Kaivalya einmal zu uns: „Wir fürchten uns mehr vor der Einsamkeit als vor dem Tod.“ Das glaube ich sofort. Ich will trotzdem Covid-19 nicht haben. Und vor allem niemand anderen damit anstecken. Dilemma. Tanya Markul, auch eine Yogalehrerin und Poetin, mit der ich früher in Kopenhagen Yoga üben durfte, schrieb am Dienstag auf Facebook: „Sometimes all we can do is rest and wait while we’re held between the ecstasy and ache. Don’t give it a name but perhaps a poem, a dance or clean living space. And put trust in its work for it’s the complex magic of being you. Sometimes that’s all we can do.“

Das ruhige Leben ist die Rettung

Was mir geholfen hat, meine gute Laune wieder zurückzugewinnen, waren gute Gespräche mit meiner Familie und die verschiedenen Podcasts eines einzigen Yogalehrers: Michael James Wong ist ein großartiger Lehrer und Sprecher, der mich auf meinem Yogaweg schon lange aus der Ferne begleitet. Für mein erstes Yogabuch durfte ich ihn 2015 interviewen. Er hat das Projekt „Just breathe“ ins Leben gerufen, sitzt bei Massenmeditationen zusammen mit Tausenden an Orten wie The British Museum, um den Wert gemeinsamer Stille zu erfahren. Als Gründer der Sunday School of Yoga begleitet er Yogalehrer in ihrer Entwicklung. Er schafft es auf sehr angenehme Art und Weise aufzuzeigen, wie angenehm Meditation und Nichtstun sein kann. Seine ruhige Stimme und die Interviews seiner letzten beiden Podcastfolgen aus „The quiet life“ haben mich diese Woche aufgerichtet. Zunächst einmal der Podcast mit der Ernährungsberaterin Rhiannon Lambert. Sie beschreibt sehr gut, wie verrückt es für sie war, zu Beginn der Pandemie ein Kind zur Welt zu bringen und die Freude darüber mit fast niemandem teilen zu dürfen. Sie erzählt, wie und wo sie sich am sichersten fühlt und wie sie es schafft, geerdet zu bleiben. Außerdem spricht sie auch über die interessante Tatsache, dass das, was wir essen, sehr wohl Einfluss auf unsere Emotionen haben kann. 

Sport und Schokolade

In der aktuellsten Folge seines Podcasts spricht er mit dem Notarzt, Allgemeinmediziner und Autor Rupy Aujla. Der Bestsellerautor, der sich dafür einsetzt, gesunde Ernährung bei gesundheitlichen Beschwerden ernster zu nehmen, spricht in diesem Interview mit Michael James Wong darüber, was Dankbarkeit für ihn bedeutet und warum wir die kleinen Dinge feiern sollen. Und da war er wieder: Der Moment, in dem ich den Wert meines Kaffees am Morgen wirklich schätzen konnte. Übrigens kann ich dir nur empfehlen, die Episoden von Wongs Kurz-Podcast Good Intentions zu hören. Die tun sooooo gut. Diese Woche beispielsweise die Episode: Eat a piece of chocolate.

Und dann war da der Sport. Laufen zu gehen, all den Ballast dabei abschütteln zu können, mich danach nicht nur geistig (wie jeden Abend) sondern körperlich müde zu fühlen – das hat mir gut getan.

Und das hier könnte eventuell mein Frühstück am Wochenende zu einem Gute-Laune-Fest machen. Was meinst Du?

Warum ich nicht mehr auf bessere Zeiten warte

Noch mindestens zehn harte Woche stünden uns bevor, prophezeit Bundesgesundheitsminister Jens Spahn. Das glaube ich aufs Wort. Vielleicht auch noch mehr. Wer weiß das schon. In zehn Wochen ist ein gutes Viertel des Jahres wieder vorbei. Anfang Januar habe auch ich noch auf bessere Zeiten gewartet. Mir vorgestellt, wen ich treffen will, wenn Treffen wieder möglich sind. Wo ich als erstes essen gehen will, wenn Restaurants wieder auf sind. Wohin wir als Familie fahren wollen, wenn wir wieder andere besuchen dürfen und wie meine Yogastunden wohl aussehen werden, wenn sie wieder im Yogastudio stattfinden mit Teilnehmern im Saal. Ich habe mir überlegt, was ich als erstes mache, nachdem ich meine Kinder in die Kita gebracht habe und mit was ich dann meinen ersten Kaffee alleine in der Küche genießen möchte. Vor allem habe ich mich auf Sport gefreut. Im Fitnessstudio, an der frischen Luft und mit ganz viel schweren Gewichten. 

Jahr des Lernens

Das mache ich jetzt nicht mehr. Denn mir ist plötzlich sehr klar und deutlich geworden, dass es nicht meiner Lebensphilosophie entspricht, auf bessere Zeiten zu warten. Stattdessen will ich doch das Leben genießen. Jeden Moment auskosten. Mich darüber freuen, dass meine Kinder genauso klein sind, wie sie jetzt klein sind und nicht darauf warten, dass sie größer werden. Werden sie nämlich. Ohne Zweifel. Ich habe mir überlegt, wie ich diesem Jahr etwas abgewinnen kann. Egal wie es in den nächsten zehn Wochen zu und hergehen wird. Wie dieses Jahr für mich wertvoll sein kann, auch wenn immer noch weniger Begegnungen stattfinden können als ich mir das wünsche. Und ich weniger Geld verdienen werde, als ich mir das wünsche. Ich bin selbständig. Ich war deswegen auch immer die Erste, die vor Corona-Zeiten von der Kitaleitung meiner ältesten Tochter angerufen und gefragt wurde, ob ich meine Kinder zuhause lassen könne, weil gerade viele Erzieher krank seien. Ich war diejenige, die bei Erzieher-Ausfällen gefragt wurde, ob ich nicht mal eben eine halbe Stunde Yoga mit den Kindern machen könne – umsonst natürlich. Was wenige verstanden haben: gerade weil ich selbständig bin brauche ich eine Kita. Ich verdiene nichts, wenn ich nicht arbeite. Demnach ist eines hier so ziemlich klar: so lange ich keine Betreuung habe, kann ich nicht vernünftig arbeiten. Ich kann auch nicht von einer Zweijährigen erwarten, dass sie den ganzen Tag Ausmalbilder macht, damit Mama ihre Texte schreiben kann. Ich kann nicht zwischen Wäschebergen, Rollenspielen, Füttern und Windel wechseln mal eben so ein Buch schreiben. Das wird jeder verstehen. Ich habe es trotzdem vor, aber das ist eine andere Geschichte. Und so habe ich mir etwas überlegt. Das Jahr 2021 wird ein Jahr des Lernens. Der Weiterentwicklung. Der Investition in mich. Und damit hatte ich meine Perspektive zurück und mit ihr die gute Laune. Das Hier und Jetzt. Das Leben im Moment. Gerade habe ich eine neue Yogalehrer-Ausbildung begonnen. Im April kommt eine weitere Ausbildung dazu, die eigentlich nicht sehr viel mit Yoga zu tun hat. Und dann mache ich Ende des Jahres vielleicht noch eine Ausbildung. Wenn dann noch etwas Geld übrig ist jedenfalls. Mal sehen. 

Was mir fehlt

Abgesehen von diesen Entscheidungen habe ich mich gefragt, was mir gerade – außer meinen Eltern und Geschwistern – am meisten fehlt. Und das ist Sport. Nicht Yoga, sondern richtiger Sport. Sport, der mich zum Schwitzen bringt. Also habe ich eine Nachbarin gefragt, ob sie sich vorstellen könne, mit mir abends um 21 Uhr joggen zu gehen. Wir haben beide kleine Kinder, bei meinen wird es momentan wirklich spät bis sie schlafen. Was für ein Glück: bei ihren auch. Sie schrieb mir, diese Nachricht käme wie gerufen. Und ob ich mich vielleicht mit ihrem Mann unterhalten hätte, denn der hätte gerade noch zu ihr gesagt, sie müsse wieder mehr Sport machen. „Ich brauche einen Schweinehunddompteur“, schrieb sie mir und ich schrie: „Da bin ich!“ Jetzt joggen wir durch die Nacht. Ich habe angefangen, HIT-Training in meinen Alltag einzubauen, manchmal dauert das nur zehn Minuten und die Kinder gucken dann Peppa Wutz. Oder sie machen mit. Manchmal kriege ich eine halbe Stunde in den Tag gequetscht. Wir richten uns gerade ein Homegym ein – wie der Rest der Nation. Und dann habe ich auch noch begonnen, eine weitere Yogastunde online zu unterrichten. Und jetzt merke ich so langsam, dass ich mich wirklich sehr lebendig fühle. Corona kann mich mal.

Wie macht man weiter ohne ein Ziel?

