Schlagwort: Selbstschutz

Wann um alles in der Welt sind wir nur älter geworden?

Das Licht in unserem Badezimmer lässt zu wünschen übrig. Ich staune jedes Mal, wenn ich in einem Hotelzimmer in den Spiegel schaue. Was da in meinem Gesicht für Gräben (und anderes) zum Vorschein kommen! Nun haben wir ein Haus gekauft, wir sanieren zwei Badezimmer und die Lichtfrage steht im Raum. Was nun? Bleibe ich bei meinem beschaulich-dämmrigen Lämpchen oder kommt zu dem ohnehin schon mit viel Tageslicht beschenkten Raum ein LED-beleuchteter Spiegel und helle Deckenspots? Will ich mir das wirklich antun?

Wie tröstlich, dass ich gerade jetzt, während ich im Sauseschritt auf die Mitte 40 zueile, im SZ-Magazin die „Oma-Kolumne“ von Mechthild Gossmann entdeckt habe. Leider wurden die schon lange wieder eingestellt, aber ich sauge gerade jede einzelne Folge nur so auf. In der Kolumne mit dem Titel „Was ich an Tinder mag“, schrieb sie: „Wenn ich in meinem doch recht langen Beziehungsleben eine Sache gelernt habe, dann: Es geht wirklich nicht ums Aussehen. Viele Menschen sind in jungen Jahren schön. Aber alle bekommen Falten und dritte Zähne. Anders ist es mit dem Humor. Wenn jemand als Teenager gute Witze erzählen kann, dann kann er das als Rentner auch noch.“ Danke. Da glätteten sich gleich wieder die Sorgenfalten auf meiner Stirn, denn eben hatten mich auf Instagram noch die schönen Antlitze von Lena Gercke (34), Lena Meyer-Landrut (30) und Caro Daur (27) angelächelt. Wobei man natürlich jetzt zugeben muss, dass die auch alle einen passablen Humor vorweisen können. 

Kürzlich klönte ich via Facebook mit einem Bekannten aus der Heimat über früher, und die Kneipen, in denen wir uns als Schüler*innen herumtrieben. „Und wenn du dann mal wieder hier bist, gehen wir feiern“, schrieb er zum Schluß und meine Schlagfertigkeit war dahin. Feiern?! Hatte ich darauf überhaupt noch Lust? Ich wage es kaum zu sagen, aber ich habe gemerkt, dass ich meinen Rhythmus „früh ins Bett, früh wieder raus“ sehr gerne mag. Ich schlafe schlecht, wenn ich mich nach 22 Uhr hinlege, ich weiß nicht einmal, wann ich zum letzten Mal einen Film nach 20.15 Uhr angeschaut habe. Erschreckend? Erschreckend spießig? Mag sein. Es ist noch nicht lange her, da war ich auf einem Geburtstag einer Freundin. Total nette Menschen, tolle Gespräche, ich fing um 22 Uhr an zu gähnen, da betraten meine Altersgenossinnen gerade erst die Tanzfläche.

Früher hieß ich in meinem Freundeskreis „Funkygirl“. Ich trug Schlaghosen und Plateauschuhe, dabei bin ich nicht in den 60ern sondern Ende der 70er geboren und mit 16 liess ich mir von einer Afrikanerin Rastazöpfe in mein nordeuropäisches Haar flechten. Mit 20 hatte ich Extensions. Heute gehe ich, wenn ich es richtig gut mit mir meine, einmal im Jahr zum Friseur und lasse den nur mit Bioprodukten an meinen Kopf. Meine Haare werden grau, meine Gesichtsfalten tiefer. Egal. Hauptsache bio. 

Trotzdem habe ich immer noch den Eindruck, Funkygirl zu sein, dieser Titel erlischt nicht. Vor kurzem posteten meine früheren Klassenkameraden*innen einen Nachruf auf den Hausmeister unserer alten Schule. Was für ein Schreck! Hausmeister*innen, Lehrer*innen, Mitschüler*innen,  – die werden alle nicht älter, wenn man sie zum letzten Mal bei der Abifeier gesehen hat. Wenn man früh die Heimat verlässt, bleiben alle Menschen, die man damals kannte, gewissermaßen optisch da stehen, wo man sie zuletzt wahrgenommen hat. Sie altern nicht in meiner Erinnerung. Vielleicht ist das Selbstschutz. Ich will gar keine Bilder sehen! Schon gar nicht von denen, für die ich als Teenager geschwärmt habe. Wir werden alle nicht älter! Nein! Nur die eigenen Kinder natürlich, die wachsen wie verrückt. Gerade kamen sie aus dem Bauch, da werden sie auch schon eingeschult und ich denke immer noch, ich sei die 19-Jährige, die frisch vom Abitur das Dorf Richtung Berlin verlässt. Oder wenigstens die 30-Jährige, die alleine mitten auf einer Skipiste im Berner Oberland wohnt. Dass das über zehn Jahre her ist, kann ich gar nicht glauben. Ich denke jeden Tag, was für eine coole Mama ich bin und zum Glück sind meine Kinder noch nicht alt genug, mir zu erklären, wie peinlich ich ihnen manchmal sein kann.

Glücklicherweise habe ich mich aber doch verändert. Und wie. Na klar. Ich gehe schließlich vor 21 Uhr ins Bett! Ich verstehe jetzt die Frauen, die damals, als ich noch 20 war, 40 waren und darüber schrieben, wie schön das Leben mit einer gewissen Reife sei. Ja wirklich. Ich kann meiner Lebenserfahrung eine Menge abgewinnen. Und der Art und Weise, wie ich mich verändert und meine Werte neu definiert habe. Ich glaube, heute zu wissen, worauf es im Leben ankommt. Wenn meine Falten mich stören, mach ich einfach das Licht aus. Und auf Instgram eile ich auf das Profil von Ildiko von Kürthy, wann immer ich mich versehentlich mal wieder bei Caro Daur verirrt habe. Von Kürthy hat so einen herrlichen Humor zum Thema Älterwerden und anderen gefallen zu wollen …  Aber das ist jetzt auch nicht fair, den Humor als erstes zu nennen und dann erst über ihre Schönheit zu sprechen … Denn ich finde Ildiko von Kürthy schön und lustig. Zweifellos.