Verantwortung. Wie geht das?

Respektiere die Natur. Wie das geht? Ich übe noch. Seit dieser Woche weiß ich auf jeden Fall: Ameisen sind wichtiger als Menschen … Foto: Arndt Falter

Gestern habe ich bereits über die Sendung Sternstunde Philosophie auf SRF geschrieben, in der Historiker Philipp Blom erklärt, warum die Natur irgendwann zurückschlagen muss.  Am 25. Dezember 2019, also vor über einem Jahr, postete Bryan Kest, einer der erfolgreichsten Yogalehrer unserer Zeit, auf Instagram diese Sätze: „Yoga will not tell you what to do, it will just ask you to wake up and see what you’re doing and ask yourself four questions: 1) does this help me? 2) does this help my family? 3) does this help my community? 4) does this help the planet?“ (deutsch: „Yoga wird dir nicht erklären, was du zu tun hast, er wird dich höchstens bitten, aufzuwachen und dir selbst vier Fragen zu stellen: 1. Hilft mir das? 2. Hilft das meiner Familie? 3. Hilft das meiner Gemeinde? 4. Hilf das dem Planeten?“) Letzteres ist wohl die alles entscheidende Frage in einem Jahr wie diesem.  

Philipp Blom sagte im SRF: „Stellen Sie sich mal vor, wir würden uns wirklich dafür einsetzen, auch etwas aufopfern, damit wir sagen können: Wir wollen ein Europa bauen, das 2050 oder 2100 ein besserer Ort ist als jetzt. Dann wissen wir: Wir müssen uns nicht schämen! Wir haben echt versucht, eine grüne Infrastruktur aufzubauen, unsere Wirtschaft ist jetzt auf Carbon null. Wir haben alles getan, was wir tun konnten, um die Grundlagen unseres Lebens zu entgiften, dass ihr auch noch leben könnt auf dieser Welt. Ich glaube, das wäre ein wichtiges und wertvolles Projekt.“ 

Das Projekt

Oh ja. Es wäre das Projekt, oder? Wie das gehen soll? Das muss jeder wohl im Einzelnen für sich beantworten, denn es geht nicht ohne Opfer. Ich frage mich täglich, wie die aussehen könnten und was ich in meiner Welt dazu beitragen kann. Ich weiß, ich mache noch vieles falsch. Ich wünsche mir, dazuzulernen ohne zu viel Mist zu bauen. Heute Morgen beobachteten wir eine Möwe vor unserem Fenster, die den offenstehenden Müllcontainer vor dem Haus ausräumen wollte. Also bin ich raus und habe jedes Fitzelchen Müll, jede zerfetzte Apfelsinenschale wieder eingesammelt und den Müll in der Mülltonne so zusammengedrückt, dass die Tonne wieder zu ging. Das war keine Heldentat, aber noch während ich Studentin war, hätte ich nicht weiter darüber nachgedacht. Oder besser ausgedrückt: Ich hätte mich nicht dafür verantwortlich gefühlt, den Müll zu beseitigen, den die Möwe großzügig verteilt hatte. Heute weiß ich, dass ich dafür verantwortlich bin, wenn die Fische – sofern es sie hier in der Ostsee noch gibt – diesen Müll in den Hals kriegen. Denn ich habe gesehen, wie der Müll verteilt wurde. Ich will mich nicht mehr nicht dafür verantwortlich fühlen, wenn Klimawandel nicht aufzuhalten ist. Weil ich glaube, dass auch ich ganz viel dagegen tun kann, ohne gleich waghalsigen Umweltaktivismus betreiben zu müssen. Auch 2019 postete die vegane Köchin und Aktivistin Sophia Hoffmann auf ihrem Instagramprofil ein Foto von einer Toilette mit leerer Klopapierrolle und schrieb dazu: „Manchmal frage ich mich schon wie wir den Klimawandel stoppen wollen, wenn Menschen es nicht mal schaffen, Verantwortung für unsere eigene Kacke zu übernehmen (…) nun, da ich wieder regelmäßig in einem gastronomischen Betrieb arbeite, begegnet es mir täglich. Genauso auf öffentlichen Toiletten in der Deutschen Bahn usw. Erwachsene Menschen übernehmen keine Verantwortung für ihre Experimente. Egal ob es sich um das letzte Stückchen Klopapier handelt, das von der Rolle gezupft wird, 99 % der Menschen schaffen es nicht, die neue Rolle auf den Halter zu manövrieren. Wer glaubt ihr, ist dafür verantwortlich?Der Barista? Die Köchin? Die Deutsche Bahn Angestellte? Mutti? Angela Merkel? Noch ärger: Toilette sauber machen. (…) Menschliches Miteinander heißt Verantwortung für seinen eigenen Mist übernehmen. Jeden Tag. Basta.“ 