Vieles was uns zu Beginn eines neuen Jahres Mut macht, was wir mit Vorfreude erwarten und worauf wir hinarbeiten, ist uns durch Covid-19 abhanden gekommen. Wie also können wir weitermachen, wenn ein Ziel fehlt? Wie stehen wir auf, wenn es keine Struktur mehr gibt? Und wie finden wir Orientierungspunkte in einer unbeständigen Zeit? Darüber habe ich mit jemandem gesprochen, der darin ungewollt zur Expertin geworden ist: Die Stabhochspringerin Katharina Bauer (30) gilt als medizinisches Wunder. Sie trägt in ihrem Körper einen implantierbaren Defibrillator. Hätte sie auf andere gehört, wäre ihre sportliche Karriere schon mehr als einmal vorbei gewesen. Im vergangenen Jahr wollte sie zu den Olympischen Spielen in Tokio. Dann kam Corona. 

Es ist noch kein Jahr her, da hast du mitten in der Vorbereitung für die Olympischen Spiele gesteckt, die eigentlich im Sommer 2020 stattfinden sollten. Kannst du dich noch an das Silvester 2019 erinnern und deine Gedanken und Vorstellungen von diesem – für uns alle so ungewöhnlichen – Jahr 2020?

Katharina Bauer: Ich kann mich noch sehr gut an das Silvester erinnern. Das war in Düsseldorf bei meiner Freundin Yvonne und es war das Ende des Jahres, in dem ich einen schweren Bandscheibenvorfall erlitten hatte. Die Vorweihnachtszeit habe ich als sehr schmerzhafte Zeit in Erinnerung, ich konnte morgens kaum stehen, kaum laufen. Und gerade um Weihnachten herum besserte sich das. Ich war also sehr dankbar und habe mich auf das kommende Jahr gefreut. Ich habe das Gefühl gehabt, dass ich endlich komplett schmerzfrei werden könnte. Zudem standen natürlich große Dinge bevor: Die Olympischen Spiele sollten 2020 stattfinden, ich würde im Sommer meinen 30. Geburtstag feiern, wir beide würden an einem Buchprojekt arbeiten … So habe ich den Jahreswechsel natürlich sehr positiv wahrgenommen, aber ich war auch vorsichtig optimistisch aufgrund meiner Rückenschmerzen. Das Thema Gesundheit stand also für mich schon sehr im Vordergrund.

Im März 2020 warst du mit einer Gruppe Athleten im Trainingslager in Südafrika. Während in Deutschland der Lockdown beschlossen wurde, informierte euch die Verbandsleitung, dass euer Trainingslager abgebrochen werden muss. Was ging da in dir vor? Hast du zu dem Zeitpunkt schon geglaubt, dass die Olympischen Spiele verschoben werden müssen und dass das Jahr eine solche Wendung nehmen würde?

Mein Anker nach dem Bandscheibenvorfall und der langsamen Genesung im Winter war das bevorstehende Trainingslager in Südafrika im März. Dieser Ort hat für mich energetisch eine große Bedeutung. Ich liebe das Land und dort kann meine Seele auch immer heilen. Die Sonne, das Wetter, die Leute, das Team, die Trainingsbedingungen – all das macht den Ort sehr besonders und ich wusste, ab dann würde es Vollgas Richtung Olympische Spiele gehen. Wir waren genau eine Woche in Südafrika, dann wurde der Lockdown beschlossen. Wir wurden von einem auf den anderen Tag zurück nach Deutschland geholt. In Südafrika lebten wir wie in einer Blase, hatten kaum Nachrichten gehört und keine Panik mitbekommen. Das, was in Deutschland zu diesem Zeitpunkt passierte, war für uns nicht greifbar. Wir rätselten freitags noch darüber, ob es Sinn machen würde, länger in Südafrika zu bleiben. Zu dem Zeitpunkt wussten wir noch nicht, dass der Deutsche Leichtathletikverband uns auch schon Flüge für unsere Rückreise gebucht hatte. Das wurde kurz später Realität. Ein hartes Erwachen. Und dann war das für uns zunächst einmal sehr erschreckend. Weil wir als Sportler auch gar nicht wussten, was auf uns zukommen würde. Es war direkt auch im Gespräch, dass die Trainingsanlagen gesperrt werden müssten. Ich habe also sofort realisiert, dass die ganze Jahresplanung über den Haufen geworfen wird. Das war zunächst ein Schock. Das Jahr sollte mein viertes Comeback werden und nun stand ich wieder vor einer Zwangspause. Immer wieder an die Leistungsgrenze zu gehen, kostet sehr viel Energie. Als Sportler bist du in so einem Jahr im Feuermodus. Du brennst für ein Ziel und das Ziel war plötzlich weg.

Katharina in Südafrika, ihrem „Happy Place“. Kopfüber versteht sich.

Wie hast du das, was dich in diesem Moment so bedrückt hat, dann wieder – wie schon so oft in deinem Leben – in positive Energie umwandeln können?

Das hat tatsächlich erst einmal eine Zeit lang gedauert. Als wir zu Hause ankamen, war ja noch gar keine Entscheidung darüber getroffen, ob die Olympischen Spiele stattfinden oder nicht. Wir hatten also entschieden, dass ich zunächst nicht in Leverkusen, wo ich lebe und trainiere, bleiben, sondern zu meiner Familie nach Wiesbaden fahren würde. Da die Trainingsanlagen ohnehin geschlossen waren, sollte ich mich dort fit halten. So wie das eben alle Leistungssportler während des Lockdowns machten. Und man muss natürlich klar sagen: das, was da zuhause möglich ist, was wir auch auf Instagram zeigten, das Hometraining, die Challenges und so weiter, ist kein Vergleich zum Spitzensport. 

Dann wurde glücklicherweise relativ schnell die Entscheidung getroffen, dass Olympia 2020 nicht stattfinden würde. Da war ich zum einen natürlich schockiert, weil der Fokus weg war, aber andererseits war es auch eine Erlösung. Ich weiß noch, dass ich zu Beginn des Jahres guter Dinge war, denn mein großes Ziel, schmerzfrei trainieren zu können für Olympia, war beinahe erreicht. Aber da war auch eine große Müdigkeit aufgrund all meiner Verletzungen und Rückschläge und so hatte ich eigentlich auch das Bedürfnis mich einfach mal hinzulegen und liegenzubleiben. Durch die Absage und die Verschiebung auf das nächste Jahr, wusste ich, dass ich mich neu orientieren kann. Eine neue Erfahrung war es aber auch für mich, dass wir über gewissen Situationen keine Kontrolle haben können. Nicht trainieren zu dürfen obwohl man schmerzfrei ist, war für mich ganz neu. Aber wie immer habe ich dann relativ schnell verstanden, dass ich auch aus dieser Situation das Beste machen muss. Ich konnte dann das wertschätzen, was ich hatte: Zeit mit meinen Eltern, die ich sonst zu dieser Zeit niemals so gehabt hätte. Das habe ich aufgesaugt. Und dann hat mein Körper mir das einfach gedankt. Eine Zwangspause – das war für meinen Körper ideal.

Wann hast du realisiert, dass das Jahr 2020 und damit die Verschiebung der Olympischen Spiele ein Geschenk sein kann?

Das ging sehr schnell. Am Anfang tut es weh und dann bin ich problemlösungsorientiert. Der erste Gedanke muss immer sein: Was ist daran jetzt positiv? Und ich habe natürlich sehr schnell gewusst, dass es für meinen Körper definitiv gut ist. Ich wusste: Ich kann neue Kräfte sammeln, und das kann ich tatsächlich bei meiner Familie immer am besten. 

Hast du einen Tipp, wie wir den Fokus auf die wesentlichen Dinge des Lebens legen und wie wir akzeptieren, dass Zwangspausen positiv genutzt werden können?

Es ist der dahingesagte Spruch: Im Hier und Jetzt leben, der aber einfach der Schlüssel dazu ist, wertzuschätzen, was wir eigentlich haben. In welch privilegierter Situation wir in einem Land wie Deutschland sind, das sollte man sich in so einer Lage als erstes klar machen. Ich sitze in einer warmen Wohnung und das mag banal klingen, aber andere haben das nicht. Ich kann immer noch in den Supermarkt gehen und dort alles einkaufen, was ich haben möchte. Und wenn ich gesund durch diese Pandemie komme, ist das auch ein Geschenk. Also Dinge wahrnehmen, die für uns selbstverständlich sind und die man dann noch mal neu wertzuschätzen lernt. Unabhängig von Corona mache ich das fast täglich: mir darüber bewusst werden, wofür ich dankbar bin. Was aber in so einer Phase auch sehr wichtig ist: Wir dürfen negative Dinge auch mal abschalten und den Fokus auf das Schöne legen. Also auch mal die Nachrichten auslassen und sich kleine Dinge vornehmen, die glücklich machen. Sich etwas suchen, was man vielleicht immer aufschiebt. Das kann man jetzt machen. Und anderen helfen ist natürlich immer auch sehr heilsam.

Hast du tatsächlich eine regelmäßige Praxis, ein festes Ritual, wie eine Dankbarkeitsmeditation am Abend?

Ich mache häufig Meditationen, gerade vorm Schlafengehen und ich habe eine Visualisierungstafel in meinem Schlafzimmer, da habe ich Ziele aufgeklebt, schöne Dinge. Alleine der Blick auf mein Visionboard gibt mir ein positives Gefühl. Das ist schon sehr bewusst in meinem Leben. 

Wenn du auf die Ärzte gehört hättest, wäre deine sportliche Karriere schon lange vorbei. Vertraust du dir selbst in schwierigen Situationen am besten und hast du eine Art Urvertrauen entwickelt, dass dich auch durch brenzlige Situationen trägt?

Das Wort Urvertrauen trifft es sehr schön. Meine Mutter ist Hypnose- und Mentalcoach und dadurch bin ich mit Themen wie Urvertrauen, Erdung und positives Denken früh in Berührung gekommen. Ich bin durch so viele sportliche und gesundheitliche Tiefs gegangen und wieder zurückgekommen, dass ich mir heute über meine mentale Stärke sehr bewusst bin. Dieses Urvertrauen habe ich also über Jahre entwickelt. Und so vertraue ich mir im Leben tatsächlich selbst sehr. Ich habe noch nie aufgegeben, und auf den Sport bezogen weiß ich, so lange ich einen inneren Antrieb habe, ein Feuer in mir brennt, so lange mache ich weiter. Das kann ich sicher auch auf andere Bereiche meines Lebens übertragen. Ich sammele kleine Erfolge und feiere sie wie einen Geburtstag. Ich habe mich nie daran gemessen, wo ich mal war, sondern mich immer an jedem Fortschritt erfreut. 

Wie hilft dir Yoga im Alltag und wie hat es dir speziell in diesem verrückten Jahr geholfen?

Das hat in diesem Jahr wirklich eine neue Dimension erreicht. Ich praktiziere ja schon lange Yoga, aber es gibt ja immer Phasen im Leben, da kommt es zu kurz. Ich habe in diesem Jahr so viel Yoga, so viel Atemübungen und Meditation gemacht, dass auch mein Trainer jetzt gemerkt hat, wie gut es mir tut, wie weit ich dadurch gekommen bin. Und ohne Yoga wäre ich bestimmt nicht so weit, wie ich jetzt bin. Ich habe durch meinen Bandscheibenvorfall enorm an Beweglichkeit eingebüßt, und die ist jetzt wieder da. Was Corona betrifft, hat Yoga mir natürlich mental auch sehr geholfen. Während dem ersten Lockdown hatte ich das Gefühl, ich gehe in einen Schildkröten-Modus, spare mir meine Energie und lasse sie nur für das Training raus und ansonsten warte ich ab, was sich tut. So hatte ich einfach wahnsinnig viel Ruhe in diesem Jahr – auch für den Kopf. 

Hohe Infektionszahlen, Ungewissheit in Sachen Impfung, wir wissen nun, auch 2021 wird nicht ‚normal‘. Und wir wissen auch: Wir haben nichts in der Hand. Wie stellst du dich als Leistungssportlerin darauf ein, dass es eventuell wieder nur ein paar wenige Wettkämpfe geben wird und Olympia ein Traum bleiben könnte?

Das ist mittlerweile keine gedankliche Belastung mehr für mich. Da habe ich mich sehr intensiv mit meinem Trainer ausgetauscht und wir wissen alle, wir können nichts voraussehen. Im Januar sollen noch Wettkämpfe stattfinden, die stehen jedoch jederzeit in der Schwebe. Vor Weihnachten habe ich die Information bekommen, dass alle Wettkämpfe im Januar ausfallen werden, aber dass im Februar Deutsche Meisterschaften stattfinden sollen. Sind wir mal ehrlich: Wir wissen es nicht. Also haben wir uns überlegt, was wir machen. Vom Prinzip her könnte ein Athlet in meinem Alter aufhören. Und so haben wir die Strategie entwickelt, dass wir alles was wir jetzt machen, für uns machen. Wenn ich im Training in diesem Jahr über 4,70 Meter springe, dann habe ich doch schon meine Bestleistung erreicht. Wer kann mir das wegnehmen? Dafür bin nur ich verantwortlich. Der Bezug zum Außen ist ja zunächst weg, und das kann einen Sportler schon verrückt machen. Aber wie ich an meine Leistungsgrenze gehen kann, wie hoch ich in meinem Leben springen kann, das kann ich selbst herausfinden. Und das ist eine Strategie, die mir sehr gut getan hat. Wir haben wahnsinnig hart trainiert aber haben auch wahnsinnig viel Spaß im Training. Ich bin momentan physisch und emotional wirklich stark, es wäre nahezu ideal, wenn jetzt Wettkämpfe mit Zuschauern stattfinden würden (lacht) – aber egal. Für einen Sportler ist auch klar: der Sport, den wir kennen, den gibt es nicht mehr so. Das Zusammensein, die Freude mit den Zuschauern, Olympische Spiele, so wie wir das kannten – von dem Gedanken mussten wir uns alle verabschieden. Wenn die Spiele stattfinden, werden sie ja anders organisiert werden müssen als wir es gewohnt waren. Das ist die Realität. Aber wenn ich mich qualifiziere, geht natürlich trotzdem ein Traum in Erfüllung. 

Deine Mutter Christine J. Bauer hat mal über dich gesagt, dass du ein neugieriges Kind warst. Neugier hat mich in vielen Situationen vor Angst beschützt. Beispielsweise bei der Geburt meiner Kinder. Glaubst du, dass Neugier einer deiner Antriebe ist? Also alleine die Neugier dich treibt, wie weit du mit deinem Körper gehen kannst?

Ich habe tatsächlich erst darüber nachgedacht, nachdem du mir diese Frage gestellt hast. Aber da ist definitiv eine Neugier, wie weit ich gehen kann, wie weit ich aus meiner Komfortzone ausbrechen kann und wo meine Leistungsgrenze liegt. Kann ich meine Grenzen übersteigen? Wie oft habe ich in meinem Leben schon gehört: Katharina, das wird nichts mehr. Ich hatte schon so oft in meinem Leben das Gefühl: Ich habe nichts zu verlieren. Ich kann nur gewinnen. Also will ich es rausfinden. Das war auch, nach der Implantation meines Defibrillators, für mich der spannende Teil der Reise: Wie weit kann ich meinen Arm heben mit diesem Defibrillator? Kann ich damit überhaupt Stabhochspringen? Welche Übungen kann ich eigentlich machen und wie muss ich sie neu erlernen? Das war spannend. Und grundsätzlich muss ich zugeben, ich bin generell ein neugieriger Mensch. Ich hinterfrage viel und will vieles herausfinden. Ja, auf jeden Fall: Neugierde ist mein Antrieb. Bleibe also neugierig!

Lauschangriff und Lesestoff vom 8.1.2021

Bis zum Dreikönigstag fühlte sich der Lockdown hier noch nicht so richtig wie ein Lockdown an. Nicht etwa, weil wir die Kontaktbeschränkungen nicht eingehalten hätten, nee, nee. Es fühlte sich einfach an wie ein verlängerter Weihnachtsurlaub und die Kinder fanden es ganz gut, dass wir zuhause in unserer Adventswelt lebten. Sind die erst mal drinnen am Spielen, haben sie eigentlich gar keine große Lust hinaus in die Welt zu gehen.

2021 bringt jetzt auch nicht die Erleuchtung, oder?

Mir war auch vorher schon klar, dass das Leben am 10. Januar nicht normal weitergehen würde. Dass Silvester und der Jahreswechsel nicht die Erleuchtung und schon gar nicht die Vernichtung der Corona-Pandemie bringen würden. Auch keinen Frieden auf Erden. Das hat man ja am Königstag schön an den USA gesehen. Nichtsdestotrotz musste auch ich einmal tief durchatmen, nachdem ich die neuen Bestimmungen zur Eindämmung des Corona-Virus am Dienstagabend vernommen hatte. Aber so ist es dann eben auch: atmen, einmal den Kopf durchschütteln und weitermachen. Damit ich nicht ganz in meiner Mama-Blase verblöde, tragen mich Podcasts durch die Zeit. Sie begleiten mich beim Aufräumen und Kochen, abends höre ich sie, statt in die Glotze zu gucken. Und so habe ich mich besonders über den Artikel von Sheila Ilzhöfer auf FuckLuckyGoHappy gefreut, die dort ihre liebsten Podcasts vorgestellt hat. Musst du unbedingt lesen, denn dann weißt du auch, was du in den nächsten Wochen des Wahnsinns-Lockdown auf die Ohren packen kannst.