Weniger Wachstum, mehr Unkraut

Das ist über ein Jahr her, aber ich mochte es. Ich fühlte mich verstanden. Und so ist es auch mit jedem Fitzelchen Müll, das mir begegnet. Mit jedem Stück Amüsement, für dass vielleicht ein Tier oder ein Stück Erde geopfert werden musste. Ich kann es ignorieren, weil ich der Meinung bin, dass andere dafür verantwortlich gemacht werden müssen, aber dann darf ich mich auch nicht wundern, wenn die Natur mir irgendwann eins auf die Fresse gibt. Meine Kinder könnten 2100 theoretisch noch leben. Ich habe mich gefragt, wie deren Welt aussehen sollte und was ich mir für sie wünschen würde? Ich brauche nicht mehr Wachstum. Aber ich brauche auch nicht weniger Unkraut. Nicht noch mehr Bequemlichkeit als ich schon habe. Müll aufsammeln reicht nicht. Das ist klar. Und ich bin in vielem im Bereich Umweltschutz ein Amateur.

Verantwortung. Hier. Jetzt.

Ich will Corona nicht. Auch ich habe Lust auf Leute. Ich habe Lust auf Gemeinschaft, die nicht nur über Zoom stattfindet. Ich habe Lust auf Yogastudio mit Teilnehmern, statt mit leeren Matten und Filmset-Atmosphäre nur ohne Regie und Catering. Ich habe Lust darauf Olympische Spiele im Fernsehen zu verfolgen – aber bitte mit vollen Zuschauerrängen. Ich habe Lust auf offene Cafés obwohl der Kaffee bei mir zu Hause immer besser schmeckt. Ich habe Lust auf so vieles. Ist doch klar. Ich habe nicht gesagt, bitte liebes Universum, schick mir eine Pandemie, damit wir hier alle aufwachen. Denn das wird ohnehin nicht passieren. Ich wäre ziemlich gut ohne Corona klar gekommen. Logisch. Ich habe nur keine Lust zu meckern. Und es kommt mir immer wieder so vor, als müsse ich mich dafür rechtfertigen. Und alles was ich sage, ist: Ich will nicht jammern. Weil hier immer noch alles in Fülle ist. Und: weil es mir wirklich mehr Spaß macht, gut gelaunt zu sein als schlecht. Meckern kostet so wahnsinnig viel Energie. Bryan Kest, der coole Yogalehrer aus Kalifornien, postete auch in diesen Tagen etwas Kluges auf seinem Instagram-Profil:“ If you are depressed, you are living in the past. If you are anxious, you are living in the future. If you are at peace, you are living in the present.“ (deutsch: „Wenn du depressiv bist, lebst du in der Vergangenheit. Wenn du ängstlich bist, lebst du in der Zukunft. Wenn du im Einklang mit dir bist, lebst du in der Gegenwart.“) Verantwortung passiert im Hier und Jetzt. Das ist alles nicht so einfach, das ist klar. Aber es funktioniert. Und so kann ich vielem was abgewinnen, was ich in diesen Tagen erlebe: Ich sehe die Möwe. Ich bin enstpannt. Ich gehe zum Müll und räume ihn auf. Es war gar nicht schlimm. Die Kinder stehen am Fenster. Ein Lockdown-Moment: Nicht schlechter als Kino. Am allermeisten mag ich, wenn sie laut lachen. Das erlebe ich hier in unserem Lockdown oft. Dann sind wir alle im Einklang mit uns. Dann denke ich auch nicht an die Zukunft. Ob sie die so unbeschwert erleben können wie jetzt eine Corona-Pandemie?

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