Besser leben – weniger Müll

Ich habe nicht viele Vorsätze für das neue Jahr. Aber mir ist in den letzten Jahren aufgefallen, wie viel Müll hier bei uns immer durch die Haustüre getragen wird. Ich hatte Anfang des Jahres 2020 noch zwei Kinder zu wickeln und beim Gedanken an die Müllberge, die Windeln, Nasstücher und Co. produzierten, habe ich manchmal einfach die Augen verschlossen. Nun werden die Kinder größer und ich habe mir vorgenommen, die Themen Umweltschutz und Nachhaltigkeit auch in die Erziehung mit einzubauen. Dazu werde ich in den kommenden Monaten sicher auch häufiger etwas schreiben. Bei der Reduktion von Müll kann man da glaube ich ganz gut anfangen, vor allem wenn man so nahe am Meer lebt wie wir. Einen neuen Podcast zum Thema Nachhaltigkeit gibt es vom Bayrischen Rundfunk seit Anfang Dezember. Er heißt „Besser leben. Nachhaltig im Alltag mit dem Umweltkommissar“ und in der aktuellen Folge geht es um die Vermeidung von Mikroplastik in der Kosmetik.

Glaube ist kein Leistungssport

Einen Text, der mich sehr berührt hat, habe ich bereits vor Weihnachten gelesen. Weil er mich lange beschäftigt hat, will ich ihn hier gerne erwähnen. Das Interview mit dem Münchener Pfarrer Rainer Maria Schießler in der Süddeutschen Zeitung vom 21. Dezember hat mich über die Weihnachtstage zum Nachdenken gebracht. Yoga und Glaube – egal welcher, passen für mich sehr gut zusammen. Dazu werde ich in diesem Jahr wahrscheinlich auch noch etwas schreiben. Die erste Frage des Interviews lautete: „Ein Satz, den man immer wieder hört: »Ich würde ja gern an Gott glauben, aber ich schaffe es nicht.« So kurz vor Weihnachten – was raten Sie solchen Menschen?“ Und nachdem ich die Antwort auf die Frage gelesen hatte, war mir klar, dass ich dieses Interview auf jeden Fall in seiner ganzen Länge lesen würde. „Ich rate ihnen: Lass dich aufs Leben ein. Und hör auf damit, den Glauben unter einem Leistungsaspekt zu sehen. Setz dich nicht unter Druck. Glauben kann man nicht messen, man kann nicht besser oder schlechter, mehr oder weniger glauben“, sagte der Pfarrer. Den Glauben nicht unter einem Leistungsaspekt sehen – das ist ein schöner Satz, egal was und/oder an wen wir glauben, oder? Was mir besonders gut gefallen hat, ist Schießlers Einstellung zum Thema Tod. Wer Angst davor habe, dem würde er sagen: „Du brauchst keine Angst zu haben. Vor dir sind so viele gestorben, das schaffst du auch.“ Herrlich. Und egal was wir glauben, am Ende geht es immer um das, was auch Patanjali rät: Lebe bewusst. Lebe hier. Lebe jetzt. In diesem Interview sind noch viele weitere sehr kluge Sätze gefallen. Und dann, ganz zum Schluß kam die Aussage, die mich durch die Weihnachtstage getragen hat. In der Frage ging es natürlich um Corona, darum, dass wir jetzt dann ja endlich mal besinnlich feiern könnten, wo alles verboten wäre. Und da antwortete Schießler: „So ein Unsinn, Corona ist kein Glücksfall, ich hätte gern darauf verzichtet. Und ganz ehrlich, ich wäre auch gern mit ein paar Freunden zum Glühweintrinken gegangen. Wissen Sie was, die Leute reden immer von einem harmonischen Weihnachtsfest. Warum eigentlich? Als Jesus geboren wurde, war nichts harmonisch: Volkszählung, Militärtruppen, Wucherpreise, Guerilla-Anschläge, das war ein riesiges Durcheinander, und dann wird in einem Stall dieses Kind geboren, ein Wunder im Chaos, das ist Weihnachten.“ Ich glaube, davon mache ich mir ein Poster für den nächsten Adventskalender: „Ein Wunder im Chaos. Das ist Weihnachten“. 

Ein Wunder im Chaos …

Weniger Vorsätze, mehr Gefühle und immer genug Topinambur

Neu entdeckt habe ich den Blog ichmachdannmalsport von Nina-Carissima Schönrock. In dem Artikel „Gute Vorsätze 2021: Warum sie scheitern und wie sie gelingen“, schreibt sie darüber, warum wir unsere Ziele nicht zu hoch setzen sollen und uns nicht zu viel für das neue Jahr vornehmen sollen. Das ist genau meine Strategie: weniger Vorsätze, mehr Gefühle. 

Auf meine Podcast-Liste hat es übrigens nun auch der TCM-Podcast von Anna Reschreiter geschafft. TCM – dafür interessierte ich mich vor allem weil es beim Frühstücksbuffet im Hotel Alpenressort Schwarz – dort habe ich vor zwei Jahren meinen Yogaretreat „Fit in den Frühling“ angeboten – ein Müsli gibt, das auf dem Prinzip der 5-Elemente-Ernährung der Traditionellen Chinesischen Medizin basiert. Es ist wirklich das beste Müsli, das ich jemals gegessen habe. Also dachte ich: TCM – muss in meine Küche. Und deswegen – also eigentlich nur wegen diesem einen bestimmten Müsli – höre ich jetzt TCM-Podcasts …

So kommt das Rezept diese Woche natürlich von Anna Reschreiters Blog. Topinambur hat sich schon im vergangenen Winter zu meinem liebsten Wintergemüse entwickelt. Wenn in meinem Gemüsefach kein Topinambur mehr liegt, ist irgendwas falsch gelaufen. Oder es ist Markttag.

Der Jahresrückblog – oder: Will eigentlich irgendjemand noch etwas über 2020 lesen?

Warum schreibe ich Anfang des Jahres 2021 einen Jahresrückblick auf das Jahr 2020? Dieses 2020. Ausgerechnet. Davon will doch niemand mehr was lesen, oder? Ich habe noch nie so viele Menschen über ein Jahr schimpfen hören. So viel Gemecker.

Nimmt das nicht viel mehr Energie als ’ne Covid-19-Pandemie (Kleiner Reim-Scherz, sorry!)?

2021 – massiv unter Druck

Und jetzt, nur weil plötzlich wieder Januar ist, jubeln alle. Ich bin immer für positives Denken. Daher sage ich: Sehr gut! Nur: Wir kennen das große Ganze nicht. Aber jetzt schreibe ich schnell noch etwas Schönes über das Jahr 2020. Über all das, was ich aus 2020 mit in das neue Jahr nehme, das von allen Seiten so massiv unter Druck gesetzt wird. Ich habe wenig Vorsätze (ein paar aber schon), vor allem aber Vorstellungen von Gefühlen, die ich mit in das neue Jahr nehme.

Am 24. Dezember des Jahres 2020 habe ich es wirklich fertiggebracht, kurz bevor ich ins Bett bin, noch mal darüber nachzudenken, wie dieses Jahr für mich verlaufen ist. Das Erstaunliche ist, während mir kurz zuvor auf Instagram Postings wie „Arschweihnachten“ ins Auge gesprungen waren, ist mir viel mehr Positives zu diesem Jahr eingefallen als Negatives. Dazu schiebe ich jetzt noch kurz eine kleine Bemerkung ein: Dieses Jahr habe ich vor Weihnachten viel mehr Post verschickt als in den vergangenen Jahren. Ich war wohl nicht die einzige, die auf diese Idee gekommen ist. Die Briefkästen waren in der Woche vor Weihnachten hier in unserem Kiez zum bersten voll. An einem Abend kam ich mit meinen beiden Kindern zeitgleich am Briefkasten an wie ein junger Vater mit zwei kleinen Jungs. „Da geht noch was!“ strahlte er mich an, steckte seine Hände in den Briefkastenschlitz und presste mit aller Kraft die Post zusammen, damit auch wir noch unsere Karten in den Briefkasten stecken konnten.

Dürfen wir das?

Eine andere schöne Begegnung mit einer Fremden hatten wir im Frühsommer. Die Kinder spielten im Vorgarten. Corona war in aller Munde. Mein Mann war gerade nach Hause gekommen und wir standen vorm Haus und sahen den Kindern dabei zu, wie sie Fangen um das Haus herum spielten. Vor uns auf dem Gehweg kam plötzlich eine Frau mit ihrem Fahrrad zum Stehen. Die Kette war gerissen. Mein Mann erklärte sich bereit, das Problem zumindest provisorisch zu lösen. Es war ja Pandemie-Zeit, die Frau zögerte, dann huschte ein dankbares Lächeln über ihr Gesicht. Sie war Ärztin, erzählte sie uns, jetzt auf dem Weg nach Hause, zu ihrem kleinen Sohn. Mein Mann machte sich an dem Fahrrad zu schaffen, es kam mir vor, als würde es noch eine Weile dauern und ich fragte, ob ich einen Kaffee machen sollte. Wieder dieses zaghafte Lächeln zwischen: „Dürfen wir das jetzt?“ und „Eigentlich wäre das schön.“ Ich bin hoch, wusch mir die Hände, machte den Kaffee, wusch mir wieder die Hände und brachte ihn nach unten. Etwa eine Woche später stand vor unserer Haustür ein Päckchen. Da standen die Vornamen von mir und meinem Mann drauf, eine kleine Karte klärte mich auf: „Danke für die schöne Begegnung, den Kaffee und die Hilfe mit dem Fahrrad.“ Eingepackt hatte sie uns eine Packung hochwertiger Kaffeebohnen …

Keine Begegnungsüberfrachtung

Dieses Jahr sind mir wirklich so einige Begegnungen mit Menschen in Erinnerung geblieben, die sehr schön waren. Vor allem natürlich Begegnungen mir Freunden. Und ich fragte mich natürlich, ob mir nur aufgefallen ist, wie besonders schön diese Begegnungen waren, weil es eben nicht so viele waren als sonst. Liegt es daran, dass wir uns in diesem Jahr auf so wenige Begegnungen konzentrieren konnten, dass sie uns als besonders schön in Erinnerung geblieben sind? Oder weil wir es einfach vermissten, andere zu treffen? Oder habe ich die Begegnungen nur so intensiv wahrgenommen, weil mein Jahr nicht so überfrachtet von Begegnungen war? Ich will damit nicht sagen, dass ich das immer so haben möchte. Nein, auch ich bin froh, wenn ich wieder ständig Leute treffen darf. Wenn meine Küche wieder voll ist und ich nicht nachkomme, Kaffee zu brühen und Milchhäubchen darauf zu verteilen. Aber ich kann diesem Jahr einfach etwas abgewinnen.

Mama – eine dankbare Aufgabe

Das erste Halbjahr des Jahres war ich vor allen Dingen eines: Mama. Wir hatten fast nur gute Tage. Meine Kinder waren nicht schlechter gelaunt als an Kitatagen. Irgendwann habe ich mich hingesetzt und zusammengerechnet, wie viel Zeit wir in Frühjahr und Sommer ausnahmslos miteinander verbracht hatten. Und ich dachte: „Lächerlich! Am Ende meines Lebens wird es mir vorkommen, als wäre das gar nichts gewesen!“ Wie dankbar werde ich dann auf das Jahr 2020 blicken! Ich weiß noch, dass der Frühling so dahinplätscherte, dass ich noch am Anfang zu einer meiner Freundinnen sagte: „Ich fühle mich um diesen Frühling betrogen“, obwohl in Kiel ausnahmslos die Sonne schien – wie skurril. Aber ich fühlte mich um ihn betrogen, weil ich normalerweise Ostern im Garten meiner Eltern feierte und das nicht möglich war, weil ich um Spielplätze einen Bogen machen musste und meine Freundinnen nicht zum Kaffee treffen durfte. Und dann, irgendwann, ich hatte fast vergessen, wie er sich anfühlte, kam der Sommer. Wir verliebten uns in einen Maulbeerbaum. Aßen schwarze Maulbeeren wie Himbeeren. Saßen an der Ostsee im Sand. Entdeckten Buchten, die so abgelegen waren, dass ich mich fragte, ob ich einen erneuten Lockdown verpasst hatte. Und verbrachten dann drei wahnsinnig schöne Wochen bei meinen Eltern in der alten Heimat. Ich habe diese drei Wochen ganz intensiv mit meiner Familie verbracht, denn ich wollte so lange ich bei meinen Eltern war, zu deren Schutz niemand anderen treffen. Das läuft sonst natürlich anders ab bei Heimatbesuchen. Und was ich mir zunächst noch ein bisschen schwierig vorgestellt hatte, wurde wunderbar. Es gab keinen Lagerkoller. Auf der Rückreise machten wir zwei Zwischenstopps bei Freunden. Das waren unter anderem die schönen Begegnungen des Jahres 2020. Zwei Übernachtungen bei anderen Familien. Zeit, die man intensiv miteinander verbringen konnte. Als die Kinder schliefen, sassen wir mit unseren Freunden im Garten bis in die Nacht hinein. 

Vergessene Pandemie in Kiel

Den Rest des Sommers verbrachte ich am Meer. Denn da wohnen wir. In diesem Jahr habe ich mich in die Ostseeküste verliebt. Für viele meiner Freunde klingt das erstaunlich, schließlich habe ich schon am Pazifik gelebt, bin in meiner Freizeit am Wochenende um die Channel Islands getaucht, hab beim Joggen Delfinen beim Baden zugesehen, feierte Weihnachten mit Spaziergängen am Ozean und 18 Grad. Nun aber liebe ich die Ostsee. Ich habe jeden Tag, an dem ich mit den Kindern im Sand saß, voller Dankbarkeit für dieses Leben auf das Wasser geschaut. Meine Töchter rannten mit mir durch die Wellen. Da war sie ziemlich in Vergessenheit geraten – die Pandemie. Meinen Rückblick auf den Sommer mit vielen Tipps für Aktivitäten mit Kindern in und um Kiel findest du hier.

Ich habe in diesem Jahr nicht viel vermisst. Außer meine Eltern. Die Möglichkeit, wann immer ich möchte, die Kinder in den Zug setzen zu können und die acht Stunden durch Deutschland zu rollen, um dann meine Eltern in die Arme schließen zu können. Und ich weiß auch heute nicht, wann exakt wir uns wiedersehen können. Und ob. Mein Vater wird in ein paar Wochen 81.

Das dritte Buch, Yoga Ups and Downs und ein Lockdown ohne Grenzen

Beruflich war das Jahr für mich kein schlechtes. Ich habe an meinem dritten Buch gearbeitet, das im April 2021 im riva Verlag veröffentlicht wird und meiner Meinung nach ein wichtiges Buch für unsere Gesellschaft ist. Die Arbeit daran hat viel Spaß gemacht, war aber auch kräftezehrend. Hier habe ich darüber berichtet. Ich durfte tolle Yogaklassen unterrichten und erlebte das Hin-und-Her zwischen Lockdown, Wiedereröffnung von Yoga- und Fitnessstudios, Teillockdown und Lockdown 2 wie eine Berg- und Talfahrt. Ende März hatte ich mich noch darüber geärgert, dass ich meinen Yogaretreat in Österreich nicht hatte durchführen können. Es dauerte nicht lange, da war mir das ziemlich egal. Online-Yoga hat auch für mich seine Berechtigung erhalten. Der direkte Kontakt mit den Schülern fehlt mir trotzdem. Eigentlich hatte ich dieses Jahr beruflich richtig durchstarten wollen, nachdem meine Kinder nun seit August beide einen Ganztagesplatz in der Kita beanspruchen dürfen. Aber na ja, wie wir alle wissen, war die Kita Mitte Dezember dann ja wieder zu. Wann sie wieder öffnet, weiß nun gerade niemand. Im vergangenen Jahr habe ich in dem Podcast Wandaful Yoga von Wanda Badwal das Interview mit Veit Lindau gehört. Das war eine schöne Inspirationsquelle und der Hinweis von Veit Lindau, dass man das, was man tut, mit Hingabe tun sollte, dass man sich genau an das, was man gerade tut, verschenken soll, hat mir sehr gut gefallen. Lindau sagt: „Es ist ein großes Missverständnis, zu denken, dass es in unserer Berufung darum geht, dass wir etwas bekommen.“

„Mama, der Mundschutz ist nicht blöd.“

Und dann war da der 24. Dezember, der so anders war als sonst. Weil wir wirklich niemanden getroffen haben. Es war ein schönes Weihnachten. Und ich ließ den Tag Revue passieren und dann das Jahr. Und wie gesagt, da fällt mir vor allem Positives ein. Ich habe wieder angefangen, zu bloggen und veröffentlichte seit Juni pro Woche mindestens einen, seit November mindestens zwei Artikel. Ich habe Dinge gemacht, die ich schon lange machen wollte. Zum Beispiel eine Lehrerin bezahlt, die mit mir nichts anderes als Pranayama, also Atemtechnik, übt. Ich war im Systemischen Coaching und in einer Therapiestunde. Ich habe mich für ein Kinderyoga-Lehrer-Training angemeldet. Ich habe mich 365 Tage an einer Zweijährigen erfreut und über eine Fünfjährige gestaunt. Vor zwei Wochen war mir draussen in der Kälte die Brille über dem Mundschutz angelaufen. „Blöder Mundschmutz“, sagte ich und meine Tochter sagte: „Mama, der Mundschutz ist nicht blöd.“ Auch darüber habe ich übrigens schon einen Text geschrieben.

Demut, Dankbarkeit, Rücksicht

Für mich stehen in diesem Jahr drei große Worte ganz weit oben. Demut. Dankbarkeit. Rücksicht. Und während ich so über alles nachdachte, fragte ich mich, ob wir Deutschen wirklich krisenfest sind. Ich höre und sehe so viel Gejammer. Aber wie würden wir uns verhalten, wenn eine wirkliche Tragödie uns erfassen würde? Wie zum Beispiel 2011 die Menschen in Fukushima. Oder die Menschen in Thailand, die im selben Jahr eine dramatische Flutkatastrophe erleben mussten. Oder die Menschen, denen 2005 Hurrikan Katrina einfach so die Häuser weggeweht hatte. Diese Liste ist beliebig lang weiterzuführen. Wir beanspruchen für uns selbst, das uns so etwas nicht widerfährt. Und das finde ich wahnsinnig hochmütig. In den letzten Wochen des Jahres sollte ich eine Reportage über kleine Unternehmer im Tourismus an anderen Orten der Welt schreiben und darüber, wie sie die Covid-19-Pandemie in diesem Jahr erlebt hatten. Und da war der Tourguide aus Kuba, der mir schrieb, dass seit Beginn der Pandemie nur zwei Touristen seine Tour gebucht hatten und dass er nun darauf wartete, dass alles wieder besser werde. Dass er nun als seine Aufgabe sehe, andere Menschen davor zu bewahren, krank zu werden. Er jammerte nicht.

Ich habe 2020 endlich auch mal wieder viel gelesen. Wo ich die Zeit hergenommen habe? Keine Ahnung. Und so habe ich viel gelernt in diesem Jahr. Das alles nehme ich mit ins neue Jahr. Auch, dass Egoismus out ist. Das ist eigentlich mit die schönste Erkenntnis des Jahres. Eine Frau, die ich auch erst in diesem Jahr kennenlernen durfte, schickte mir im Dezember eine schöne Geschichte. Sie passt auf das letzte Jahr. Als wäre sie dafür geschrieben worden. Und sicher auch auf das neue.

Der Chinesische Bauer
Autor unbekannt
Im alten China lebte ein Bauer, dessen einziger Besitz ein wundervoller schwarzer Hengst war. Dazu muss man wissen, dass das zur damaligen Zeit ein sehr wertvoller Besitz war. Selbst der Kaiser träumte von so einem Pferd! Die Dorfbewohner kamen eines Tages und sagten: »Mein Gott du hast ein ein Glück, so einen tollen Hengst zu besitzen, der dir auf deinen Feldern so fein zur Arbeit geht!« »Ja« sagt der Bauer, »das ist richtig! Es ist wies ist! Ist´s Glück, ist´s Pech – man wird sehen!«

Eines Tages lief er fort und der Bauer und sein Sohn mussten ihre Felder selbst pflügen. Die Nachbarn sagten: »Was für ein Pech, dass euer Pferd weggelaufen ist!«. Aber der Bauer antwortete: »Ja, das ist richtig! Es ist wies ist! Ist´s Glück, ist´s Pech – man wird sehen!«

Eine Woche später kam das Pferd zum Bauernhof zurück und brachte eine ganze Herde wilder Pferde mit. »So viel Glück! Mein Gott, was du für Glück hast! Jetzt hast du statt einem Pferd so viele!« riefen die Nachbarn, aber der Bauer sagte: »Ja, jetzt hab ich so viele! Schön. Aber es ist wies ist! Ist´s Glück, ist´s Pech – man wird sehen!«

Kurz danach versuchte der Sohn des Bauern, eines der wilden Pferde zu reiten, aber er wurde abgeworfen und brach sich ein Bein. »Oh, so ein Pech! Jetzt ist dein einziger Sohn vielleicht ein Krüppel und kann dir nie wieder richtig zur Hand gehen!« Die Nachbarn hatten Mitleid, aber der Bauer sagte wieder: »Ja, darüber bin ich sehr traurig! Aber es ist wies ist! Ist´s Glück, ist´s Pech – man wird sehen!«

Ein paar Tage später zog der Landesherrscher alle jungen Männer in sein Heer ein, um in die Schlacht zu ziehen. Aber den Sohn des Bauern ließen sie wegen seines gebrochenen Beins zu Hause: »Was für ein Glück, daß dein Sohn nicht in die Schlacht ziehen muss! So viele junge Burschen verlieren dort täglich ihr Leben!« freuten sich die Nachbarn. Aber der Bauer bemerkte nur: »Könnte ich euch nur helfen, weiter und tiefer zu sehen, als ihr es bisher vermögt. Wie durch ein Schlüsselloch betrachtet ihr euer Leben, und doch glaubt ihr, das Ganze zu sehen. Niemand von uns weiß, wie sich das große Bild zusammensetzt. Was eben noch ein großes Unglück scheint, mag sich im nächsten Moment in Glück erweisen. Anderseits erweist sich scheinbares Unglück auf längere Sicht oft als Glück und umgekehrt gilt das gleiche. Was daraus wird, weiß keiner von uns. Und jetzt geht nach Hause, und teilt die Zeit miteinander, die euch bleibt.«

Frohes neues Jahr.

Yoga während Corona … oder ein Mutmachtext

Wie kommen wir – und damit meine ich jetzt Yogalehrer – durch diese Zeit? Gibt es dann, wenn sie wieder öffnen dürfen, also vielleicht irgendwann im Jahr 2021, überhaupt noch Yogastudios? Kaufst Du Onlinestunden und Gutscheine bei Deinem Lieblingsstudio, damit Du auch wirklich irgendwann wieder in den Genuss einer Yogastunde mit Yogalehrer und anderen Yogis kommen kannst? Und was können wir Lehrer machen, in einer Pandemie, in der Yoga so wie wir es gewohnt waren, nicht mehr stattfinden kann?

Das hier sollte ein Artikel über das „Studiosterben“ werden. Denn Studios werden sterben. Manche sind schon während des ersten Lockdowns gestorben. Nun ist der Text ganz anders geworden als ich mir das vorgestellt habe. Vielleicht ist das ein gutes Zeichen. Ich habe mit vier Frauen gesprochen – jede von ihnen betreibt, eröffnete oder schloss ein Yogastudio in der Pandemie. Eine davon ist Gaby Rottler. In München kennt man sie. Sie ist die Frau, die das Wanderlust Café & Yoga in Neuhausen betrieben hat. Wenn man so will, kommen in Gaby alle Branchen zusammen, denen Corona in diesem Jahr so richtig auf die Schnauze gegeben hat: Gaby ist Künstlerin, sie war Gastronomin mit Café und Catering-Unternehmen und auch noch Yogastudio-Betreiberin. Als wir uns zum Interview verabredet haben, kommt sie gerade von einem dreitägigen Schweigeretreat. Wenn ich es nicht besser wüsste, würde ich denken, dass es deswegen aus ihr so heraussprudelt. Aber diese Frau sprüht nur so vor positiver Energie. Das liegt nicht am Schweigeretreat. Sie macht mir ein Geständnis: Als die Nachricht vom ersten Lockdown kam, war sie mitten in einem Catering. „Mein erster Gedanke war Erleichterung.“ 

Es scheint, als kommen in Gaby alle Branchen zusammen, denen Corona in diesem Jahr so richtig auf die Schnauze gegeben hat. Aber das macht nichts: Gaby sprudelt nur so vor Ideen.

Befreiungsschlag: Corona

Das Wanderlust Café & Yoga stand unter einem guten Stern. Bei Gaby gab es Soulfood, immer nette Leute, gute Gespräche, tiefgründigen Yoga. Gaby Rottler hatte gemeinsam mit einer Partnerin einen Ort geschaffen, an dem alles sein durfte. Schnell war eine Yogacommunity entstanden. „Ich war stolz auf das, was wir geschaffen hatten. Wir waren eines der ersten Studios in München, die in der Pandemie nahezu mühelos und schnell auf online umstellen konnten. Wir hatten ein schönes Konstrukt, der Laden boomte aber ich war körperlich am Ende.“ Ihre Partnerin war kurz nach der Eröffnung vor über einem Jahr bereits ausgestiegen und Gaby Rottler stand alleine da. „Mein Körper hat einfach nicht mehr mitgemacht, das war eine schmerzhafte Erkenntnis. Corona hat mich von meinem schlechten Gewissen befreit. Und so konnte die Einsicht kommen, dass es nichts bringt, wenn ich kraftlos bin, den Laden aber weiterführen muss. Ich kann anderen nur Gutes tun, wenn es mir selbst auch gut geht.“ Die Covid-19-Pandemie war für Gaby Rottler eine Art Befreiungsschlag. „Ich durfte plötzlich innehalten und ohne Druck nachdenken, wie die Reise weitergehen sollte.“ 

Die Türen im Wanderlust Café & Yoga wurden geschlossen. Die monatlichen Fixkosten blieben natürlich. „Ich habe zum Glück sehr schnell die Soforthilfe bekommen und konnte damit erst einmal Luft holen. Ich wusste, ich hatte jetzt ein wenig Zeit zum Nachdenken. Die Kosten für meinen Lebensunterhalt konnte ich mit der Soforthilfe natürlich nicht decken, ich musste mir von Freunden Geld leihen, und dann hatte ich Glück: Im Juli habe ich sehr liebe Nachmieter für das Café gefunden, bei denen es auch in sehr guten Händen ist. Ich habe das Café mit allem Inventar abgegeben und dadurch bin ich zu etwas Geld gekommen.“ 

#don’tlivewithoutart, #don’tlivewithoutyoga

Der erste Teil der Pandemie war für Gaby Rottler anstrengend aber befreiend. Corona hatte Prozesse angestossen, auch bei den anderen Lehrern. „Ich bin freiberuflich in meinen alten Job zurückgegangen, mache Marketing für ein kleines Unternehmen, das ökologische und nachhaltige Produkte verkauft. Und wir haben gemeinsam eine gesunde Wandfarbenserie entwickelt, die von den Farben der Chakren inspiriert ist. Zudem habe ich begonnen, alle meine Bilder zu verkaufen. Ich brauchte Platz.“ Unter dem Hashtag #don’tlivewithoutart postet sie auf Instagram jeden Tag ein Foto von einem ihrer Werke und verkauft es für relativ wenig Geld in alle Welt. Gerade verschickte sie ein Bild nach New Jersey. „Ich wollte den Menschen einerseits die Möglichkeit geben, sich Kunst leisten zu können, andererseits habe ich gedacht, meine Bilder müssen raus. Irgendwohin, wo sie leben dürfen. Egal wie viel Geld ich dafür bekomme.“ Jetzt hat sie eine neue Idee. Zusammen mit anderen Frauen aus der alten Wanderlust Community möchte sie einen Online-Raum für selbständige Yogalehrer schaffen. „Wir wollen diejenigen unterstützen, die nicht die Manpower haben. Wir können nur gemeinsam aus der Krise wachsen.“

Gaby Rottler hat viele Ideen und nutzt die „besondere“ Zeit dafür, diesen Ideen Raum zu geben. Sie schreibt an einem veganen Kochbuch, macht gerade ihren veganen Ernährungsberater und findet endlich wieder Zeit für Dinge, die sie normalerweise liegenlassen würde. Mit den Hunden geht sie in die Natur, um Kraft zu schöpfen. Das dreitägige Schweigeretreat in den Bergen mit ihrem Partner und den Hunden hat Themen hervorgebracht, die sie im Rausch des Alltags scheinbar begraben hatte. Sie hat ein schönes Bild für das, was diese Pandemie uns gebracht hat: „Corona hat uns in die Häuser zurückgeschickt, jetzt brauchen wir wieder Community. Die darf aber auch online stattfinden, wenn es gerade nicht anders geht.“

Was Verrücktes

Auch in München macht Kerstin Gröber etwas „Verrücktes“. Sie eröffnet mitten in der Pandemie ein Yogastudio. Anfang Oktober – als in München gerade wieder Corona tobte – öffnet sie die Türen vom HAIRU Yoga Studio. Sie lacht. „Rational gesehen, hätte ich jetzt sagen müssen, ich stampfe diese Idee ein. Aber in mir brodelte etwas.“ Eigentlich sollte das „Hairu“ im Frühjahr 2020 eröffnet werden, Covid-19 machte den Plänen einen Strich durch die Rechnung. Dann kam der Sommer und Kerstin war nach allen Planänderungen, Sorgen und Überlegungen einfach noch nicht bereit dafür, ihr Vorhaben umzusetzen. „Es brauchte noch eine Weile, bis ich mir sicher war, dass ich, trotz eines in der Luft liegenden zweiten Lockdown, eröffnen wollte. Ich hatte plötzlich die Einstellung: Ich will es jetzt durchziehen.“ 

Das HAIRU Yoga Studio kam nur kurz in den Genuss von offenen Türen. Nun ist das Bild aus dem Spätsommer Wunschdenken.

Hairu ist japanisch, es heißt so viel wie, „nach innen gehen“. Kerstin hat bewusst kein Sanskrit-Wort gewählt. Außerdem mag sie die Mentalität der Japaner. Das passe zu ihr. „Ich habe mich für ein Konzept entschieden, dass anders ist und während der Covid-19-Pandemie ist in mir der Entschluss gereift, dass es genau so ein Studio jetzt braucht.“ Schmunzelnd und liebevoll sagt sie, sie biete „Randgruppen-Yoga“. „Eigentlich sind wir doch alle Randgruppen.“ Sie will, dass sich alle wohlfühlen, Männer, Frauen, Schwangere, Ältere, Unbewegliche, Extremsportler, Flexible, Ashtangis. Sie lacht. „Zusätzlich wünschte ich mir einen Ort, an dem alle zufrieden sind, die Schüler wie die Lehrer und die Studioleitung natürlich auch. Mir ist aufgefallen, dass wir Yogalehrer so viel über Selbstliebe und Nächstenliebe predigen und am Ende ist da doch eine sehr egoistische Welt. Ich weiß, dass der Satz: ‚Jeder ist willkommen‘ sich erst mal schön anhört und dann noch lange nicht umgesetzt ist. Aber das ist mein Anspruch.“ 

Krise schafft Einfallsreichtum

Mit den Lehrern, die im HAIRU unterrichten, teilt sie die Erträge. Niemand arbeitet auf Honorarbasis. Damit will sie die Lehrer mit ins Boot holen, ihnen Mitspracherecht geben, sie machen lassen. „Die Lehrer sollen hier gerne unterrichten, das ist mir sehr wichtig. Durch Corona ist vielen Lehrern aufgefallen, dass sie als Online-Lehrer ihr eigenes Ding machen und die Erträge direkt in die eigene Tasche stecken können. Lehrer sind aktiver geworden, sie haben mehr Erkenntnis, was eigentlich geht und genauso sieht ein Studio auch, dass man sich nicht auf Komfortzonen verlassen darf. Studiobetreibern muss klar sein, dass Online ein Wettbewerb bleiben wird. Wir müssen alle alarmierter sein. Und das ist für mich das Gute an einer Krise. Sie schafft Einfallsreichtum“, sagt Kerstin. Sie glaubt, dass das gewohnte Modell eines Studios nicht mehr richtig funktioniere. „Wenn wir die Lehrer involvieren, sind sie glücklicher und das spürt auch der Schüler. Im HAIRU wird alles geteilt. Es gibt keinen Stundenlohn. Aber genauso wird dann auch igrgendwann der Gewinn geteilt.“

Gleichberechtigung auf allen Ebenen

Als Yogaschülerin habe sie die Erfahrung gemacht, dass sie sich auf allen Ebenen gleichberechtigte Begegnungen wünsche. „Ich stellte mir die Frage, wie ich als Schülerin behandelt werden möchte und gleichwohl dann auch die Frage, wie Lehrer von der Studioleitung behandelt werden wollten. Ich glaube, mit der Krise haben wir die Erkenntnis gewonnen, dass wir neu handeln müssen, um überleben zu können.“ Das HAIRU befindet sich in einer alten Autowerkstatt – ein großer Yogaraum mit einem kleinen Vorraum, einer Sitzecke, Teeküche, Garderobe, WCs. Das war es.

Natürlich gehe das finanziell noch nicht auf, doch das wäre ja auch ohne Corona so. „So ein Business braucht Zeit.“ Am wichtigsten sei es nun, mit den Schülern in Kontakt zu bleiben.

Eine weitere Erkenntnis, zu der sie in der Pandemie gekommen sei: „Wenn ich etwas will, dann bleibe ich dran. Dann ziehe ich das durch. Es ist sicher wichtig, sich treu zu bleiben. In so einer Krise kann man schnell abgelenkt werden, man hinterfragt mehr, hört weniger auf seine Intuition. Ich glaube, das muss man ablegen. Wie beim Yoga eben. Den Fokus auf das legen, was wirklich zählt. Nach innen gehen.“ 

Yoga für Senioren

Silke Wagner betreibt in Büttelborn in der Nähe von Frankfurt das Studio 1fach Yoga. Der Name soll Programm sein: Silke wollte einen Ort kreieren, an dem auch die Menschen ein Zuhause finden, die sich in vielen Studios überfordert fühlen, weil Asanas zu schwierig für sie sind. „Als ich meine Ausbildung gemacht habe, merkte ich schnell, dass mir die älteren Leute wegbrechen würden. Ich dachte: Wie schade, denn eigentlich soll Yoga sich den Teilnehmern doch anpassen. Ausgerechnet die Älteren würden doch so sehr von Yoga profitieren.“ So begann sie, Yoga für die Altersklasse 50plus anzubieten. Das sprach sich schnell herum. „Die Zielgruppe war dankbar. Die Menschen spürten, dass sie ihren Körper besser kennenlernen konnten. Dann kam Corona. Und gerade die Älteren haben unter der langen Pause sehr gelitten.“

Müde aber planlos glücklich

Im „Lockdown light“ ist Silke müde, „das Thema kann ich langsam nicht mehr hören“, sagt sie. „Das ganze Jahr war ein einziges Organisationschaos. Ja, ich fühlte mich angetrieben, habe getan und gemacht aber wenn ich inne halte, stelle ich fest, das Jahr war sehr aufreibend.“ Sie steckt den Kopf nicht in den Sand, auch nicht, als sie im ersten Lockdown auf online umstellen will und das gesamte Equipment erst ankommt, als Yogastudios längst wieder geöffnet haben. 

Silke Wagner ist „Corona-müde“. Kein Wunder, sie fährt das Tablet höchstpersönlich zu ihren Senioren-Schülern, damit auch wirklich all ihre Kunden weiterhin Yoga üben können.

„Wenn ich etwas gelernt habe, dann, dass Planen im Voraus nicht viel Sinn macht“, sagt die Mutter zweier Kinder. „Und diese Erkenntnis hat auch etwas Heilsames. Kürzlich fragte mich eine Freundin: ‚Was machen wir eigentlich im Januar, wenn es so weitergeht?‘ Und da sagte ich: ‚Erstmal ist ja Dezember. Also warum soll ich schlaflose Nächte wegen Januar haben?‘“

Stolz ist sie darauf, dass der Großteil ihrer Kunden mit online gegangen ist. Sie unterrichtet hauptsächlich Senioren und die meisten davon machen jetzt Yoga mit einem Videolink. Dann hat sie noch eine Idee: Um allen Yoga zu ermöglichen, auch denjenigen, die sich das Internet nicht mehr zutrauen, fährt sie ihr eigenes Tablet zu den Kunden nach Hause. 75 Minuten später holt sie das Tablet ab, manchmal bringt sie es direkt zum nächsten.  

Senioren machen Online-Yoga

„Zu sehen, wie sich die Senioren reinfuchsten, das war unheimlich schön. Die haben sich auch was einfallen lassen, da half dann das Enkelkind oder so.“ Alle ihre Kurse sind jetzt online. Sie vermutet, dass sie ungefähr 20 Prozent ihrer Kundschaft verloren hat. Silke arbeitet zusätzlich als Spiraldynamik-Pädagogin. Sie kämpft dafür, Einzelstunden weiterhin anbieten zu dürfen – und siegt. „Ich konnte nicht zulassen, dass meine Kunden, die mit ihrer Schmerztherapie auf einem guten Weg waren, wieder vermehrt Schmerzen spüren.“ Ihre Kosten kann sie auch mit vorhandenen finanziellen Reserven tragen. Trotzdem sagt sie: „Bei jedem Kunde, der mir sagt: ‚Online mache ich nicht mit‘, tut es trotzdem weh.“

Enorm findet sie den Aufwand, den das ganze Online-Geschäft mit sich bringt. „Die Organisation, Videolinks, Einladungslinks, Aufnahmen komprimieren, dazu noch das Studio, das ja weiterhin da ist – das ist alles anstrengend. Ich muss meine Mitarbeiter bezahlen, musste das Equipment anschaffen und muss immer darauf achten, dass alles klappt, dass das Mikro geladen ist, der Laptop läuft, …“

Sie spüre Existenzängste, vor allem, weil niemand sagen kann, wie lange die Situation andauert aber sie sagt auch: „Wenigstens läuft es nun. Es ist entspannter geworden. Ich bin nicht mehr hilflos bei dem Gedanken an ‚Online‘. 

Zoom? Was ist das?

Isabelle Bartmann ist Inhaberin und Yogalehrerin des isayoga in Regensburg. Ein Teil des Kursplanes läuft nun online. Wenn sie an den Tag vorm Lockdown im März denkt, kann sie heute lachen. „Eine österreichische Freundin hatte mir früh gesagt: ‚Stell um auf online. Deutschland wir betroffen sein von diesem Virus.‘ Ich war völlig irritiert. Zoom? Was war das? So etwas hatte ich noch nie gehört. ‚Wir brauchen ein Mikro‘, hieß es dann und wir haben einfach irgendwas ausprobiert und schnell festgestellt, dass das nicht ging. Ich hatte wirklich null Ahnung.“ Einen Tag bevor alle Läden schliessen sollten, fährt sie zu einem großen Elektromarkt. „Ich brauche Air Pods“, sagte ich zum Verkäufer.  Der schaute mich an, sagte, ‚ja ich habe eine Lieferung gekriegt‘ und dann kam er mit einem Paar und sagte mir: ‚So dann wären die jetzt auch wieder ausverkauft.‘ Ich bin naiv dahin gefahren und hatte also ein Schweineglück.“

isayoga: Die Matten warten auf ihre Schüler. Wie lange noch, weiß niemand.

Nach einer Woche war sie dann bereit. Nach und nach stieg sie dahinter, wie die Qualität besser werden könnte. Sie erhält viel Unterstützung aus ihrem Team. „Am Anfang war alles verrückt“, sagt sie. „Wir hatten unser Wohnzimmer ausgeräumt, weil es im Yogastudio noch gar keine Internetverbindung gab.“ Ihre Kunden waren geduldig. „Ich glaube, sie waren einfach sehr dankbar, dass wir irgendwas anbieten.“ Auch sie entwickelt in der Krise Ideen. Ihr kommt in den Sinn, ihre Kunden zu fragen, ob sie für andere Kunden Yoga spenden wollten. Sie nennt das Projekt „Soforthilfe Yoga“. Damit möchte sie vor allem diejenigen unterstützen, die von der Pandemie besonders betroffen sind. Das Feedback überwältigt sie. Anderen Selbstständigen, die ihr sagen: ‚Isa, es tut uns leid, Yoga ist finanziell bei uns gerade nicht drin‘, gibt sie einfach die Zugangsdaten für die Onlinestunden. „Ich finde, in so einer Situation muss man zusammenhalten.“ Nach den Stunden finden online Gespräche statt. „Die Community ist mir wichtig. Ich gebe allen die Möglichkeit, miteinander in Verbindung zu bleiben.“

Alle Gefühle

Im ersten Lockdown habe sie so ziemlich alles gefühlt. Sie wollte hinschmeissen, hatte dann wieder unbändige Energie, dann ganz viel Wut. „Ich habe mich oft gefragt, wie ich das alles schaffen soll. Und dann begann ich, zu sehen, was mir Corona Positives gebracht hatte. Mehr Zeit beispielsweise. Weniger Termine. Ich arbeite viel, kann mir die Zeit aber auch freier einteilen. Ich habe das Gefühl, die ganze Welt ist so überdreht. Und nun bekamen wir die Möglichkeit, herunterzukommen. Wir sehnen uns einerseits nach einer Pause, wenn sie als Geschenk einer Zwangspause kommt, können wir sie allerdings schlecht annehmen.“ 

Sie bleibt im Vertrauen. „Das große Ganze können wir jetzt noch nicht sehen. Ob mein Studio, das in den letzten sechs Jahren fantastisch lief, überlebt, weiß auch ich heute nicht. Aber für mich ist da auch eine Erkenntnis, dass es immer einen Weg gibt.“ Was schmerze, sei, dass das, was die Seele nähre in vieler Hinsicht nicht erlaubt sei. Kunst, Musik, Theater, Bewegung, Massage, … während Shops geöffnet blieben. 

Sie appelliert an die Kunden, die sagen: ‚Ich warte bis die Studios wieder öffnen‘, die Pause nicht zu lang werden zu lassen. Wir dürfen nicht damit warten, bis Studios wieder offen sind. Denn vielleicht gibt es sie dann nicht mehr. Vielleicht kann die Lieblingslehrerin dann nicht mehr bezahlt werden, vielleicht macht sie dann lieber was anderes. Und deswegen: buch Onlinestunden. Verschenk Yoga-Gutscheine. Verschenke große Portionen Mut. Meckern nützt nichts. Die Gespräche mit diesen vier unterschiedlichen Frauen haben mich sehr inspiriert – unabhängig von diesem Artikel. Und da war vor allem der Gedanke von Zusammenhalt, von „Sisterhood“ – allerdings gleich welchen Geschlechts. Einander helfen bringt mehr als egoistisch zu handeln, das ist glaube ich, eine der großen Erfahrungen dieser Krise. Findest Du nicht auch?

Diese vier Frauen und die genannten Yogastudios stehen stellvertretend für viele andere. Mir geht es nicht darum, für genau diese Studios Werbung zu machen. Alle vier Frauen kannte ich vor unseren Gesprächen nicht persönlich.